Urbaner Bergbau
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Vergraben in der Erde, verbaut in Maschinen und Immobilien – in den Städten schlummern enorme Rohstoffschätze. Noch steckt Urban Mining in den Kinderschuhen, aber es herrscht Aufbruchstimmung. Für die Bauwirtschaft eröffnen sich ungeahnte Möglichkeiten.
Von Karin Legat
Das anthropogene Lager, also vom Menschen errichtete Bauten und der verursachte Abfall, erreicht in hochentwickelten urbanen Gebieten mittlerweile bis zu 500 Tonnen pro Person. Wie können diese mineralischen, metallischen und organischen Wertstofflager erkannt, erfasst und genutzt werden? Welche Technologien sind erforderlich? Die Kreislaufwirtschaft im Rohstoff- und Bauwesen hat ein lange Tradition, der moderne Begriff Urban Mining beinhaltet eine umfassendere Sichtweise. Als Zielsetzung gilt die optimale Ressourcennutzung sowie nachhaltiger Umweltschutz durch systematische und zielorientierte Nutzung der anthropogenen Rohstofflager. Unterteilt werden urbane Minen in kurz- und langfristige Lagerstätten. Unter kurzfristige Minen fallen klassische Deponien, deren Aufarbeitung jedoch laut Altmetalle Recycling Kranner ökonomisch noch nicht vertretbar ist. Siedlungen, Infrastruktur und Industrieanlagen bilden langfristige urbane Minen.
Die Zeit ist reif
Die anthropogenen Lager sind voll. »Diese Chance ist nun beim Schopf zu packen«, lautet der Aufruf von Univ.-Prof. Paul H. Brunner vom Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft an der TU Wien. »Werden alle Stoffe nach ihrer Nutzung wieder in die Kreislaufwirtschaft rückgeführt, ist der Wandel des Menschen vom Rohstoffverbraucher zum Produzenten geglückt«, zeichnet er ein positives Bild. Urban Mining darf allerdings nicht auf Recycling reduziert werden. »Oft erfolgt die Definition zu einseitig. Teilweise wird nur der Rückbau von Deponien beschrieben, heutige Recyclingaktivitäten oder die Rohstoffmine Stadt an sich. Diese Aktivitäten gehören allesamt zu Urban Mining, aber sie greifen zu kurz. Sie müssen verflochten werden«, informiert der Techniker, der vor mehr als 20 Jahren den Begriff Urban Mining in der Fachwelt einführte. »Beim primären Bergbau wird Energie benötigt, um Stoffe aus dem sulfidischen oder oxidischen Milieu zu gewinnen. Peter Baccini und ich haben uns gefragt, wie mit weniger Energie Stoffe bereitgestellt werden können. Daraus ist Urban Mining entstanden«, hält Brunner fest.
4-Säulen-Modell
Einen Eckpfeiler des Ressourcenprogramms bildet die Prospektion. »Leider steckt sie noch in den Kinderschuhen«, bedauert Brunner. Sein Kollege Univ.-Prof. Helmut Rechberger, der sich selbst in seiner Dissertation mit Stoffbilanzen beschäftigt hat, erkennt hier gewaltiges Forschungspotenzial auch für montanistische Hochschulen wie Leoben oder Aachen. Zwingend ist die Bewahrung der stofflichen Informationen. Ein Gebäudepass, wie derzeit für die Seestadt Aspern in Wien angedacht, und ein Ressourcenkataster für eine ganze Region sollen die Rohstoffquellen für künftige Generationen dokumentieren. Green Design bei Verfahren, Produkten und Systemen zur langfristigen Mehrfachnutzung bildet eine weitere Säule. »Rohstoffe müssen am Ende ihrer Lebensdauer rückgewonnen werden können. Auch hier befindet sich die Forschung erst an den Anfängen«, erklärt Rechberger. Viele Produkte würden heute so gestaltet, dass sie nur schwer in einzelne Stoffe zerlegt und effizient rezirkuliert werden könnten. »Das bedeutet nicht den Verzicht auf Verbundmaterial. Die Materialtrennung muss aber bereits bei der Gestaltung mitbedacht werden und es ist an High-Technology für Trennung und Rückgewinnung zu forschen. Die Rückgewinnung von derartigen Stoffen erfolgt bisher kaum«, bedauert der Experte. Auch hier könnten die Hochschulen in Zusammenarbeit mit der Industrie Vorreiter werden. Rechberger erkennt aber ein gravierendes Problem. »Die großen Stoffumsätze finden sich in langlebigen Produkten wie Häusern. Forschungsarbeit rechnet sich dadurch erst in 30 bis 40 Jahren. Damit sind die Investitionsanreize ziemlich gering. Die Privatwirtschaft möchte Forschungsergebnisse in den nächsten ein bis zwei Jahren erhalten, die öffentliche Hand hat zu wenig Geld für langfristige Forschung.«
Erfolgversprechend
Unabhängig von der Finanzierung rückt die Abfallwirtschaft als Wissenschaftsdisziplin und Wirtschaftszweig verstärkt ins Bewusstsein. »Urban Mining steigert die öffentliche Wahrnehmung«, weiß Brunner. Aus materieller Sicht liegen die Erfolgsaussichten für Urban Mining in Österreich sehr gut. »Wir befinden uns im EU-Konzert im absoluten Spitzenfeld. Bei Siedlungsabfällen haben wir Verwertungsquoten von über 50 Prozent, bei Verpackung liegen wir an zweiter Stelle bei den EU27. Unsere Bauschutt-Trennverordnung ist ein sehr entwickeltes System«, berichtet ARA Vorstandssprecher Christoph Scharff. Jährlich fallen rund vier Millionen Tonnen Abbruchmaterial an. Je nach Fraktion werden bis zu 70 Prozent einer Verwertung zugeführt, wobei ein Großteil als Verfüllmaterial und im Landschaftsbau eingesetzt wird. Der Rest wird deponiert. Mineralische Stoffe weisen laut BRV Recyclingquoten über 80 Prozent auf. »Hier fehlen letztlich Technologien, um Stoffe vor Ort noch sortenreiner rückzugewinnen.« Gravierende Mängel bestehen auch im Absatzmarkt für Recyclingstoffe, merken nicht nur Wissenschafter, sondern auch Günther Gretzmacher von ÖKOTECHNA an. »Die Bauprodukterichtlinie spricht zwar erstmals den Einsatz von Recyclingmaterial an, aber leider fehlen Mindestwerte. Vorgeschrieben werden können Sekundärrohstoffe aufgrund der Unsicherheit der Verfügbarkeit nicht. Aber schon aus wirtschaftlichem Interesse sollten Unternehmen Sekundärrohstoffe einsetzen«, fordert Gretzmacher. Wieso sollen Naturquellen angezapft und Rohstoffe aus Afrika und anderen fernen Ländern importiert werden, wenn diese Rohstoffe in den eigenen Städten rückgewonnen werden können, fragt sich die Urban-Mining-Welt. Die Technische Universität Wien forscht mit der Ressourcenmanagement-Agentur bereits an einer Strategie zur nachhaltigen Nutzung von Baurestmassen. »Auch stillgelegte Minen können wieder interessant werden, wenn erzführende Schichten wieder ausbeutewürdig werden«, vermerkt Scharff.
Zukunft Urban Mining
»Wir kommen um Urban Mining nicht herum. Die Rohstoffpreise sind und bleiben hoch, der Rohstoffverbrauch steigt. Allein in den letzten Jahren hat er sich nahezu verfünffacht. Es gibt zwar weitere Primärlagerstätten, aber diese zu finden und aufzubereiten dauert Jahre«, stellt Brigitte Kranner von Altmetalle Kranner, dem Betreiber von www.urbanmining.at, fest. »Wir sitzen in den Städten auf Rohstofflagern, es fehlt nur die systematische Aufarbeitung.« TU und ARA bereiten derzeit ein Projekt zur systematischen Erforschung und Katalogisierung der anthropogenen Rohstofflager vor. Mit der auf mehrere Jahre angelegten Studie sollen lohnende Rohstoffvorkommen, erforderliche Technologien und Wirtschaftszahlen ermittelt werden. In Gebäuden und Infrastruktur in Österreich sind gegenwärtig 3,7 Mrd. Tonnen Material verbaut. Jährlich kommen 94 Mio. Tonnen dazu. »Unsere Städte bestehen zu 96 Prozent aus mineralischen Bestandteilen und zu ein bis zwei Prozent aus Holz und Metallen. Kunststoffe und Papier befinden sich im Promillebereich«, zeigt Martin Car vom Österreichischen Baustoffrecyclingverband auf. »Heute muss man für den Bauschutt noch bezahlen. Künftig kann man damit Geld verdienen.«
Initiative urban-mining.at
Die Altmetallaufbereitung wird angewandt, seit es Metall gibt. »Schon der Ritter hat sein Schwert eingeschmolzen und neu geformt, wenn es bei einem Kampf kaputt ging. Heute wird dieser Sekundärkreislauf systematischer betrieben«, berichtet Brigitte Kranner. »Wir sind im Metallrecycling seit mehr als 60 Jahren tätig. Für uns war ein Blog, das über Entwicklungen, realisierte Projekte und das Ziel der Rohstoffrückgewinnung bei Design und Konzept von Produkten informiert, daher selbstverständlich.« Die Themen des Blogs sind nicht auf Metall beschränkt. Holz, PVC und die Energierückgewinnung fallen für Kranner ebenfalls unter Urban Mining. Eine lange Tradition von Urban Mining sieht auch Martin Car. »Urban Mining ist ein neues Schlagwort für eine Thematik, die bereits nach dem Krieg begonnen hat. Damals bestand ein Mangel an Rohstoffen, Maschinen und Geräten, heute fordern Naturschutz und Ressourcenschonung die Rückgewinnung vorhandener Materialien. Das Gedankengut ist ein komplett neues geworden.«
Win-win
Der Wille zu Urban Mining in der Bauwelt ist vorhanden. »Das Architekturzentrum hat vor zwei Jahren mit Veranstaltungen zu nachhaltigem Bauen begonnen«, berichtet Gretzmacher. »Bei der ersten Veranstaltung waren 20 Leute anwesend. Bei der fünften Veranstaltung ist der Saal bereits übergegangen.« Urban Mining als junges Schlagwort ist auch von politischem Interesse. »Konkrete Programme erkenne ich aber noch nicht«, vermerkt Recyclingverband-Geschäftsführer Car. »In Österreichs Städten und Dörfern schlummern riesige Lagerstätten verbauter Rohstoffe. Im Ressourcenaktionsprogramm, das im November vorgestellt wird, legen die Verantwortlichen erst ansatzweise ein Bekenntnis zu Recycling ab. Auch auf europäischer Ebene wurde das Thema Urban Mining entdeckt. Einzelne Mitgliedsstaaten haben es zur Chefsache erklärt, allen voran Deutschland, wo gerade eine große Forschungsinitiative zum Thema Urban Mining anläuft. In Österreich gibt es erste Urban-Mining-Ansätze. »Derzeit leben wir noch vom Forschungsvorsprung. Wenn aber nicht bald Initiativen gestartet werden, überholen uns andere Länder«, warnt Rechberger. Christoph Scharff ergänzt: »Urban Mining wird sich nicht ohne Zutun und ohne Investitionen in Forschung und Entwicklung vom politischen Schlagwort zu einem relevanten Leistungsbereich des Ressourcenmanagements entwickeln.«
>> Buchtipp: URBAN MINING, Leopold Lukschanderl, 2011