Kein Abfall in Sicht
- Written by Redaktion
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In einem einzigartigen Logistikzentrum 15 Meter tief in den Katakomben des prestigeträchtigen Potsdamer Platzes existiert eine Welt fernab von Glamour und Lifestyle. Denn dort befindet sich das Herz des 6,8 Hektar großen »Quartiers Potsdamer Platz« mit unterirdischen Versorgungsgängen, die auf drei Etagen verteilt eine Länge von fünf Kilometern vorweisen. Alle Waren für die rund 30 Restaurants, zwei Hotels und 130 Geschäfte an der Oberfläche werden dort zentral angeliefert. Und auch die Abfallbeseitigung wird vom unterirdischen Logistikzentrum aus geplant und gesteuert. Das Ver- und Entsorgungszentrum durchlaufen so jährlich rund 3.000 Tonnen Abfälle. Da sich neben Geschäften und Gastronomie (ca. 10.000 Menschen arbeiten dort), auch 370 Wohnungen auf dem Gebiet befinden, bedeutet das Abfallaufkommen im Minutentakt.
Seit 1998 betreibt das europäische Recyclingunternehmen ALBA Group das unterirdische Logistikzentrum. Und das derart diskret, dass die Straßen im Quartier Potsdamer Platz frei von Lieferverkehr bleiben und Touristen und Geschäftsleute nichts von der Betriebsamkeit in 15 Metern Tiefe mitbekommen. »Vormittags ist hier der größte Betrieb«, sagt Klaus-Dieter Krüger von der ALBA Facility Solutions GmbH. Er ist Manager des Ver- und Entsorgungszentrums (VEZ) und zuständig für den reibungslosen Ablauf der Anlieferung und Entsorgung. Im Minutentakt kommen die Lkw in das VEZ und nutzen die 19 Lieferrampen. Pro Tag sind dies rund 160 Fahrzeuge. Ein Tag im VEZ ist lang und beginnt früh, denn bereits ab fünf Uhr morgens werden die ersten Waren angeliefert. ALBA beschäftigt pro Schicht zehn Mitarbeiter, die sich um den reibungslosen Ablauf »unter Tage« kümmern. So kann es trotz aller logistischen Planung zum Stau an den Laderampen kommen, der schnellstmöglich von Klaus-Dieter Krüger und seinem Team aufgelöst werden muss. Denn die Entladezeiten der Lkw folgen einem akribischen Zeitplan: 30 bis 40 Minuten sind pro Lastwagen angesetzt. Die letzten Lieferungen werden gegen 22 Uhr in Empfang genommen.
Doch das ist nur ein Teil der Arbeit. Denn auf dem gleichen Weg wie die Waren die »Daimler-City« erreichen, gelangt der Müll von den Sammelstationen auch wieder zurück und muss rasch abtransportiert werden.
Jeder Behälter ist mit einem Barcode versehen, um die Abfälle der verschiedenen Kunden zu identifizieren. Der Abfall wird abgewogen, bevor er in große Container, getrennt nach Restabfällen, Speiseresten, Altglas, Verpackungen und Pappe/Papier, gefüllt wird. Der Preis der Entsorgung richtet sich nach dem Gewicht des angelieferten Abfalls. Seit ein paar Jahren betreibt die ALBA Facility Solutions GmbH im VEZ am Potsdamer Platz eine für diesen Bereich speziell entwickelte Entsorgungsanlage für Speisereste. Hierbei wird mithilfe einer modernen Dehydrieranlage den Speiseresten die Feuchtigkeit entzogen. Anschließend werden sie für die energetische Verwertung genutzt.
Ein Rückgang des Abfallaufkommens ist im VEZ aber nicht festzustellen. Auch wenn heute 1.600 Tonnen des Abfalls wiederverwertet werden können, ändert sich der Verbrauch der Menschen nicht wesentlich. Trotz aller Bemühungen produzieren die Europäer unverändert viel Abfall. Eine halbe Tonne, genau 524 Kilogramm, entsorgte der Durchschnittsbürger im Jahr 2008 laut Eurostat. Die Deutschen lagen mit 600 Kilogramm dabei über dem EU-Durchschnitt. Ein Umdenken ist bisher nicht erfolgt.
DIE Rohstoffquelle der Zukunft
»Die Zukunft der Menschen wird in den Städten liegen«, erklärte im Jahr 2000 der damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan in Berlin anlässlich der Eröffnung der Weltkonferenz zur Zukunft der Städte. Wie richtig er damit lag, zeigt sich bereits zehn Jahre später: Jeder zweite Mensch lebt im Jahr 2011 in einer Stadt. Bis 2030 wird dieser Anteil auf 60 Prozent steigen. Sogenannte Megacities, die mehr als drei Millionen Bürger aufweisen, werden weiter wachsen. Neue Ballungszentren entstehen.
Während laut Expertenprognose die Zahl der Stadtbevölkerung in den Industrieländern von 2000 bis 2030 »nur« von 900 Millionen auf eine Milliarde anwachsen wird, gehen Schätzungen davon aus, dass afrikanische Städte pro Jahr um rund fünf Prozent wachsen. Das bedeutet: Hat in Afrika eine »statistisch ideale« Stadt im Jahr 2000 beispielsweise eine Millionen Einwohner, kann sich ihre Größe in etwa Jahren verdoppeln. Und auch China wächst derzeit rasant: Das Ziel der chinesischen Regierung ist es, in den kommenden Jahrzehnten rund 400 Millionen Chinesen von Bauern zu Stadtbewohnern zu machen. Die Zahl der rund 120 Millionenstädte in China soll sich bis zum Jahr 2025 verdoppeln. Zusätzlich plant die chinesische Regierung bis zu ein Dutzend Megastädte mit 15 bis 20 Millionen Menschen.
Mit der Explosion der Bevölkerungszahl wird das Abfallproblem akut wie nie. Nachhaltige Stadtentwicklung ist schon heute untrennbar mit intelligenten Lösungen für Umweltschutz, Abfallmanagement und Abwasser verbunden. Abfälle dienen zugleich als nicht mehr wegzudenkende Rohstoffquellen für die Weltwirtschaft.
Potenzial längst nicht ausgeschöpft
»Das Geld liegt auf der Straße« – ein altes Sprichwort und zugleich aktueller denn je: Jede Stadt in einem industrialisierten Land ist eine riesige Rohstoffmine. Mittlerweile sind zunehmend Rohstoffe in höherem Maße in Städten verbaut oder von den Betrieben und Bürgern in Nutzung, als sie noch weltweit in den Rohstoffvorkommen der Erden zu finden sind. Urban Mining zielt auf die Nutzung und zukunftsgerichtete Gestaltung dieser Rohstoffvorkommen. Außerdem mindert Urban Mining die Umweltbelastungen. So haben Wissenschaftler im Auftrag des Naturschutzbundes Deutschland errechnet, dass das Recycling unterschiedlicher Abfälle seit 1990 bereits über 46 Millionen Tonnen Kohlendioxid eingespart hat. Somit steckt in der Entsorgung und fachgerechten Verwertung der Abfälle noch viel Potenzial.
Auch Klaus-Dieter Krüger geht davon aus, dass der Job unter dem Potsdamer Platz krisensicher ist: »Es sei denn der Mensch der Zukunft ändert nicht nur seine Unwelt, sondern auch seine Einstellung.« Das wäre dann aber wirklich Utopie.