Feierstimmung und Optimismus
- Written by Martin Szelgrad
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Zehn Jahre Strommarktliberalisierung in Österreich: Die Energieversorger haben das vergangene Jahrzehnt gut gemeistert und strategische Weichenstellungen in Richtung neuer Netze und Produkte unternommen.
Die Befürchtungen waren groß, aber letztlich unbegründet. Gut aufgestellt für die Zukunft sehen sich die heimische Energieversorger zehn Jahre nach dem Start der Liberalisierung des Strommarkts. Für große Industriekunden mit einem Verbrauch von mehr als 40 GWh jährlich erfolgte die vollständige Marktöffnung bereits 1999, für die Kundensegmente Haushalte und Unternehmen unter dieser Bezugsgrenze im Oktober 2001. Durch die Öffnung der Endkundenmärkte für den Wettbewerb können Stromkunden ihren Stromlieferanten heute frei wählen. Fazit: Der Marktöffnung erfolgte weder ein Ausverkauf der heimischen Wasserkraft an Großkonzerne aus dem Ausland, noch setzte eine Völkerwanderung bei den Konsumenten ein. Das anfängliche Interesse anderer Konzerne an Beteiligungen kam schnell wieder zum Erliegen, und die Haushalte erwiesen sich in der Bereitschaft, den Stromanbieter zu wechseln, als wesentlich träger als vorhergesagt.
Österreich hatte die EU-Direktive zur Öffnung des Marktes relativ schnell umgesetzt und darf sich zu den Pionieren der Strommarktliberalisierung in Europa zählen, heißt in einer aktuellen Studie von Booz & Company. Nur Großbritannien, Schweden, Finnland und Deutschland hatten die Liberalisierung früher vollzogen. In Österreich hat die Liberalisierung insbesondere im Industriekundensegment zu starken Wechselaktivitäten geführt, so dass seit der Liberalisierung bis heute mehr als 70 % aller Industriekunden den Lieferanten gewechselt haben. Außerdem kann davon ausgegangen werden, dass sämtliche Industriekunden zumindest mit den bisherigen Lieferanten neu verhandelt haben. Die Wechselaktivität der Haushaltskunden hingegen ist wesentlich moderater ausgeprägt. Bis 2010 haben nur 10 % der Haushaltskunden den Anbieter gewechselt.
Die Ursachen für die geringe Wechselbereitschaft in Österreich sind vielschichtig. So führt zum einen die seit Liberalisierungsbeginn unverändert hohe Kundenzufriedenheit in Österreich zu einer gewissen Wechselträgheit. Zum anderen ist der monetäre Wechselanreiz in Österreich im Vergleich zu anderen Ländern geringer. Vergleicht man die Angebote lokaler Energielieferanten mit dem jeweils günstigsten lokalen Angebot in verschiedenen europäischen Ländern, so ergibt sich heute in Deutschland und UK eine durchschnittliche Ersparnis durch einen Lieferantenwechsel von circa 30 % und in Schweden von circa 10 %. In Österreich lässt sich derzeit nur eine Ersparnis von durchschnittlich 9 % erzielen.
Doch nur gut ein Drittel des finalen Endkundenpreises kann frei durch den Energielieferanten beeinflusst werden. Die Netzentgelte sind nur bedingt im Rahmen der Anreizregulierung und die Steuern und Abgaben nicht durch den Energielieferanten beeinflussbar und werden vom Staat vorgegeben. Ein Vergleich der Endkundenstrompreise in verschiedenen europäischen Ländern für Industriekunden und Haushalte zeigt, dass der Strompreis in Österreich im Mittelfeld beziehungsweise für Haushaltskunden im oberen Mittelfeld liegt. Im Zuge der Liberalisierung hat sich diese Position im Vergleich mit anderen Ländern nicht wesentlich verändert.
Hohe Zufriedenheit
Positiv sieht Barbara Schmidt, Generalsekretärin des Branchenverbandes Oesterreichs Energie, die hohe Kundenzufriedenheit, die in den vergangenen Jahren weiter gestiegen ist: »52 % der Österreicher und Österreicherinnen bescheinigen der Branche einen guten Ruf und die Zahl der Kunden die auf jeden Fall bei ihrem Anbieter bleiben wollen, ist von 41 auf 49 % gestiegen.« Die E-Wirtschaft habe ihre Hausaufgaben gemacht, beispielsweise mit der neuen Stromrechnung, Energieberatungen, Serviceleistungen und demnächst mit einem deutlich beschleunigten Verfahren zum Anbieterwechsel.
Seit Beginn der Liberalisierung wurden von der E-Wirtschaft rund vier Milliarden Euro in die Stromerzeugung investiert. Nach der Liberalisierung kam es vorerst zu einem Rückgang der Investitionen in den Kraftwerkspark, hauptsächlich begründet durch die damals starke Planungsunsicherheit. Ab 2006 begann ein starker Anstieg der Investitionen, so dass das heutige Investitionsniveau von rund 600 Millionen Euro pro Jahr sogar deutlich über dem Niveau vor der Liberalisierung liegt, heißt es bei Booz & Company. Bisher rund fünf Milliarden Euro wurden seit der Marktöffnung in die Netzinfrastruktur investiert. Die Liberalisierung hat auch zu einer größeren Vernetzung der E-Wirtschaft untereinander geführt. Vor der Liberalisierung mussten einzelne regionale Stromanbieter in ihrem Versorgungsgebiet ausreichend Reserven in den Kraftwerken vorhalten. Durch die Liberalisierung wurden drei Regelzonen eingerichtet, in denen der stetige Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage und damit die Netzstabilität sichergestellt wird.
Explizit streicht die Studie auch das starke Engagement der österreichischen E-Wirtschaft in Zukunftsbereichen heraus. »Mit dem aktuellen Anteil an erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch von 30 % hat Österreich bereits rund 85 % des 2020-Ziels erreicht, und hier ist die E-Wirtschaft einer der wichtigsten Akteure«, so Barbara Schmidt. Die Endkunden unterstützt die E-Wirtschaft mit Beratung und Serviceangeboten zur Effizienzsteigerung und engagiert sich intensiv im Bereich E-Mobilität. Schmidt: »Wir haben uns intensiv mit den künftigen Herausforderungen auseinandergesetzt. Heute werden unsere Ideen immer stärker zum Mainstream der Planungen einer nachhaltigen Energiezukunft.« Von der Politik forderte Schmidt ein Bekenntnis zu den erneuerbaren Energien und funktionierende Modelle für ihren Ausbau. Das mache auch volkswirtschaftlich Sinn, denn »jeder Job in der E-Wirtschaft sichert 1,5 Jobs in anderen Branchen. Die geplanten 15 Milliarden Euro Investitionen der E-Wirtschaft bis 2020 sichern 140.000 Jobs«, so Schmidt.
Große Zukunft
Zehn Jahre nach Liberalisierung des Strommarktes in Österreich steht die Branche vor neuen Herausforderungen. Die Öffnung des Energiemarktes hat zu einer Veränderung der gesamten Industrie rund um die Erzeugung und Verteilung von Strom geführt. Auch ohne Öffnung der Strommärkte wäre der Ausbau von erneuerbarer Energie aus klimapolitischen Gründen notwendig geworden. Und auch der Trend zur Elektromobilität wurde nicht alleine in der Liberalisierung begründet, sondern ist eine logische Entwicklung hinsichtlich der Energieeffizienz und des nachhaltigen Wirtschaftens. Doch wurden die Innovationskraft der Industrie und der Umsetzungswille bei den unterschiedlichen Marktteilnehmern in den vergangenen zehn Jahren deutlich beschleunigt.