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Homo Ludens

\"Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt“ - wer meint, dieses Zitat entstamme der Welt des Spielzeugmarketings, irrt. Friedrich Schiller war es, der hier im Spiel eine ureigene Beschäftigung des Menschen erkannte, und der niederländische Kulturhistoriker Johan Huizinga prägte bereits 1939 mit seinem gleichnamigen Buch den Begriff des \"homo ludens“, des \"spielenden Menschen“, um zu zeigen, dass Spiel und daraus folgende Selbstorganisation allen menschlichen kulturellen und gesellschaftlichen Systemen zugrunde liegen. Das Spiel ist eine grundlegende menschliche Aktivität, die Kreativität, Wettkampf und Innovationen hervorbringt - der Spieltrieb des Menschen übersteigt historische, kulturelle und soziale Grenzen. Was sich ändert, sind die Spielzeuge - und der Stellenwert, der Spielen in den jeweiligen Gesellschaften zukommt.

Gesellschaftliche Vorurteile
Spiele sind etwas für Kinder, bevor der Ernst des Lebens beginnt? Wer so denkt, versäumt etwas und belügt sich selbst. Denn so, wie den alten Griechen ihre Olympischen Spiele heilig waren, pilgert heutzutage so mancher ohne schlechtes Gewissen zur Fußball-WM, zum Golfplatz oder zur Pokerrunde. Nur die allerneueste Manifestation des universalen Spieltriebs ist mit allerlei gesellschaftlichen Vorurteilen beladen: Computer- und Videospiele, so die gängige und oft publizierte Meinung, sind unkommunikativ, verdummend und gewaltverherrlichend - am besten, man beschützt die Gesellschaft vor dieser Gefahr. Das Misstrauen, das dem jungen Medium entgegenschlägt, ist allerdings fehl am Platz; genau wie nach der Einführung der Fotografie, des Films und des Fernsehens werden die Vorurteile einfach deshalb weichen, weil die verstärkte Verbreitung des neuen Mediums zu einer objektiveren Beurteilung führen wird. Die Besorgnis, Jazzmusik, Comics, Rock’n’Roll, die Beatles, Bravo, Horrorfilme oder Heavy Metal würden die Jugend zu willen- und hemmungslosen Bestien machen, haben sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte ja auch nicht als besonders haltbar erwiesen.

Größer als die Filmbranche
Computer- und Videospiele sind ein riesiges, weltweites Geschäft. Das Business mit der digitalen Unterhaltung ist heutzutage bereits größer als die gesamte Filmbranche. Und der durchschnittliche Spieler sieht anders aus, als die Vorurteile vermuten lassen. Laufend durchgeführte Studien der Unterhaltungssoftware-Verbände ESA (Entertainment Software Association) und ELSPA (Entertainment and Leisure Software Publishers Association) zeichnen das Bild einer spielenden Gesellschaft: In zwei Dritteln aller Haushalte werden Computer- oder Videospiele gespielt, der Altersdurchschnitt der Spieler liegt bei überraschenden 33 Jahren, und mehr und mehr spielende Frauen und Senioren bringen das Spielerklischee vom pickeligen Teenager ins Wanken. Gespielt wird auf den unterschiedlichsten Geräten: auf Spielkonsolen, Heimcomputern, Handheld-Geräten, Handys und direkt im Internet im Browser.

Technologietreiber
Tatsächlich ist das Spielen vor dem Monitor so alt wie die Computertechnologie selbst. Mehr noch: Viele Fortschritte in Hardware und Programmierung verdanken sich direkt dem Spieltrieb der Benutzer, die schon in der Computersteinzeit das spielerische Potenzial der riesigen Rechner erkannten. Die rasante Entwicklung der Grafikdarstellung wäre ohne den treibenden Ehrgeiz der Spieleindustrie undenkbar gewesen, und selbst die weltweite Vernetzung sowie die Penetration mit Breitbandzugängen lässt sich mit dem Aufkommen neuer Mehrspielerkonzepte in Zusammenhang bringen. Auch die Errungenschaften der AI-Forschung, also der Künstlichen Intelligenz, finden meist zuallererst in elektronischen Spielen ihre Anwendung: War vor elf Jahren der Sieg des Schachprogramms \"Deep Blue“ über den menschlichen Schachweltmeister Garri Kasparow ein Meilenstein der Programmierung, leisten heute AIs in wachsender Komplexität ihre Dienste in Videospielen, um den menschlichen Spieler herauszufordern.
Nach wie vor gilt überdies, dass Heimcomputer ihre inzwischen beachtlichen Rechenleistungen fast ausschließlich mit den neuen Produkten der Spieleindustrie technisch voll ausreizen können; kaum ein Office-Anwender oder Gelegenheitssurfer benötigt die geballten Hardwarekapazitäten in seinem Rechner für die täglich anfallenden Erledigungen, doch die neuesten Games reizen vorhandene und zukünftige Hardware in schöner Regelmäßigkeit bis ans Limit aus. Kein Wunder, dass die letzte Generation der Videospielkonsolen, Sonys PS3 und Microsofts XBOX 360, wahre Hardwaremonster sind, die an Highend-Hardware, Komplexität und Rechenleistung so gut wie jedes andere Home-Consumer-Produkt in den Schatten stellen. Der menschliche Spieltrieb zeigt sich im Bereich des elektronischen Spielens als unersättlicher Entwicklungs- und Marktmotor, der die Leistungsfähigkeit der Hardware in einer ständigen Entwicklungsspirale am Laufen hält. Die ständig zunehmende Zahl an Computern und anderen Spieleplattformen wie Multimediahandys bringt täglich neue Neugierige dazu, die große Welt des elektronischen Spielens zu entdecken. Innovative Steuerungssysteme mit Bewegungssensoren wie etwa bei Nintendos neuer Konsole Wii zielen zusätzlich und mit Erfolg darauf ab, niederschwellig und mit viel mehr körperlicher Bewegung als bisher neue Zielgruppen zu begeistern.

Klischee und Realität
Das größte Vorurteil gegenüber dem Spiel mit der Elektronik war stets die mangelnde soziale Komponente. Doch gerade auf diesem Gebiet straft die Realität das Klischee Lügen. Riesige Online-Spielewelten wie \"World of Warcraft“ oder Wettkampfspiele aller Sorten vernetzen weltweit Spieler auf Konsolen und PCs mit Millionen anderen Gleichgesinnten. Das gemeinsame Hobby führt Menschen aus unterschiedlichsten Ländern, Altersgruppen und sozialen Schichten zusammen - kaum ein Spiel kommt heute ohne eine kommunikative Multiplayerkomponente aus. Onlinewelten wie das medial allgegenwärtige \"Second Life“ demonstrieren mit Spieltechnologien schon heute die Möglichkeiten virtualisierten Zusammenlebens und auch die Geschäftsmodelle von morgen. In Anbetracht des ungebremst wachsenden Marktes und der spektakulären technologischen Weiterentwicklungen kann man schon heute getrost davon ausgehen, dass das Medium des Computer- und Videospiels im 21. Jahrhundert sowohl Film als auch Fernsehen hinter sich lassen wird. Der \"Homo ludens“ ist auf dem Weg in eine spielende Gesellschaft.

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