Cyber-Anarchie vs. Rechtsstaat
- Written by Redaktion_Report
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Ist alles was man als Web 2.0 bezeichnet rechtliches Brachland?
Rainer Knyrim: Leider glauben nach wie vor noch immer viele Anbieter und User im Internet, dass dort rechtliche Anarchie herrscht. Dies gilt umso mehr bei neuen Entwicklungen wie Web 2.0. Das Erstaunen ist dann groß, wenn sie beim illegalen Download, Abschreiben ganzer Textpassagen, Kopieren von Bildern, Stehlen ganzer Webauftritte oder Geschäftskonzepte, verbotenen Veröffentlichen von Daten oder beim Spammen erwischt werden. Heulen und Zähneknirschen folgt dann, wenn plötzlich ein Brief von einem Rechtsanwalt kommt, der nicht nur sofortige Unterlassung fordert, sondern auch Gewinnentgang oder Schadenersatz und mit einstweiliger Verfügung, Klage, Urteilsveröffentlichung etc. droht. Dann erkennen sie - leider zu spät - dass Rechtsverletzungen im Internet mittlerweile beinhart verfolgt werden. Die Deutlichkeit der Aufklärungsfilme der Urheberrechtsverwertungsgesellschaften gegen illegale Downloads zeigen zum Beispiel, dass diese nicht mehr als Kavaliersdelikte hingenommen werden.
Welchen Schutz haben Anwender im neuen Web? Welche Normen sind anwendbar? Welche Probleme gibt es?
Grundsätzlich sind alle Normen auch in Web 2.0 gültig. Der Anwender kann sich dort genauso auf Wettbewerbsrecht, das Urheberrechtsgesetz, Datenschutzgesetz, Telekommunikationsgesetz, E-Commerce-Gesetz usw. berufen wie in der Offline-Welt. Als Rechtsanwalt muss ich aber leider immer wieder feststellen, dass zwar die notwendigen Normen meist vorhanden sind, deren Durchsetzung aber nicht immer einfach ist. Richter müssen neue Technologien erst verstehen und neue Gesetze zur Online-Welt anwenden lernen. Behörden erhalten nicht genug Schulungen und Personal, um sich mit den neuen Problemen des Internet zu beschäftigten und dass die Sanktionierung so abstrakter Materien wie etwa des E-Commerce- oder des Datenschutzgesetzes teilweise durch Sachbearbeiter in Bezirksverwaltungsbehörden erfolgen muss, könnte überdacht werden. Problematisch ist aber vor allem die Globalität des Webs: Gegen Spammer, die heute aus den USA und morgen aus Russland spammen oder Domaingrabber, die österreichische Domains über Briefkastenfirmen auf so ausgefallenen Inselstaaten wie Tuvalu oder Vanuatu registrieren, ist nur mit großem Aufwand und höchst schwierig etwas zu erreichen.
Welche Rechtsfragen werden Ihrer Ansicht nach in Zukunft in diesem Zusammenhang Richter und Anwälte befassen?
Die Entwicklung des Web wird die Juristen immer wieder vor neue Anforderungen stellen. Ein Beispiel: Auf Second Life investieren derzeit hunderttausende Unternehmen und User Millionen realer Dollar für ein zweites Leben in einer vollkommen fiktiven Welt. Die Nutzungsbedingungen von Second Life bestimmen, dass deren Betreiber Linden Labs \"jederzeit jeglichen Inhalt von Second Life teilweise oder vollständig aus jeglichem Grund oder auch grundlos ohne Vorankündigung löschen kann\" und dafür auf keine erdenkliche Weise haftet. Wird ein Richter einen derartigen Haftungsausschluss gelten lassen? Ist Second Life einfach nur ein Computerspiel, das man nach belieben abdrehen kann? Oder doch eher eine neuartige Business-Plattform, deren Betreiber virtuelle Grundstücke verkauft, die er dann nicht nachher grundlos löschen darf?
Werden neue technische Entwicklungen unlösbare Rechtsprobleme bringen?
Juristen sind immer bemüht, neue technische Entwicklungen rechtlich zu erfassen. Neben dem oben geschilderten derzeitigen ernsten Problem der Rechtsverfolgung in einer völlig globalisierten Online-Welt könnte noch die Verschmelzung der realen mit der virtuellen Welt hinzukommen, die den \"old economy - Rechtsstaat\" vor ernsthafte Probleme stellt. Stellen Sie sich vor, Google kauft etwa Second Life und verknüpft es mit Google Earth und YouTube und schließt Kooperationen mit eBay und iTunes ab. Es könnte dadurch nicht nur zu einer totalen Vernetzung und Globalisierung kommen, sondern auch noch zu einer Vermischung von realer und virtueller Welt und es wären dann noch nie dagewesene Sachverhalte zu lösen, etwa: Ein Second Life - Avatar, der dort auf \"German Island\" lebt, in Google Earth aber in Burundi lokalisiert werden kann, behauptet in einem You Tube - Video, dass ein bestimmter ebay-User, dessen reales Haus er auf Google Earth in Kasachstan lokalisiert haben will, mit einem gehackten Avatar eines Minderjährigen auf ebay.fr einen virtuellen iPod durch Versteigerungsmanipulation billig ergaunert habe, mit dem er dann von einem Studenten aus Kolumbien über eine ftp-Plattform einer amerikanischen Universität illegal gekaufte Lieder von iTunes.com in der Bar eines virtuellen Nachtlokals namens \"Paris Hilton\", das im virtuellen Wien angesiedelt ist, abspielt. Könnte der bloßgestellte User auf Verleumdung klagen? Wo? Dürfte der Avatar zum Wahrheitsbereis die Herausgabe aller notwendigen Userdaten von Google verlangen? Könnte Paris Hilton auf Verletzung ihrer Namensrechte klagen? Wen? Wo? Wäre das Abspielen der Lieder in einer virtuellen Welt eine öffentliche Aufführung, für die Urheberrechtsabgaben zu zahlen sind? Wo muss das virtuelle Nachtlokal seine Eintrittsgelder versteuern? Usw. usw. Viele spannende Fragen, zu denen Juristen beweisen werden müssen, dass es keine unlösbaren Rechtsprobleme gibt.
Rainer Knyrim ist Referent auf dem CONEX Forum \"Web 2.0 goes Business“ auf dem Top-Manager führender Web 2.0 Unternehmen - wie JaJah, Wikipedia oder Drei über die aktuellen Trends sprechen.