"Es war nicht mein Herzenswunsch"
- Written by Redaktion
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In ihrem Elternhaus drehte sich alles um Schokolade. Schon deshalb wollte Michaela Rosenauer lieber Lehrerin werden. Heute führt sie das älteste Wiener Zuckerlgeschäft – ein kleines Schlaraffenland voller süßer Versuchungen. Über heiße Sommer, das kollektive Schälen von Orangen und warum der 24. Dezember für sie der schlimmste Tag des Jahres ist, erzählt sie im Report(+)PLUS-Interview.
(+) plus: Sie kommen aus einer Süßwarenfamilie, haben aber zunächst einen anderen Weg eingeschlagen. Warum sind Sie schließlich doch der Familientradition gefolgt?
Michaela Rosenauer: Die Vorbesitzerin war eine Kundin von Jonny Schokoladen, dem Betrieb meiner Eltern. Als sie in Pension ging, suchte sie eine Nachfolgerin. Ich war damals gerade mit dem Studium fertig und mein Vater hat mich gefragt, ob ich das Geschäft nicht übernehmen möchte. Es war nicht mein Herzenswunsch. Mittlerweile könnte mir nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen. Ich wollte mich nie selbstständig machen, weil ich bei meinen Eltern gesehen habe, wie sehr das ganze Familienleben von der Firma bestimmt wird. Weihnachten ist das Hauptgeschäft – von diesen Umsätzen zehrt man das ganze Jahr. Meine Eltern stehen sieben Tage pro Woche in der Produktion, schon als Kinder halfen wir z.B. beim Obstschneiden mit. Wenn eine Woche einmal nicht so gut gelaufen ist, war die nervliche Anspannung spürbar. Den Heiligen Abend empfand ich immer als den schlimmsten Tag des Jahres, weil alle total erschöpft waren. Dafür hatte die Erzeugung im Sommer komplett geschlossen und wir fuhren mit dem Toyota-Bus für sieben Wochen nach Griechenland.
(+) plus: Oft gibt es bei Firmenübergaben Probleme. Wie hat es bei Ihnen geklappt?
Rosenauer: Die Vorbesitzerin Edith Breithuber ist hier praktisch aufgewachsen. Ihre Mutter hatte das Geschäft in den 30er-Jahren übernommen und war Alleinerzieherin, die beiden Kinder kannten nichts außer dem Geschäft. Edith wohnt noch immer in der Wohnung darüber – insofern hab ich mir schon Gedanken gemacht. Sie geht ja jeden Tag hier vorbei, es gehört ihr aber nicht mehr. Da gehört viel Größe dazu. Im September 2002 habe ich das Geschäft übernommen. Sie hat ein Jahr mit mir gemeinsam gearbeitet, aber mir in dieser Zeit bereits alle Entscheidungen überlassen. Die Bestellungen für Weihnachten und Ostern gehen ja schon ein halbes Jahr vorher hinaus und über die benötigten Mengen wusste sie natürlich viel besser Bescheid. Als ich die Zotter-Schokoladen ins Sortiment aufnehmen wollte, riet sie mir aber ab: »Wer kauft eine Tafel Schokolade um 35 Schilling?« Sie rechnete nämlich immer in Schilling um und das erschien ihr viel zu teuer. Vom Verkaufserfolg war sie dann richtig überrascht. Inzwischen ist sie fast zu einem Familienmitglied geworden. Ich kann sie jederzeit um Rat fragen, aber sie mischt sich überhaupt nicht ein.
(+) plus: Es wirkt so, als sei hier die Zeit stehengeblieben. Haben Sie alles so gelassen, wie es war?
Rosenauer: Eigentlich habe ich viel verändert, aber so behutsam, dass es nicht auffällt. Die Regale sind wirklich alt, die habe ich nur erweitert, weil die Kunden ursprünglich vom Eingang gleich hinter den Kassenbereich gehen konnten. Der Boden und die Lampen sind neu. Lustigerweise fällt das immer nur Kindern auf. Am Anfang hätte ich am liebsten die Tapete heruntergerissen, aber jetzt gefällt sie mir gut. Auch die handgeschriebenen Preisschilder gehören irgendwie dazu.
Bild oben: handarbeit. Einige Süßigkeiten stammen aus eigener Produktion und sind nur in Spezialgeschäften wie diesem erhältlich.
(+) plus: Wird die offene Ware wirklich so stark nachgefragt, dass sich das rechnet?
Rosenauer: Mein Mann hätte ja sofort das ganze Geschäft umgebaut und alles in größeren Verpackungen abgefüllt. Aber wenn ich denke, wie oft ich pro Tag eine Schachtel Pralinen verkaufe und wie oft 10-Deka-Sackerl – die Menge macht den Unterschied. Wir sind den ganzen Tag nur am Einwiegen. Viele Kunden kommen in der Mittagspause und kaufen ein Sackerl Gelee oder Orangette.
(+) plus: Sie verkaufen viele klassische Süßwaren, die sonst nirgendwo erhältlich sind. Ist das die Chance, sich vom Angebot der Supermärkte abzuheben?
Rosenauer: Wir führen viele Nischenprodukte, die Supermärkte nicht lagern können. Zum Beispiel Tauperlen: Das sind ganz kleine Zuckerkugerl, die mit einer Flüssigkeit gefüllt sind – ein ganz traditionelles Wiener Produkt, das früher in goldenen Netzerln auf den Christbaum gehängt wurde. Die können nicht mit der Post verschickt werden, denn wenn eines zerbricht, kleben sie zusammen. Auch Seidenzuckerln, Krachmandeln oder die Rumpastillen, die meine Eltern herstellen, sind heikle Produkte. Wenn sie runterfallen, sind sie kaputt, das kann in einem Supermarkt leicht passieren. Auch wegen der Temperatur ist die Lagerung schwierig.
(+) plus: Manche Süßigkeiten kennen Kinder heute gar nicht mehr, weil diese in der Werbung nicht präsent sind. Sterben mit den Kunden auch diese Produkte aus?
Rosenauer: Zu uns kommen viele ältere Leute, in der Nähe gibt es aber auch zwei Kindergärten und das Theater der Jugend. Für Kinder ist das Geschäft schon etwas Besonderes. Wenn du ihnen sagst »Such dir was aus«, stehen sie mit großen Augen da und schauen stundenlang und überlegen. Wir haben jetzt viele Bio- und Fair-Trade-Produkte, das wird im 7. Bezirk stark nachgefragt. Vorwiegend lebe ich von meinen Stammkunden. Seit die Mariahilfer Straße eine Fußgängerzone ist, kommen aber auch mehr Touristen in die Gegend. Vor ein paar Jahren hat mir eine Kundin das Buch »111 Orte in Wien, die man gesehen haben muss« geschenkt. Ich wusste gar nicht, dass mein Geschäft darin vorkommt. Ich hab fast geweint vor Freude. Auch wenn ich es nicht selbst aufgebaut habe: In große Fußstapfen zu treten, ist nicht so einfach.
(+) plus: Wie viele Artikel führen Sie? Der Platz ist ja doch sehr begrenzt.
Rosenauer: Ein paar tausend auf jeden Fall, ich kann es gar nicht genau sagen. Allein das gesamte Zotter-Sortiment umfasst über 250 verschiedene Artikel. Dazu kommt die offene Ware und zu Weihnachten und Ostern noch einmal viel mehr. Wenn zu Beginn der Saison die Lieferungen kommen, ist das jedes Mal ein kurzer Schreckmoment. Ich bin immer erleichtert, dass wir doch alles verkaufen. Schlimm sind die Zeiten, in denen wenig zu tun ist. Das weiß ich nach diesem langen Sommer besonders zu schätzen. Mit zwei Monaten Ausfall rechnen wir ohnehin. Aber heuer lief die Klimaanlage von Anfang April bis Ende Oktober. Wenn die Kunden ausbleiben, habe ich schon manchmal unsichere Momente. Ich bin richtig dankbar, wenn es endlich wieder losgeht.
(+) plus: Stellt Ihre Familie noch alles per Hand her?
Rosenauer: Ja, wir sind die letzten Produzenten in Wien. Das Besondere an den Rumpastillen ist die hauchdünne Zuckerkruste und der kräftige Rum. Das lässt sich nur mit dem Auto transportieren, weil die Ware so zerbrechlich ist. Für die Orangette werden im Jänner vier bis fünf Tonnen Orangen geliefert und innerhalb von drei Wochen geschält und kandiert. Manchmal helfe ich noch mit. Im Geschäft herrscht immer so viel Trubel und in der Produktion sitzen wir um einen großen Tisch und schälen Orangen. Ich finde, das ist so eine beruhigende Tätigkeit.
(+) plus: Verwenden Sie besondere Zutaten?
Rosenauer: Die Orangenschalen könnte man zukaufen. Die sind aber nicht in Zuckersirup, sondern in einer Salzlake eingelagert, weil das länger konserviert. Das schmeckt fürchterlich. Für Orangette verwenden wir ausschließlich unbehandelte Bio-Orangen. Das Problem ist aber die Zertifizierung. Ein kleiner Betrieb kann sich das nicht leisten. Ich müsste die Produkte teurer verkaufen, obwohl die Qualität genauso ist wie früher. Dafür hätten die Kunden kein Verständnis.
(+) plus: Derzeit erleben wir einen richtigen Boom von traditionellem Handwerk. Wird das hier auch geschätzt?
Rosenauer: Vorigen Monat habe ich in der Auslage mit Fotos und Geräten die verschiedenen Produktionsschritte gezeigt. Das kam wirklich gut an. Als mein Großvater damit begonnen hat, war er stolz auf jede einzelne Maschine, die er sich leisten konnte. Jetzt läuft der Trend genau umgekehrt.
(+) plus: Wäre ein Vertrag mit Kaufhäusern eine Option?
Rosenauer: Auf der Süßwarenmesse in Köln kamen wir einmal mit Leuten einer deutschen Handelskette ins Gespräch. Von einem Tag auf den anderen bestellten sie dann plötzlich 10.000 Tafeln der Wiener Schokolade aus unserer Produktion. Im ersten Moment haben wir uns sehr gefreut, das ist ja für einen kleinen Betrieb ein Riesen-auftrag.
Die Ware sollte aber zu einem bestimmten Termin fertig sein und leider fiel der genau in die Karwoche. Wir fuhren also jeden Tag nach Geschäftsschluss in die Produktion und wickelten und verpackten Schokolade. Letztlich wurde die Ware aber erst eine Woche später als vereinbart abgeholt – wir hätten also ganz gemütlich, ohne diesen Stress arbeiten können. Die Rechnung blieb ein halbes Jahr fällig, den Skonto zogen sie doppelt ab und am Ende mussten wir froh sein, dass sie überhaupt bezahlt haben. Das mache ich sicher nie wieder.
Zur Person
Michaela Rosenauer wurde 1980 in die Wiener Süßwarenfamilie Dürnberger geboren. Ihr Großvater Alois Niederle hatte 1950 mit der Produktion von Rumpastillen begonnen und die Firma Jonny Schokoladen aufgebaut. Die Süßigkeiten wurden zunächst im eigenen Wohnzimmer hergestellt und bei Heurigen im Bauchladen verkauft. Später mietete die Familie einen Dachboden an, heute befindet sich die Manufaktur in Wien-Meidling. Der Betrieb wird heute von der Tochter des Gründers, Evelyne Dürnberger (geb. Niederle), und ihrem Mann, Anton Dürnberger, geführt.
Michaela Dürnberger (jetzt Rosenauer) studierte an der Universität Wien Lehramt für Mathematik und Sport. Seit 2002 ist sie Inhaberin des Geschäftes Bonbons Neubaugasse im 7. Bezirk. 1936 von Rosa Breithuber übernommen und seit 1938 von deren Tochter Editha Breithuber-Hlavacek geführt, ist es das nunmehr älteste Wiener Zuckerlgeschäft.