Arbeitsplatz 4.0
- Written by Martin Szelgrad
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Virtual und Assisted Reality verändern unsere Arbeitsumgebungen. Entwicklungen aus Österreich und international geben einen Vorgeschmack auf neue Effizienz und Komfort durch den Einsatz von tragbarer Technologie.
Eine der Grundlagen für Industrie 4.0 – die vernetzte Fabrik und automatisierte Prozesse – ist das Abbild der realen Welt im digitalen Raum. Das Wiener Unternehmen door2solution arbeitet mit Virtual Reality, um Produkte und Gerätekomponenten »begreifbar« zu machen. Die Visualisierungslösungen ermöglichen den Blick in das Innere von Maschinen und Anlagen. Nötig dazu ist lediglich ein herkömmliches VR-Set, wie es im Handel erhältlich ist, und ein Andocken des Systems an die CAD-Konstruktionsdaten der simulierten Teile. In einem digitalen »Showroom« können NutzerInnen diese nach Lust und Laune rotieren, bewegen und zerlegen. Eine mögliche Interaktion ist die »Explosion«: Ein Objekt wird per Antippen in Unterbaugruppen oder Teile zerlegt, die durch Näherziehen eine genauere Betrachtung erlauben. Zu jedem Objekt können Informationen verlinkt werden: technische Hinweise, Bilder oder Videos. Unterstützt werden so auch Schulungen für Servicetechniker, um beispielsweise die Reparatur eines Schiffsbaggers oder eines Schwerlastkrans auf einer Offshore-Plattform zu trainieren – Maschinen, die in der realen Welt schwer zugänglich sind. Die Visualisierungsdetails gehen bis in bewegliche Achsen, ein- und ausfahrende Zylindern, drehende Schalter und Schrauben.
»In der Industrie wird bereits viel vom digitalen Zwilling geredet – wir können diesen tatsächlich umsetzen«, sagt door2solution-Geschäftsführer Robert Siegel. In einer weiteren Entwicklungsstufe werden im 3D-Modell mit der Verknüpfung von Messdaten aus Sensoren auch Betriebszustände abgerufen und live dargestellt. Zeigt der Nutzer auf einen Zylinder, wird aus SAP Hana automatisch dessen Temperaturkurve ausgelesen und projiziert. Datenanalysen steuern Prognosen zu nahenden Wartungseinsätzen bei – »Predictive Maintenance«.
Das door2solution-Team demonstriert die unterschiedlichen Möglichkeiten gerne anhand eines Lego-Baggers, dessen Zwilling mit Brille und Handgesten chirurgisch zerlegt und wieder zusammengesetzt werden kann. Real besteht ein Bagger aus 12.000 bis 13.000 mechatronischen Einzelteilen. In interaktiven Ersatzteilkatalogen werden die als 3D-Modell dargestellten Betriebsmittel direkt mit den Stücklisten der Hersteller kombiniert. Die Softwarelösungen der Österreicher werden bereits von Kawasaki Motors Europe, Spezialisten wie Bystronic Glass, Wetrok und Schulthess Maschinen, Hersteller in der Reinigungstechnik, eingesetzt.
Browserbasierte Sicht
Die Wiener bieten den großen Vorteil, die VR-Bilder auch im Browser darzustellen. Spezielle Plugins müssen nicht installiert werden, ein Standard namens WebGL liefert die virtuelle Realität über die Datenleitung. Siegel ist überzeugt, dass sich VR zu einem wichtigen Vertriebskanal entwickeln kann: »Die Installation von VR ist aufgrund des Spielehintergrunds der Technologie denkbar einfach und auch für den engagierten Laien durchaus machbar.«
Ein weiterer Einsatzbereich erschließt sich für Marketing und Vertrieb. Waren die Besichtigung und das Testen von schwerem Gerät – wie etwa einem Bagger – bis dato nur bei einem Werksbesuch oder bei einer Baumaschinenmesse möglich, schafft VR auch hier Abhilfe. Interessierte können über Brille und Controller die Maschine an jedem Ort der Welt führen. Sie sehen, wie weit Schaufeln aufgehen, sie können Armlängen und Radien testen – auf Knopfdruck auch im Gebirge, in einem Tunnel oder in einem Hafen. Virtual Reality fördert ein tieferes Verständnis für den Aufbau und die Nutzung eines Produkts und kann letztlich viel Zeit und Geld sparen.
Smarte Zusammenarbeit
Schauplatzwechsel. Der IT-Dienstleister Nagarro ist Google-Partner bei Cloud-Services und bei Anwendungen rund um »Wearables« wie etwa Smart Glasses. Österreich-Geschäftsführer Damianos Soumelidis hatte im November 2017 eine internationale Expertenrunde zum Thema Assisted Reality nach Wien gebracht und Einsatzbereiche von AR-Anwendungen demonstriert. Im Mittelpunkt stand die »Google Glass«, die bei dem IT-Riesen seit Jahren in der Entwicklung ist, zwischenzeitlich totgesagt wurde und nun ein Revival bei Firmenkunden erfährt. Über dieses Hilfsmittel mit einer kombinierten Software-Intelligenz sollen komplexe Arbeitsabläufe effizienter, schneller und genauer abgewickelt oder dokumentiert werden können.
Bild oben: Das door2solution-Team mit Geschäftsführer Robert Siegel (Baggerfahrer) übersetzt Baumaschinen und anderes schweres Gerät in die virtuelle Realität.
»Informationstechnologie hat bereits die Arbeit im Büro massiv verändert und wird das in den nächsten Jahren auch am Arbeitsplatz in Produktionsumgebungen tun«, spricht Google-Manager James Lee von einem Paradigmenwechsel bei IT-Werkzeugen. PCs und auch mobile Geräte sind selbst in robusten Varianten für den gewerblichen Einsatz von Handwerkern, Technikern oder Industriearbeitern eher umständlich. Mit Augmented Reality aber haben Fachkräfte stets beide Hände für ihre Tätigkeiten frei. Die Anwendungsbereiche der Google Glass: Wartungsarbeiten auf Handymasten, in Fabrikanlagen, im Rechenzentrum – die »Data Factory« – oder im OP-Saal.
Doch auch für den Einsatz in herkömmlichen Büroumgebungen ist eine künftige Anwendung der Google Glass denkbar. Das schnelle, einfache Zuschalten von Kollegen und die Live-Übertragung des eigenen Sichtfeldes auf den Bildschirm anderer sei in allen Arbeitssituationen gefragt. Die smarte Brille könnte PC, Smartphone oder Tablet ersetzen. Und: Auch AR-Geräte werden immer kleiner und flexibler. »Wenn jemand aufs Handy schaut, wirkt das in der menschlichen Kommunikation ablenkend. Bei einem Screen, den man wie ein Kleidungsstück trägt, gibt es diese Störung nicht mehr«, so Damianos Soumelidis.
Während Google mit seiner Brille bewusst nicht mehr den Consumer-Markt, sondern große Unternehmen in der Industrie oder auch in der Gesundheitsversorgung adressiert, denkt James Lee, Vetriebsleiter für die Google Glass, bereits über nächste Schritte in der Technik nach. Vor allem die Verknüpfung mit Machine-Learning- und Artificial-Intelligence-Plattformen, mit Sprachsteuerung und smarten Sensoren biete noch »viele spannende Entwicklungsmöglichkeiten«. Was die Google Glass kostet? Offizielle Preise gibt es nicht, die Kosten sind jenen eines vollausgestatteten PCs oder Notebooks vergleichbar, meint der Google-Manager. Die Brille alleine aber wird kaum vertrieben. Seine Wirkung entfaltet das Gerät als Teil einer größeren Lösung bei den Unternehmen. »Wir können mit Unternehmen innerhalb von sechs bis acht Wochen ein Proof-of-Concept umsetzen. Unternehmen sparen nachweislich bis zu 50 % bei Wartungs- oder Reparaturarbeiten, wenn beispielsweise Techniker weniger oft an einen Standort fahren müssen«, ergänzt Nagarro-Manager Soumelidis.
Nagarro greift bei Projekten, die gemeinsam mit dem AR-Experten und Entwicklungspartner Upskill durchgeführt werden, auf Googles Plattformen für Cloud-Services, IoT und Machine-Learning zurück. »Wir müssen das Rad nicht neu erfinden, sondern nur mit unseren Schnittstellen an dieses Ökosystem andocken«, ist Soumelidis begeistert. Am wichtigsten sei aber das persönliche Ausprobieren, das Fühlen und Schmecken der Lösungen. »Wenn die Mitarbeiter ihre Glasses unbedingt behalten, sie nicht mehr hergeben möchten, dann hat man gewonnen«, betont James Lee die Wichtigkeit der Nutzererfahrung.