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"Ich gebe nie auf"

Foto: Beim Baurecht renne ich ähnlich gegen Paragraphen an, wie es sie im Asylrecht auch gibt. Ein Bauprojekt verzögert sich vielleicht um zwei Jahre – aber bei diesen Menschen ist es eine Entscheidung über ihre Zukunft. Foto: Beim Baurecht renne ich ähnlich gegen Paragraphen an, wie es sie im Asylrecht auch gibt. Ein Bauprojekt verzögert sich vielleicht um zwei Jahre – aber bei diesen Menschen ist es eine Entscheidung über ihre Zukunft.

Hans Jörg Ulreich revitalisiert »mit Herz und Liebe« Gründerzeithäuser und räumt dafür Preise ab. Für Familien, die akut von Abschiebung bedroht sind, stellt er unentgeltlich ein Haus zur Verfügung. Was in der Stadtplanung wie auch in der Asylpolitik falsch läuft und warum er sich nicht als »Gutmensch« sieht, erzählt Hans Jörg Ulreich im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Wien wächst rasant. Wird die Stadt das Wohnungsproblem rechtzeitig bewältigen können?

Hans Jörg Ulreich: Was jetzt gebaut wird, reicht nicht einmal ansatzweise. Wien ist eine der am stärksten wachsenden Städte Europas. Wir haben einen jährlichen Zuzug von 20.000 bis 40.000 Menschen und bräuchten 15.000 Wohnungen pro Jahr. Nur 7.000 bis 8.000 werden gebaut. Seit Jahren ist das Problem bekannt, aber die Politik reagiert nicht darauf. Dabei gäbe es genügend Baulandreserven. Auch Geld wäre da, aber die Rahmenbedingungen passen nicht. Ich mache seit langem darauf aufmerksam, dass wir auf eine soziale Katastrophe zusteuern. Wir brauchen einen Schulterschluss und ein Aktionsprogramm mit radikalen Reformen.

(+) plus: Woher kommen diese Widerstände?

Ulreich: Das ist eine historische Entwicklung. Wien ist bis Ende der 1980er-Jahre geschrumpft. Alle, die es sich leisten konnten, bauten sich am Land Häuser. Aus der damaligen Sicht hätte Wien jetzt nur noch 1,3 Millionen Einwohner. Diese Entwicklung kehrte sich völlig um, jetzt haben wir bald zwei Millionen. Die Planung ist aber immer noch nicht auf Wachstum umgestellt. Viele Häuser wurden vor über 100 Jahren gebaut, die Hoftrakte hat man in der Zeit der Schrumpfung auf Grünland umgewidmet und die Höhe der Häuser reduziert. Das war damals auch schlüssig: Wenn weniger Menschen da sind, kann man offener und luftiger wohnen. Jetzt gelten andere Voraussetzungen, die Flächenwidmung wurde aber nicht angepasst.

(+) plus: War das nicht auch eine Frage der Kosten? Die Sanierung von Gründerzeithäusern, die in Wien wesentlich das Stadtbild prägen, wurde doch erst durch die steigenden Wohnungspreise rentabel.

Ulreich:  Es gab Anfang der 1990er-Jahre schon einmal eine Wohnungsknappheit, und zwar im Zuge der Stadtsanierung, als kleine Wohnungen zusammengelegt wurden – aus drei 30-m2-Wohnungen wurde z.B. eine 90-m2-Wohnung. Die Stadt Wien steuerte mit einem massiven Bauboom geförderter Wohnungen dagegen. Teilweise führte das sogar zu einer Überproduktion: Am Leberberg standen jahrelang Wohnungen leer. Das drückte die Preise, für private Bauträger rentierte sich das nicht. Inzwischen wurde der geförderte Wohnbau deutlich zurückgefahren – im Vorjahr waren es nur 2.500 Wohnungen, ein Rekordtief! Diese Lücke schlossen bis jetzt immer die Privaten. Innerstädtisch zu bauen, ist jedoch um vieles teurer als auf der grünen Wiese – das rechnet sich nur durch ein faires neues Mietrecht.

(+) plus: Ist Wohnen inzwischen ein Luxusgut?

Ulreich: Für Wohnungen gibt es – wie bei jedem anderen Produkt – einen Luxusmarkt. Wien ist eine der lebenswertesten Städte der Welt, also besteht in diesem Segment natürlich auch eine entsprechende Nachfrage. Wohnen könnte generell ein Luxusgut werden, wenn die politischen Rahmenbedingungen nicht endlich angepasst werden. Es ist aber nicht Aufgabe der privaten Bauträger, sozialen Wohnbau zu machen. Wir bauen Wohnungen für das mittlere und obere Segment, das ist unser Markt. Den hat bis vor zehn Jahren der geförderte Wohnbau abgedeckt und uns gewissermaßen die Kunden weggenommen.

Das eigentliche Dilemma der unteren Einkommensschichten ist: Sie kommen in den sozialen, öffentlichen Wohnbau nicht mehr hinein! Die Hälfte des untersten Einkommensquartils wohnt im privaten Wohnbau, 60 % der Flüchtlinge ebenso. Die Sozialwohnungen kriegen nicht die sozial Schwachen. Die billigsten Wohnungen – das sind die ausbezahlten Genossenschaftswohnungen – werden ohne jegliche Einkommensprüfung vergeben. Auf der anderen Seite drückt man uns privaten Bauträgern einen Sozialtarif aufs Aug: Der Richtwert ohne Lagezuschlag ist genauso hoch wie der Gemeindebau-Mietzins. Das kann sich nicht ausgehen. In Graz liegt der Richtwert um ein Drittel höher als in Wien. Und sogar in Eisenerz, einer Abwanderungsgemeinde, darf ich um 20 % mehr verlangen als in dem aufstrebenden Viertel um den Yppenplatz im 16. Bezirk. Zumindest hochwertig sanierte Wohnungen sollte man marktüblich vermieten dürfen. Dann braucht man auch keine Wohnbauförderung.

(+) plus: Heftig umstritten war zuletzt das Heumarkt-Projekt. Täuscht der Eindruck oder wird in Wien besonders leidenschaftlich über Stadtplanung diskutiert?

Ulreich: Menschen haben Angst vor Veränderungen. Statt diese Angst durch logische Argumente aufzulösen, wird sie verstärkt. Was am Heumarkt passiert, geschieht in Wien bei jedem Bauvorhaben – nur nicht so prominent. Politiker scheuen sich vor Konflikten mit der Bevölkerung, sie wollen wiedergewählt werden und heulen deshalb lieber mit der Meute. Den Bürgerinitiativen geht es in den wenigsten Fällen um die Sache, sondern um Emotionen. Für Investoren ist das ein großer Unsicherheitsfaktor.

(+) plus: Ganz ehrlich: Gefällt Ihnen der Entwurf?

Ulreich: Über Geschmack lässt sich immer streiten. Es gab eine Juryentscheidung – ob es schön ist, liegt im Auge des Betrachters. Ein schöner Platz ist sicher ein Gewinn für die Stadt. Beim Museumsquartier oder beim Haas-Haus am Stephansplatz gab es ähnliche Vorbehalte. Inzwischen fotografieren schon fast mehr Leute das Haus als den Dom.

(+) plus: Stoßen Sie bei Ihren Bauprojekten auch auf Widerstände?

Ulreich: Mit 90 % der Leute kann man reden. Es reicht aber schon ein Anrainer, der Einsprüche erhebt. Ein Bauvorhaben kann sich so, ohne Kostenersatz, über Jahre verzögern und manche nützen das eben aus. Ein Projekt hat sogar zehn Jahre gedauert.

(+) plus: Haben Sie schon einmal aufgegeben?

Ulreich: Nein, ich gebe nie auf. Diesen Dingen darf man sich nicht beugen. Aber ein klares politisches Bekenntnis zum Bauen würde dem Magistrat den Rücken stärken und vielen Verzögerern und Verhinderern den Wind aus den Segeln nehmen. Dazu braucht es auch Änderungen in der Bauordnung.

(+) plus: Derzeit hat jedes der neun Bundesländer eine eigene Bauordnung, die teilweise vor Skurrilitäten strotzt. Macht das Sinn?

Ulreich: Das ist völlig absurd. Es gab einen Versuch, die Bauordnungen zu vereinheitlichen. Diese OIB-Richtlinien hätten alle technischen Normen für ganz Österreich festlegen sollen, aber man schoss übers Ziel hinaus. Von jedem Bundesland wurde nämlich – überspitzt gesagt – die strengste Richtlinie ausgewählt. Viele Bundesländer haben diese Regelungen deshalb gar nicht oder nur mit Einschränkungen übernommen. Stellplätze beispielsweise sind mit Abstand die größten Kostentreiber – und in zehn Jahren hat wahrscheinlich kaum jemand mehr ein eigenes Auto. Es gibt jetzt schon 10.000 mit Förderungen errichtete Stellplätze, die leer stehen. Trotzdem müssen wir weiterhin welche bauen, weil es vorgeschrieben ist. 30 % der Baukosten könnte man einsparen.

(+) plus: Sie sind seit 2010 Bauträgersprecher in der Wirtschaftskammer. Sind Sie inzwischen ernüchtert von den »Mühen der Ebene«?

Ulreich: Dass die Strukturen so veränderungsresistent sind, hätte ich mir nicht gedacht. Wir haben für alles Lösungen erarbeitet. Mittlerweile weiß man auch im Wohnbauressort, was zu tun wäre – aber der Mut zum Umsetzen fehlt. Viel lieber wird plakatiert, wie super alles ist. Das ist einfacher, als Reformen anzugehen. Die Bezirke haben ein großes Mitspracherecht, aber nicht das Know-how der Landesebene. Da wäre viel Aufklärungsarbeit notwendig: Wie sich das Mobilitätsverhalten ändert oder warum Nachverdichtung positive Seiten hat, weil dann der Greißler und das Kaffeehaus bestehen bleiben. Die Bezirksvorsteher werden damit allein gelassen. Eine Zentralisierung der Raumordnung auf Landesebene könnte hier den Druck nehmen. Dann ist nicht der Bezirksvorsteher der Böse, der seine Wähler – die Anrainer – ja im Büro stehen hat, sondern der Bürgermeister oder Stadtrat.

(+) plus: Wie passt das zur Einbindung der Bevölkerung?

Ulreich: Derzeit kommt ein Projekt nach Abstimmung mit allen Behörden in den Bauausschuss, der nur noch zustimmen oder ablehnen kann. Man muss die Menschen schon einbinden, z.B. indem gemeinsam Leitlinien erstellt werden, die in die Planung einfließen. Aber im Bauverfahren bitte nicht mehr! Der Bezirk greift jetzt zu einem Zeitpunkt ein, wo es keinen Sinn macht.

(+) plus: Ihre Projekte wurden mehrfach ausgezeichnet. Was bedeuten Ihnen solche Preise?

Ulreich: Am meisten freue ich mich über Feedback der Anrainer. Vor kurzem haben wir im 15. Bezirk ein Projekt fertiggestellt. Dort hatte sich anfangs eine Frau beschwert, dass wegen der Baustelle die Hundezone verkleinert wird. Jetzt, eineinhalb Jahre später, hat sie mich ganz begeistert angerufen, weil alles so schön geworden ist. Wir haben bewusst viele Objekte in erneuerungsdringlichen Gebieten, um die Gegend neu zu beleben. Wenn man Häuser mit Herz und Liebe baut, wird das als Aufwertung des Grätzels akzeptiert – auch von Menschen, die sich diese Wohnungen nicht leisten können: So ein schönes Haus, das muss ein besonderer Platz sein!

(+) plus: 2010 stellten Sie dem Verein »Purple Sheep« ein Haus für von Abschiebung bedrohte Menschen zur Verfügung. Waren Sie mit Anfeindungen konfrontiert?

Ulreich: Überhaupt nicht. Mir gegenüber hat sich niemand geäußert, abgesehen von ein paar Postings nach Medienberichten. Aber die lese ich nicht.

(+) plus: Was hat Sie zu dem Engagement bewogen?

Ulreich: Der Fußballfreund meines Sohnes wurde abgeschoben. Ich wusste bis dahin nicht einmal, dass dieses Kind ein Asylwerber war. Das hat mich so berührt. Ich wollte etwas gegen dieses Unrecht tun und habe mich entschieden, den Verein zu unterstützen. Beim Baurecht renne ich ähnlich gegen Paragraphen an, wie es sie im Asylrecht auch gibt. Ein Bauprojekt verzögert sich vielleicht um zwei Jahre – aber bei diesen Menschen ist es eine Entscheidung über ihre Zukunft. Da gibt es zum Beispiel ein Mädchen, das in Österreich geboren wurde, aber akut von Abschiebung bedroht ist, weil der Vater bei seiner Einreise vor 14 Jahren einen anderen Vornamen angegeben hat. Um solche Fälle aufzuzeigen, haben wir das »Freunde Schützen Haus« gegründet.

(+) plus: Nach der großen Flüchtlingswelle im Sommer 2015 kippte die öffentliche Meinung sehr rasch. Können Sie diese Entwicklung nachvollziehen?

Ulreich: Die Berichterstattung drehte sich nur um dieses Thema. Es wurde vermittelt, dass da vergewaltigende Horden brandschatzend durch die Stadt ziehen. Gegen diese Vorurteile muss man ankämpfen, indem man einerseits die Ängste ernst nimmt und in der Folge Aufklärung betreibt und dagegen hält, statt die Furcht zu bestätigen. Ganz gleich wie bei Anrainerverfahren.

(+) plus: Ist es in diesen Fällen gelungen, die Abschiebung abzuwenden?

Ulreich: Eigentlich in allen, das waren bis jetzt einige hundert Personen.

(+) plus: Würden Sie sich als »Gutmensch« bezeichnen?

Ulreich: Ich mache, was ich für richtig halte, und versuche, allen Leuten korrekt und verantwortungsvoll zu begegnen. Wenn jemand Müll trennt, ist er auch kein Gutmensch – das tut man einfach. Genauso sollte Menschlichkeit selbstverständlich sein.


Zur Person

Hans Jörg Ulreich, geb. 1967, studierte Betriebswirtschaft und gründete 1999 mit Robert Gassner die Ulreich Bauträger GmbH. Seit 2010 ist er Bauträger-Sprecher des Fachverbands der Immobilien- und Vermögenstreuhänder in der Wirtschaftskammer. Für seine Bauprojekte erhielt er mehrfach Auszeichnungen, u.a. den Energy Globe Award und den klima:aktiv-Preis. 2011 und 2014 wurde er als »Bauträger des Jahres« mit dem »Cäsar« prämiert.

2010 stellte Ulreich dem Verein »Purple Sheep« ein Haus in Wien-Meidling zur Verfügung, in dem Härtefälle des Asylverfahrens Unterkunft und Unterstützung fanden. Am früheren Standort wird jetzt ein Neubau errichtet, die Bewohner übersiedelten deshalb in ein Haus in den 4. Bezirk. Am Meidlinger Markt betreibt der Verein einen Marktstand und das Lokal »Purple Eat«, das Spezialitäten aus den Heimatländern der Geflüchteten anbietet.

Last modified onSonntag, 06 August 2017 19:21
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