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In den Kinderschuhen

In den Kinderschuhen Foto: Thinkstock

Die Bauwirtschaft hinkt anderen Branchen in Sachen Digitalisierung deutlich hinterher. Die Gründe dafür sind oft nur Ausreden. Es gibt aber auch Unternehmen, die die Zeichen der Zeit erkannt haben und sich den Herausforderungen einer digitalen Welt stellen. Als Allheilmittel für eine bessere Zukunft gilt das Building Information Modeling (BIM).

Die Bauwirtschaft gilt gemeinhin als traditionell, etwas träge und innovationsfaul. Doch damit tut mir ihr ein wenig Unrecht. Neue Technologien wie etwa die Bauteilaktivierung, die massive Baustoffe wie Beton oder Ziegel zum Heizen und Kühlen von Gebäuden nutzt, Trockenbauwände mit wasserabweisenden Spezialgipskern oder immer effektivere Dämmlösungen zeigen, dass die Branche punktuell sehr wohl innovativ und am Puls der Zeit ist.

Geht es allerdings um das Thema Digitalisierung, gibt es keine zwei Meinungen. Hier hat die Bauwirtschaft einen enormen Aufholbedarf. Laut der Studie »Digitalisierung der Bauwirtschaft – Der europäische Weg zu Construction 4.0« des Beratungsunternehmens Roland Berger gehen zwar 93 Prozent der Baufirmen in Österreich, Deutschland und der Schweiz davon aus, dass die Digitalisierung die Gesamtheit ihrer Prozesse beeinflussen wird. Doch bisher folgt dieser Erkenntnis in den wenigsten Fällen ein entsprechendes Handeln. Laut Studie nutzen weniger als sechs Prozent der Baufirmen durchgehend digitale Planungsinstrumente. Unter den befragten Baustoffunternehmen sind sogar 100 Prozent der Meinung, dass sie ihre Digitalisierungspotenziale nicht ausgeschöpft haben. Ein ähnliches Bild zeichnet eine Umfrage des Bau & Immobilien Report im Rahmen des Branchentreffs »Enquete Chance Hochbau«.

Demnach spielt immerhin für die Hälfte der heimischen Baubranche »die Digitalisierung von Bauprozessen und Bauabläufe« heute noch eine »sehr kleine« oder »eher kleine Rolle«.  »Die zögerliche Umsetzung überrascht vor allem mit Blick auf die Entwicklung der Produktivität in der Bauindustrie«, sagt Kai Stefan Schober, Partner von Roland Berger. In den vergangenen zehn Jahren stieg diese in Deutschland nur um bescheidene vier Prozent. Zum Vergleich: Die gesamte deutsche Wirtschaft verbesserte ihre Produktivität in diesem Zeitraum um elf Prozent, das verarbeitende Gewerbe sogar um 34 Prozent und das produzierende Gewerbe um 27 Prozent.

Auch Branchenvertreter wie Christoph Achammer, CEO ATP Architekten und Ingenieure, kritisieren, dass »während sich in der Anlagen- und Autoindustrie die Produktivität in wenigen Jahrzehnten verdoppelt hat, in der Bauwirtschaft keine wesentlichen Fortschritte erkennbar sind«. Die stationäre Industrie ist dem Bau auch deshalb weit voraus, weil viel stärker in Prozessen gedacht wird, die modelliert und laufend optimiert werden. Die Bauindustrie hat da sicher eine gewisse Sonderstellung, die aber oftmals auch als Ausrede benutzt wird, nämlich, dass fast ausschließlich Prototypen produziert werden. »Das stimmt zwar in gewisser Weise, aber dennoch gibt es sich ständig wiederholende Elemente, die man durchaus verbessern kann und muss«, sagt Gerald Goger, Professor am Institut für interdisziplinäres Bauprozessmanagement der TU Wien. Laut Goger tut sich zwar in der Bauwirtschaft einiges, die Branche hinke anderen Industrien aber sicher hinterher. »Vieles steckt noch in den Kinderschuhen.« 

Building Information Modeling

Spricht man in der Bauwirtschaft über das Thema Digitalisierung, landet man unweigerlich beim Building Information Modeling. Unter BIM versteht man die digitale Abbildung aller architektonischen, technischen, physikalischen und funktionalen Eigenschaften eines Bauwerks in einem zentralen Datenmodell. Dabei werden die Informationen aller Planungsprozesse erfasst, aktualisiert und dokumentiert. »Mit BIM erstellt der Architekt gemeinsam mit allen Projektbeteiligten ein intelligentes, fünfdimensionales Gebäudemodell, das nicht bloß die räumlichen Dimensionen seines Entwurfes abbildet, sondern die präzise Darstellung sämtlicher relevanter Daten in einer »Datenwolke« ermöglicht«, erklärt Dieter Hayde, HD Architekten.

BIM ist aber mehr als nur eine Software, es ist eine Frage der Unternehmens- und Baukultur. BIM wird durch konsequente Nutzung digitaler Daten zu einem umfassenden Wandel der Arbeitstechniken und Arbeitsweisen in der Bauwirtschaft führen. Ein wesentlicher und für die Branche weitgehend neuer Aspekt ist die frühzeitige Kooperation aller Beteiligten und die Offenlegung der realistischen Kosten von Anfang an. Die Nutzung von digitalen Bauwerksmodellen, gekoppelt mit Informationen wie Zeitplänen, Kosten oder Quantität, verspricht eine signifikante Steigerung der Produktivität und eine Reduktion der Fehler, da diese frühzeitig erkannt werden. Ein Blick in die BIM-Vorreiterländer zeigt, dass die Vorbereitungsphase eines BIM-basierten Projekts entscheidend für den Erfolg ist.

Denn die digitale gemeinsame Nutzung der Modelle via Projektmanagement-Plattformen birgt auch Risiken. »Wird an einem Modell gearbeitet, muss sichergestellt sein, wer welche Aufgabe im Prozess hat, wer was verändern darf und wer schlussendlich die Verantwortung trägt«, sagt Dörk Pätzold von PHH Rechtsanwälte. Daraus werden sich völlig neue Berufsbilder wie das des BIM-Managers ergeben. Das kann der Auftraggeber sein, wenn dieser genügend Ressourcen und Know-how bereitstellen kann, aber auch der Objektplaner, Projektsteuerer, der Bauunternehmer oder ein externer Berater. »Wichtig ist, dass alle Fäden bei ihm zusammenlaufen und er die Standards für das Bauprojekt aufsetzt und deren Einhaltung überwacht. Denn schlussendlich haftet meist der BIM-Manager für auftretende Fehler«, erklärt Pätzold.

Dass es an BIM in Zukunft kein Vorbeikommen gibt, ist unstrittig. Bei der flächendeckenden Verbreitung dieses neuen Instruments hinkt Österreich aber deutlich hinterher. Eine aktuelle Umfrage des Bau & Immobilien Report unter 137 Architekten hat ergeben, dass BIM heute nur für 5,11 Prozent eine »sehr große« und für 12,41 Prozent einer »eher große Rolle« spielt. Über 80 Prozent haben mit BIM noch nicht viel am Hut. Ganz anders die Situation in den USA, Großbritannien oder Skandinavien, dort ist BIM seit Jahren etabliert und vor allem aus öffentlichen Aufträgen nicht wegzudenken.  In Österreich sind öffentliche Auftraggeber wie die Bundesimmobiliengesellschaft noch zurückhaltend. »Ehe wir BIM zwingend vorschreiben, muss es weiter verbreitet sein. Das ist derzeit noch nicht der Fall«, sagt Geschäftsführer Hans-Peter Weiss.

Aktuell hat die BIG mit einem Gebäude der Musik-Universität in Wien ein Projekt mit ersten BIM-Ansätzen im Laufen. In Österreich sind es vor allem vereinzelte engagierte Architekturbüros wie ATP Architekten und Ingenieure oder HD Architekten, die das Thema vorantreiben. Die Skepsis und Ablehnung vieler seine Kollegen kann Dieter Hayde nicht nachvollziehen. »Wir können uns sowieso nicht wehren, BIM wird kommen. Die Bauindustrie wird sicher auf den Zug aufspringen.« 

Bauen in fünf Dimensionen

Tatsächlich tut sich bei den bei den Gro­ßen der Branche in Sachen BIM einiges. »Wir arbeiten mittlerweile nicht mehr in drei, sondern in fünf Dimensionen, inklusive Qualität und Kosten«, erklärt Porr-CEO Karl-Heinz Strauss. Zum ersten Mal eingesetzt wurde BIM bei der Porr bereits im Jahr 2011. Seither werden viele Aufträge BIM-unterstützt abgewickelt. »Wir hätten das Know-how und das Werkzeug, flächendeckend mit BIM zu arbeiten. Dafür ist aber ein umfassendes Umdenken bei allen am Prozess Beteiligten notwendig – so weit sind wir heute noch nicht«, sagt Strauss.

Bei der Strabag wird unter dem Stichwort BIM.5D sowohl im Hochbau als auch im Verkehrswegebau an der Digitalisierung des Bauprozesses gearbeitet. »Es gilt, das digitale 3D-Abbild eines Bauwerks mit der Dimension Zeit und den Planungs-, Bau- und Betreiberprozessen, vereinfacht gesagt der Dimension Kosten, zu verknüpfen und möglichst alle Daten in einem zentralen Bauwerksdatenmodell zu erfassen«, erklärt Konstantinos Kessoudis, Bereichsleiter für BIM.5D bei der Strabag. Dabei wird aktuell an den drei Fronten Planung, Ausführung und Betrieb gleichzeitig gearbeitet, der Schwerpunkt liegt auf der Schnittstelle zwischen Planung und Ausführung. Davon profitiert laut Kessoudis auch der Auftraggeber.

»Wir können etwa Mengen und Materialien schneller und in höherer Genauigkeit bestimmen. Der Bauprozess insgesamt wird kostensicherer, transparenter und terminsicherer.« Zu den größten Herausforderungen am Bau zählt die Zusammenarbeit der vielen Beteilig­ten. Deshalb wird im Rahmen von BIM.5D auch versucht, die Kommunikationskanäle zu verbessern, damit Informationen einfacher und schneller ausgetauscht werden können.

Derzeit tüftelt die Strabag weltweit an ersten BIM.5D-Pilotprojekten. »Die Nachfrage ist noch zurückhaltend, aber schnell steigend. Überall da, wo BIM.5D Sinn macht, wird es schon jetzt von uns angeboten und eingesetzt«, sagt Kessoudis. Für 2016 hat man sich das Ziel gesetzt, BIM.5D in den betrieblichen Alltag im Hochbau zu integrieren. »Wir entwickeln die Werkzeuge und Methoden weiter, schulen die Mitarbeiter und diskutieren mit der Auftraggeberseite und den Baubeteiligten die mögliche Verwendung von BIM.5D und legen gemeinsame Regelungen fest.« 

Auch bei Leyrer+Graf bereitet man sich intensiv und aktiv auf BIM vor. »In Bezug auf Innovationen zählen wir gerne zu den Early Birds«, erklärt CEO Stefan Graf, kritisiert aber die noch fehlenden BIM-Standards. »Wir starten unsere BIM-Aktivitäten bei diversen eigenen Projekten. Aber sobald es mehrere Beteiligte gibt, brauche ich einen gemeinsamen Standard. Aber das wird schwierig und noch sehr lange dauern«, ist Graf überzeugt. Deshalb seien es heute vor allem die ganz großen Unternehmen, die schon mit BIM arbeiten – Unternehmen wie Porr oder Strabag, die als Totalunternehmer agieren können und damit »von der Wiege bis zur Bahre« im eigenen System arbeiten können.n

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