»Strom folgt physikalischen Gesetzen, nicht politischen Massnahmen«
- Written by Martin Szelgrad
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ABB-Vorstandsvorsitzender Franz Chalupecky sieht große Herausforderungen im Energiemarkt und wünscht sich ein engagierteres Vorgehen Wiens beim Thema Elektromobilität.
(+) plus: Der Energiemarkt ist stark im Wandel. Was wird auf die Stromnetzbetreiber in den nächsten Jahren noch zukommen?
Franz Chalupecky: Die Herausforderungen der letzten Jahre bleiben auch für die nächste Zeit bestehen. Wir müssen hier aber zwischen Übertragungsnetzbetreibern, wie es die Verbund-Tochter Austrian Power Grid ist, und kommunalen Verteilnetzbetreibern unterscheiden.
Bei Letzteren ist weiterhin das Thema Smart Meter vorherrschend. Große Energieversorgungsunternehmen wie Wiener Netze müssen hier noch einiges tun, während andere, beispielsweise die Linz AG, in den vergangenen Jahren bereits investiert haben. Ich habe auch Verständnis für die Kritik, ob wir eine Vernetzung mit intelligenten Stromzählern in dieser Dichte und auf dieser Netzebene überhaupt brauchen. Wie man dazu auch immer steht – umgesetzt müssen die Rollouts aufgrund einer Verordnung trotzdem werden. Ein großer Netzbetreiber wird dazu einen zweistelligen Millionenbetrag investieren müssen.
Darüber hinaus müssen auch die Leitungen selbst erneuert werden – viele Stromkabel sind in die Jahre gekommen. Dann erfordern »smarte Netze« noch Investitionen in Informationstechnologie. All diese Herausforderungen sind kurzfristig mit den vorhandenen Budgets kaum zu stemmen – wir sehen daher mehrjährige Programme laufen. Kein Netzbetreiber gleicht darin dem anderen, da Netzarchitekturen, Betriebsgrößen und bereits erfolgte Investitionen überall verschieden gestaltet sind.
Auf der Ebene des Übertragungsnetzes wiederum ist der Ringschluss des 380-kV-Netzes in Salzburg noch offen. Erste positive Bescheide sind vorhanden – die Umsetzung wird allerdings noch vermutlich Jahre dauern. Die Umsetzung wäre ein sehr wichtiger Schritt für die Sicherheit der Stromversorgung in Österreich und in Europa.
(+) plus: Wie weit sind wir technisch und politisch von einem gemeinsamen Energiemarkt in Europa entfernt?
Chalupecky: Strom folgt physikalischen Gesetzen, aber nicht politischen Maßnahmen. Solange es in Deutschland sehr viel Erzeugung im Norden gibt, aber der Verbrauch in Mittel- und Süddeutschland stattfindet und auch nicht durchgehend Transportwege vorhanden sind, wird es Marktverschiebungen geben. Wenn man nun künstliche Barrieren und Grenzen zu anderen Ländern oder Regionen zieht, hat das vielleicht politische Gründe – aus technischer Sicht ist dies nicht immer optimal. Besser wären Schnittstellen anderswo als direkt an der Grenze.
Bei diesen Diskussionen spielen vielleicht auch unterschiedliche innenpolitische Sichtweisen mit. Will man beispielsweise den deutschen Strommarkt von seinen Nachbarn getrennt betrachten, müsste auch mit dem Überschussproblem durch die Erneuerbaren und den Förderungen generell anders umgegangen werden. Auch wird der Strompreis künftig noch stärker ein Faktor der Standortpolitik. Aber das sind Spekulationen, keine Fakten.
Derzeit geht diese Diskussion in die falsche Richtung. Eine Aufsplittung und eine Konkurrenz der Regionen mit ihren unterschiedlichen Energiestrategien ist genau das Gegenteil davon, was man mit dem EU-Binnenmarkt eigentlich kreieren möchte.
Die Ausrichtung auf den Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung ist natürlich richtig – es führt kein Weg daran vorbei. Womit ich und auch andere hadern, ist das eingeschlagene hohe Tempo.
Wenn Sie sich die Börsenkurse der großen Energiekonzerne anschauen, sehen sie, wie massiv Marktverhältnisse und Vermögenswerte verschoben werden. Mit den Förderungen wird die Liberalisierung, die erst vor wenigen Jahren erfolgt ist, ad absurdum geführt. Ein Teil des Marktes wird dem Wettbewerb ausgesetzt und offen gehalten, während ein anderer Teil einem strengen Regulativ unterworfen bleibt. Wenn ein Windpark über einen festen Einspeisetarif verfügt und damit garantierte Abnahmen hat, hat dies nichts mehr mit einem freien Wettbewerb zu tun. Da stellt sich für mich schon die Frage, ob dieser Weg der richtige ist.
(+) plus: Sie würden anstelle fixer Abnahmegarantien eher eine Investitionsförderung befürworten?
Chalupecky: Ja, im Sinne von: Möge die beste Technologie gewinnen. Klar ist aber, dass der Weg derzeit über Einspeistarife beschritten wird.
(+) plus: Die Wende wird einfacher zu stemmen sein, wenn Energiespeicher die Spitzen der Stromerzeugung aus Windkraft und Sonne auffangen. Doch sind Speicherkraftwerke nur in einem begrenzten Maß verfügbar. Wie sieht der Stand der Technik bei Batteriespeichern aus?
Chalupecky: An Batterietechnologien arbeiten ABB und viele andere Unternehmen auch. Man ist heute so weit, dass Batterien in Megawattgröße kurzzeitig Engpässe überbrücken können – wir sprechen hier aber noch von Intervallen von Minuten bis sehr wenigen Stunden. Eine Großstadt könnte damit noch nicht das Auslangen finden. Von Kompensationsanlagen dieser Größe ist man noch weit entfernt. Noch beschäftigt sich die Industrie mit Prototypen zum Sammeln von Erfahrungswerten. Nächste Schritte wird es dann sicherlich mit Anlagengrößen für den Bedarf eines Dorfes oder eines Stadtteils geben.
(+) plus: Zum Thema Elektromobilität: Könnten alle Elektrofahrzeuge in Europa im Vollausbau rein durch Strom aus Erneuerbaren angetrieben werden?
Chalupecky: Im Moment noch nicht – auch nicht in Österreich. Dazu müsste man massiv in die Netzstrukturen und in weitere Infrastruktur investieren. Es wäre natürlich sinnlos, thermische Kraftwerke zu bauen, um daraus Elektroantriebe zu speisen. Das würde nur Emissionen verschieben. Ihre Frage ist aber eher hypothetisch, denn in Wirklichkeit ist dies ein längerer Prozess, der über Jahre von der Wirtschaft, der Politik und der Gesellschaft gelenkt werden wird. Wenn aber in einem Land Elektromobilität sinnvoll ist, dann in Österreich – schließlich haben wir bereits mehr als 75 % Anteil erneuerbare Energien in der Stromerzeugung.
Ich habe immer schon damit gerechnet, dass dieses Thema auf unsere Straßen kommt. Völlig unterschätzt habe ich aber die Dauer, die Wien benötigt, Ladestationen auf öffentlichem Grund zu ermöglichen. Die Stadtregierung will Individualverkehr weitgehend vermeiden. Leider wird aus unserer Sicht E-Mobilität nicht wirklich forciert. Ich glaube aber nicht, dass man mit dieser Vorgehensweise den Individualverkehr aus der Stadt bringen wird. Der Ausbau der öffentlichen Verkehrsmittel in Wien ist zwar großartig. Man wird aber auch den Individualverkehr in der Stadt brauchen. Wenn man wollte, könnte man diesen jetzt konsequent in Elektromobilität umleiten.
Die EU und viele Staaten und Bundesländer haben die Chancen dazu bereits erkannt. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang das Unternehmen Smatrics, das den Ausbau von Ladeinfrastruktur zum Business-Model gemacht hat.
Ich frage mich, ob die Gesellschaft und die Politik bereit sind, noch einmal fünf bis zehn Jahre ungebremste Verkehrsemissionen zuzuwarten. Dazu kommt zunehmend auch der Druck der Automobilerzeuger, die von Jahr zu Jahr mehr Modelle bieten, mit Reichweiten von bald 400 km als Standard. Auch Steuererleichterungen bieten willkommene Lenkungseffekte.
(+) plus: Welche Kunden hat ABB in diesem Bereich?
Chalupecky: Unsere hundertste Schnellladestation in Österreich haben wir im Herbst 2015 an Smatrics verkauft. Darüber hinaus liefern wir an Landesenergieversorger, wie beispielsweise die vkw, aber auch an Fahrzeughersteller. VW empfiehlt seinen Händlern in Österreich, in eigene Schnellladestationen zu investieren, um das Thema bei den Kunden voranzutreiben und mit gutem Beispiel voranzugehen. Ein großer Kunde, den wir nennen können, ist die WEB Windenergie-Tochter ELLA AG. Neben Smatrics ist ELLA der derzeit aktivste Errichter von Schnellladestationen.
(+) plus: Welches Durchhaltevermögen braucht man als Konzern bei der Aufbereitung von neuen Märkten wie in diesem Fall Elektromobilität?
Chalupecky: Klammern wir einmal den Bereich Forschung und Entwicklung aus – dort weiß man nie mit Sicherheit, welche Arbeit zu einem Markterfolg führt. Für technisch ausgereifte, fertige Produkte aber – wozu ich eine Ladestation heute zähle – ist ein Marktfenster wenige Jahre offen. Wir hatten bei den Ladestationen nach zweieinhalb Jahren Marktaufbereitung für Österreich die richtige Entscheidung getroffen, an dieser Vision festzuhalten, und hatten das Glück und das Talent unserer Mitarbeiter, hier erfolgreich zu werden. Eine zweite Entscheidungsrunde hätte das Thema aber ohne diesen Erfolg im Konzern für Österreich wahrscheinlich nicht überlebt.