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Kern-Schmelze bei der Bahn

\"ÖBB-BossEin Jahrzehnt lang Grabesruhe und dann das:  Ein ÖBB-Chef redet beinhart Tacheles. Aber wie lange wird Christian Kern die neue Offenheit überleben? Und welche Konsequenzen haben seine Analysen für den Konzern und die Kunden?

Von Heinz van Saanen

Viele große Konzerne sind wendig wie Tanker. Dreht man am Ruder, merkt man einmal lange nichts. Steigt man auf die Bremse, geht sich ein Schläfchen aus, bis eine Verlangsamung spürbar wird. Die ÖBB agieren, um im Bild zu bleiben, eher wie ein schwerer Güterzug. Der ändert die Fahrtrichtung maximal am Kopfbahnhof. Und wenn der Lokführer in Wien Gas gibt, kommt der Zug irgendwo zwischen Neulengbach und  St. Pölten auf Sollgeschwindigkeit. Um einen Lokführer aus einer anderen Galaxie dürfte es sich bei dem neuen ÖBB-Chef Christian Kern handeln. Gefühlterweise wurde die Kommunikation bald nach seinem Amtsantritt luftiger. Jetzt wird etwa auch gebloggt. Und unter den Pressemitteilungen findet sich mehr als nur Meldungen der Marke „Sanierungsarbeiten am Bahnhof Hintertupfing angelaufen“. Dabei ließ es Kern aber nicht bewenden. Jetzt wird generalsaniert! Nach 100 Tagen im Amt lieferte er im September ein regelrechtes Feuerwerk. Ohne NLP-Neusprech und Managerfloskeln analysierte er glasklar die Stärken und Schwächen des Konzerns – und formulierte konkrete Zielvorgaben.

Die Schonungslosigkeit und Vollständigkeit, mit der das geschah, ist – nicht nur für die ÖBB – neu und fast schon revolutionär. Kein Gral ist heilig, keine Struktur in Stein gemeißelt (siehe weiter unten). Schon die schiere Anzahl der Großbaustellen ist erklecklich – und jede einzelne kostet die Steuerzahler Unsummen. Aufräumen will Kern nicht nur im Fußvolk. Das murrt schon lange, dass die Bahn bald mehr dienstwagenfahrende Häuptlinge als arbeitende Indianer habe. Tatsächlich haben die Bahnreform und die Holdingkonstruktion nicht nur den Konzern gelähmt, sonder auch die Anzahl der Manager in ungeahnte Dimensionen wachsen lassen. Alle vergoldet bis zur x-ten Ebene. Spätestens in der Ära Martin Huber verdienten schon die Prokuristen fast so viel wie kurz zuvor noch der letzte „echte“ Generaldirektor Helmut Draxler. Bis 2013 will Christian Kern den Overhead um mindestens 100 Manager reduzieren. Das ist ambitioniert – und wird 100 neue Feinde schaffen, die den „Neuen“ mit allen Mitteln sabotieren. Aufgeräumt werden soll auch in der durch die Bahnreform völlig aufgeblähten Verwaltung, wo 1.000 redundante Jobs wegfallen sollen. „Die linke Hand wusste nicht mehr, was die rechte tut“, kommentierte Kern das trocken.

Viel Feind, viel Ehr

Auch die geplante Verwaltungsreform ist ambitioniert, und die Zielerreichung bleibt abzuwarten. Ein Ergebnis steht freilich schon fest: Auch hier dürften sich die Betroffenen, sofern sie jemals Mitglied waren, aus dem Verein der  „Kern-Freunde“ abmelden. Wenig Freude dürften auch die Heerscharen von externen Beratern und Consultern haben, die die Bahn seit einem Jahrzehnt melken wie eine Genturbo-Kuh. Wie hoch die Einsparungen ausfallen werden, ist im Detail noch offen, laut Kern sollen sie aber „signifikant“ sein. Ganz rund läuft dieses Vorhaben aber noch nicht. Dass die ÖBB das mediale Trommelfeuer von ÖVP-Staatssekretär Reinhold Lopatka stoppen möchten, könnte vielleicht sogar noch argumentierbar sein. Österreich dürfte eines der ganz wenigen exklusiven Länder sein, wo Eigentümervertreter wie etwa ÖIAG-Chef Peter Michaelis beim Post-Börsengang sinnfreie und grundfalsche Pleiteszenarien an die Wand malen, die den Wert  der eigenen Staatsbeteiligung mindern, ohne dass das Konsequenzen hätte.

Aber alleine, dass in der Luft hängt, dass die ÖBB möglicherweise ausgerechnet Kern-Parteifreund und Rechtsanwalt Johannes Jarolim mit der Prüfung von Lopatkas Vorgehen beauftragt haben, ist mehr als ein kleiner Schönheitsfehler. Lopatka schießt sich medial übrigens bevorzugt auf ÖBB-Frühpensionsten ein. Er selbst hat – durchaus uneigennützig und daher wirklich bemerkenswert – anno dazumal in eigenen Pensionsangelegenheiten für die „Politpension neu“ optiert, die seinerzeit uralte Politprivilegien reduziert. Seinen ersten eigenen Pensionsbescheid, resultierend aus der Tätigkeit als steirischer Landtagsabgeordneter, hielt er trotzdem schon im zarten Alter von 43 Jahren in Händen.

\"DasWarum sich Kern das alles antut

Ein potenzieller Kardinal-Stolperstein auf dem möglichen Weg zur schwarzen Null 2013 ist auch die mächtige ÖBB-Gewerkschaft. Ihr Boss Wilhelm Haberzettl gilt gemeinhin als Raubein und der „wilde Willi“. Immerhin hat er quasi im Alleingang die ÖGB-Streikbilanz der letzten Jahrzehnte „aufgebessert“. Aber kein einziger Bahnboss der letzten 15 Jahre hat jemals auch nur „Off records“ behauptet, dass Haberzettl nur eisenhart, aber nicht konstruktiv sei. Die gespaltene „Liebe“ zu Haberzettl reicht bis in ÖVP-Kernkreise: Der Einzige, der sich bei der Bahn noch auskennt, war selbst von schwarzen Vorständen und Aufsichtsräten schon mehrfach zu hören. Auch der „neue“ Holding-Chef beißt nicht auf Granit. Die jüngsten Lohnabschlüsse waren moderat. Kein Geschenk, aber ein deutliches Signal für Kooperation statt Beton.

Unterstützung für Kerns offensiven Kurs signalisiert auch Infrastrukturministerin Doris Bures:  „Mit der neuen Struktur und dem neuen Management sind die Weichen gestellt. Der neue Bahn-Chef Christian Kern baut mit Engagement darauf auf. Dabei hat er meine volle Unterstützung“. Aber selbst das könnte zu wenig erklären, warum Kern sich in die Höhle des Löwen setzt. Ministerielle Unterstützung hatten auch frühere ÖBB-Chefs zuhauf. Von Ministern wie dem verhinderten Dienstjaguar-Fahrer Michael Schmid etwa. Kern tut sich das alles an, weil er muss. Er ist zu jung, um ohne beruflichen Makel, Schimpf und Schande in Pension zu gehen. Das analysierte der Report Plus bereits bei Amtsantritt. Kern ist ein Gezwungener, und das ist gut so. Abseits von seinen vielen medialen Feinden hört man auch von konservativen Managern: „Wir arbeiten eigentlich sehr gut zusammen.“ Ob die Vernunft siegt, wird freilich nur die Zukunft weisen. Viele schwarze wie auch rote Manager haben die personellen wie strategischen Parteispielchen längst satt. „Wir wollen einfach nur arbeiten.“ So etwas hört man freilich nur inoffiziell und unter der Hand. Aber vielleicht schafft Kern ja doch noch einen Durchbruch.

 

> Großbaustellen:

10 Jahre Richtungslosigkeit, Nehmertum und Sackgassen. Nach 100 Tagen Kern soll damit bald Schluss sein. Die wichtigsten Großbaustellen des Konzerns:

Die Zersplitterung der Bahn – vulgo Bahnreform – war ein Segen. Aber nur für neue Hundertschaften von Managern, deren Gehälter zudem regelrecht explodierten. Gleichzeitig blähten sich Verwaltung und Leerläufe auf. Bis 2013 will Kern den Overhead um mindestens 100 Manager und 1.000 Verwaltungsjobs reduzieren.

Der Güterverkehr hat in drei Jahren 650 Millionen Euro verbrannt und wird heuer ein  historisches Minus einfahren. Die Situation ist leicht paradox. Die Rail Cargo hat die Krise im Vergleich zu anderen Bahnen sehr gut bewältigt. Probleme schafft die ungarische MAV Cargo, eine Akquisition aus der Ära Huber. Der Albtraum könnte bald vorbei sein. Knebelnde Altverträge laufen aus, ein Turnaround bis 2012 ist vorstellbar.

Die unzähligen ÖBB-Töchter und -Enkel aus der Bahnreform entwickelten sich schnell zum Goldesel-Biotop für externe Berater und Consulter aller Schattierungen. Damit soll endlich Schluss sein. Bis 2012 will Kern die Aufwendungen signifikant kürzen.

Auch sonst ist Kern nichts heilig. Alle Geschäftsbeziehungen sollen ebenso wie die Führungskader auf den „Prüfstand“ geschickt werden, alleine Optimierungen im Einkauf sollen 100 Millionen bringen. Gefordert ist auch die mächtige Gewerkschaft: 43% der Kosten resultieren aus Personal. Dieser Kostenblock soll aus „Respekt vor dem Steuerzahler“ mit einem ganzen Maßnahmenbündel verkleinert werden.

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