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Auf den Spuren von Dornröschen

Die Autoindustrie hat seit dem Fall des eisernen Vorhangs in Centrope, der Europa Region Mitte, viel Geld investiert. Rund zehn Milliarden Euro sind in neue Produktionskapazitäten geflossen. Schuld daran war neben den deutlich niedrigeren Lohnkosten vor allem auch die Höhe der Förderungen, die oftmals bis zu 50 Prozent der Investitionen ausmachten. Ab 2008 sollen jährlich 3,2 Millionen Fahrzeuge in der Region produziert werden. Nur 20 Prozent des Fahrzeuges werden vom Hersteller selbst produziert, Fahrzeugteile im Wert von 20 Milliarden entfallen auf die Zuliefererindustrie. Das einstige El Dorado der Automobilindustrie hat aber auch seine Schattenseite. Die Logistikkosten sind enorm. Die VW-Niederlassung in Bratislava verschlingt 350 Prozent der Logistikkosten von westeuropäischen Niederlassungen. Es ist also nahe liegend, dass die OEMs verstärkt nach Zulieferbetriebe in unmittelbarer Nähe suchen. \"Diesen Trend hat man in österreich verschlafen“, sagt Daniel Palm, Leiter der Fraunhofer-Projektgruppe für Produktionsmanagement und Logistik in Wien, in seiner Keynote im Rahmen eines Branchentreffs unter dem Motto \"Hi(gh) Business im High Tea“. Derzeit partizipiere österreich am osteuropäischen Boom hauptsächlich durch die Mautgebühren, damit auch die Zulieferindustrie teilhaben kann, brauche es intelligente Lösungen. Denn schließlich sind ja nicht nur Zulieferbetriebe von den OEMs abhängig, der Kreis schließt sich auch in umgekehrter Richtung. So lässt sich etwa auch der enorme Erfolg von Toyota erklären. Toyota ist unter anderem auch deswegen zur profitabelsten Marke aufgestiegen, weil man sich rechtzeitig, also bevor man in neue Märkte gegangen ist, um ein funktionierendes Zuliefernetzwerk gekümmert. Davon profitieren die Japaner heute noch. Um die Versäumnisse der Vergangenheit wett zu machen, fordert Palm eine verstärkte Ansiedelung von Betrieben und gezielte Investitionen in die Infrastruktur, etwa eine Brücke über die March.

Kaum Unterstützung
Die drastische Einschätzung einer schlaftrunkenen österreichischen Zulieferindustrie können die Teilnehmer an der Podiumsdiskussion jedoch nicht teilen. Johannes Elsner, CFO von Eybl International, bezweifelt, dass österreich den Boom verschlafen hat. \"Wir haben Niederlassungen in Ungarn, Slowakei und Rumänien. Dennoch kommen 75 Prozent unseres Umsatzes aus Deutschland.“ Friedrich Huemer, CEO der Polytec Group Group, stellt offen die Frage, wie österreich am Boom im Osten profitieren soll, warum jemand in österreich anstelle der Slowakei oder Ungarn produzieren lassen soll. \"Es gab und gibt immer noch den Produktionskostenvorteil im Osten. Für österreich ist es schwierig am Boom zu partizipieren, denn zusätzlich zu den höheren Lohnkosten fallen trotz der räumlichen Nähe natürlich auch Logistikkosten an“, sagt Huemer, dem es - wirtschaftlich nachvollziehbar aber politisch völlig unkorrekt - lieber wäre, wenn \"es den Osten nicht geben würde“. Auch Peter Kuen, Cluster-Manager des Automotive Cluster Vienna Region, wehrt sich gegen das Pauschalurteil, die österreichische Zulieferindustrie hätte den Boom im Osten verschlafen. \"Die Vienna Region hat eine sehr internationale Ausrichtung. Unsere Kooperationen, Netzwerke und Cluster haben internationale Vorbildwirkung, das zeigt das rege Interesse an unserer Organisation aus Ländern wie Spanien und Frankreich.“ Dennoch bleibe festzuhalten, dass es in der lohnintensiven Produktion keinen Sinn macht, in österreich zu investieren.
Friedrich Huemer ist der festen überzeugung, dass die österreichischen Firmen gut daran getan haben, am Beginn des Booms im Osten nicht zu expandieren. \"Firmen, die auf Grund des Booms im Osten in österreich expandiert hätten, würden jetzt mit Sicherheit nicht gut dastehen.“ Investitionen und Expansionen würden nur dann Sinn machen, wenn es um Innovationen geht.
Es gibt in österreich viele kleine Player, die sich sehr erfolgreich in Nischen platziert haben. österreich kann nur über einschlägiges Know-how punkten. Es geht darum, die im Land vorhandenen Stärken zu stärken, wie Knut Consemüller, Vorsitzender des Rates für Forschung und Technologienetwicklung, immer wieder betont. Dass österreich über Stärken verfügt, die der Autoindustrie zu Gute kommen können, darüber herrscht am Podium Einigkeit. Neben der hohen Qualität der Ausbildung und der großteils gut ausgebauten Infrastruktur wird vor allem die Innovationskraft des Landes genannt. Auf die Frage, warum österreichische Firmen innovativer sein sollen als tschechische oder ungarische, strapaziert Huemer die Geschichte. \" Die Innovationskraft in österreich ist historisch gewachsen. Industriezweige wie die Textilindustrie sind schon relativ früh aus österreich abgewandert. Die Unternehmen mussten sich nach anderen Bereichen umsehen. Viele sind in Branchen gelandet, wo die Innovationskraft eine große Rolle spielt, etwa in der Automobilindustrie.“ Im Osten hingegen fehle diese Tradition noch.
Für die heimischen Unternehmen muss es also darum gehen, auf die Innovationskraft zu setzen und einen Blick in die Zukunft zu wagen. Sie müssen den OEMs geben, was die OEMs brauchen, um die Kunden zu begeistern. Ziel muss es sein, die Autoindustrie zu zwingen, sich den Standort österreich zu leisten, weil die Qualität der Arbeit die höheren Kosten kompensieren kann. Dabei kommt österreich zu Gute, dass viele Unternehmen bewusst in Deutschland oder österreich produzieren lassen wollen, weil es sich um ein Gütesiegel handelt. Vor allem dann, wenn Emotionen im Spiel sind. Porsche lässt natürlich in Deutschland fertigen, weil Porsche auch vom Qualitätssiegel \"Made in Germany“ lebt. Ein mühsam über Jahre aufgebauter Brand muss in erster Linie erhalten bleiben. Lohn- und Produktionskosten spielen da eine untergeordnete Rolle, denn potenzielle Kunden würden mit unverhohlener Skepsis reagieren, wenn der neue 911er plötzlich \"Made in Romania“ wäre.
Auch im Bereich der Arbeitskräfte hat österreich einen deutlichen Vorteil gegenüber osteuropäischen Ländern. Das liegt zum einen an der - noch - besseren Ausbildung, zum anderen an den zum Teil rücksichtslos durchgeführten Abwerbungsversuchen zwischen den einzelnen Betrieben. Kaum ist ein Mitarbeiter fertig ausgebildet, schon kommt die Konkurrenz und schnappt ihn weg. Das ist in österreich anders. Der Pool an arbeitslosem Branchenpersonal ist groß. Abwerbungen sind nicht nötig. Auch die Wechselbereitschaft vieler Arbeitnehmer ist eher gering, die Sicherheit des eigenen Jobs geht vor.

Die Chancen für die heimischen Zulieferbetriebe sind intakt, denn für die nächsten zehn Jahre ist mit weiteren Auslagerungen seitens der OEMs zu rechnen. \"Die Autobauer haben mit Outsourcing viel Geld verdient“, erklärt Polytec-Chef Huemer. An einen gegenläufigen Trend glaubt er nicht: \"Insourcing werde ich nicht mehr erleben.“

Historischer Bonus
Wenn Unternehmen den Schritt in den Osten wagen, entpuppt sich der Weg für viele als steinig. \"Wir sind seit zehn Jahren in Ungarn“, sagt Eybl-Finanzchef Elsner, \"aber erst seit fünf Jahren erfolgreich.“ Wichtig sei vor allem der Auftritt eines Unternehmens in der öffentlichkeit. Hier kommt heimischen Unternehmen die Geschichte zu gute. Zum einen die noch aus Zeiten der Monarchie stammenden traditionell guten Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn und zum anderen die relative Untätigkeit österreichischer Industrieller unmittelbar nach dem Fall des eisernen Vorhangs. \"Viele Unternehmen westeuropäischer Nationen, die als erster vom Osten profitiert haben, haben diese Länder regelrecht abgezockt. So etwas bleibt im Bewusstsein der Bevölkerung haften. Für Unternehmen aus Ländern wie Frankreich oder Italien ist es daher sehr schwierig, im Osten Fuß zu fassen“, weiß Elsner zu berichten.

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