Die Kunst der freien Rede
- Written by Redaktion
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Im Halbdunkel lauert das tausendköpfige Monster. Myriaden an Augen beobachten das Opfer, wie es dasteht, hilflos, vor Schreck zu einem Bündel Elend zusammengekrampft, ohne Fluchtmöglichkeit, ohne wirksame Waffen. Unfassbar viele Ohren ergötzen sich an jedem Räuspern, Stottern, Luftschnappen.
Gruselmär? Von wegen! Schreckliche Realität für die meisten, die jemals auf einer Bühne stehen und eine Rede vor größerem Publikum halten mussten.
Die wenigsten sind wirklich entspannt, wenn sie ihre Eloquenz öffentlich zur Schau stellen müssen. Selbst viele soziale Naturen winden sich beim Gedanken an eine öffentliche Präsentation. Schüchternern Menschen reicht der Gedanke an ein Vieraugengespräch mit dem oder der Vorgesetzten, damit die Nachtruhe sich verabschiedet. Dabei wissen die meisten, dass man eine Karriere ohne rhetorische Überzeugungskraft und Präsentationsskills heutzutage eher vergessen kann. Wer sich ausdrücken kann, dem hört man zu, weiß Business-Verbindungs-Guru Keith Ferrazzi. In seinem Buch »Geh nie alleine essen! und andere Geheimnisse rund um Networking und Erfolg« rät er Businessleuten mit Redehemmung, sich einem ganz besonderen Netzwerk anzuschließen: »Toastmasters International bietet ein Forum zur Entwicklung der rhetorischen Fähigkeiten. (...). Diese sehr gut geführte Organisation hat schon Millionen Menschen geholfen, ihre Sprech-Skills zu verbessern und ihre Ängste zu überwinden.« Und, ganz nebenbei, ihre Führungsfähigkeiten zu verbessern.
Redner-Netzwerk
11.700 Toastmaster-Clubs existieren in 92 Ländern. In Wien finden sich inzwischen drei Ableger. Einer davon ist den Mitarbeitern des Vienna International Centers vorbehalten, der Vienna Toastmasters Club und der Vienna Speakers Club stehen allen offen, die ihre rednerischen Fähigkeiten verbessern wollen. Der einzige Unterschied zwischen den beiden öffentlichen Clubs liegt im Versammlungstag, der Ablauf der Abende ist bei beiden ident. Auch, weil man bei den Toastmasters Wert darauf legt, dass alle Treffen weltweit nach dem gleichen Prinzip ablaufen. Ob Bombay oder Budapest, alle Versammlungen folgen dem gleichen Schema.
Aktive Teilnahme ist das Motto der 1924 gegründeten Organisation. Alle zwei Wochen treffen sich rund 20 bis 30 Mitglieder zu einem Klubabend. Nach einer Begrüßung durch den Toastmaster of the Evening, der die Sitzung leitet, folgen Stegreifimprovisationen. Mitglieder versuchen, in zwei Minuten auf eine zuvor nicht bekannte Frage zu antworten. Danach werden vorbereitete Reden präsentiert, zum Teil auch mit Powerpoint. Das Thema können die Redner frei wählen, es geht weniger um den Inhalt als um die Optimierung von Stimme, Körpersprache und Ausdruck. Businesspräsentationen und Verkaufsgespräche werden gerne geübt, heikle Bereiche wie Politik oder Religion eher vermieden. Anleitung für die Reden bekommen die Sprecher in Manuals, die im Mitgliedsbeitrag von 150 Euro im Jahr inkludiert sind. Die Reglementierungen und Standards machen es Toastmastern übrigens leicht, sich bei Geschäftsreisen oder bei einer Übersiedlung ins Ausland den örtlichen Clubs anzuschließen.
Ähm-Zähler
Nur-Zuhörer gibt es bei den Toastmasters keine, Mitglieder, die an einem Abend nicht zur Wort kommen, helfen ihren Kollegen. Der »Timer« achtet darauf, dass die Redner sich nicht verplappern. Ein »Grammarian« gibt Tipps, wie man seinen Satzbau optimieren kann. Andere zählen Füllwörter wie »äh« und »also« oder beobachten die Körpersprache des Vortragenden. Im dritten Teil des Abends geben andere Teilnehmer in einem Kurzvortrag Feedback zu den einzelnen Reden. Destruktive Kritik ist tabu, sagt Prof. Adelheid End, Oberärztin am Wiener AKH, es geht darum, den Rednerkollegen hilfreiche Tipps für die berufliche und private Weiterentwicklung zu geben. »Mich beeindruckt der respektvolle, höfliche und wertschätzende Umgang der Mitglieder miteinander.«
Weltweite Kommunikation
Wem die regionalen Treffen zu wenig sind, kann sich bei den zweimal jährlich stattfindenden, überregionalen Konferenzen in Workshops und Präsentationen weiterbilden. Ehrgeizige Mitglieder können ihre rhetorischen Fähigkeiten mit denen ihrer europäischen Toast-Kollegen im freundschaftlichen Wettbewerb messen. Und durchaus den einen oder anderen karriererelevanten Kontakt knüpfen. Im Gegensatz zu klassischen Businessnetzwerken ist die Geschäftsanbahnung bei Toastmaster-Treffen eher kein Schwerpunkt. Was aber nicht heißt, dass sich in der Pause und im informellen Teil nach dem Meeting nicht durchaus Möglichkeiten zum beruflichen Networking ergeben, sagt Mag. Monika Nagel, seit 2005 aktive Toastmasterin. Kennen gelernt hat sie das Netzwerk im Zuge ihres MBA-Studiums an der Webster University, in einem Präsentationskurs, gestaltet nach den Prinzipien des Rhetoriker-Netzwerks. »Ich habe gesehen, wie diese Methode Meilensteine in der Kommunikation setzte.« Inzwischen führt die Abteilungsleiterin bei Porr Solutions Gmb den Vienna Toastmasters Club. »Meine Kommunikation ist klarer und effizienter, mein Durchsetzungsvermögen stärker geworden.«
Seine Leadership-Skills trainiert man spielerisch, indem man diverse Rollen in der Organisation übernimmt, sagt Mag. Nagel. »Jedes Mitglied ist wichtig, jeder übernimmt Verantwortung. Man lernt, einen Abend zu moderieren, ein Team zusammenzustellen und einen Kollegen konstruktiv zu kritisieren.« Viele Manager, Politiker und Freiberufler profitieren von ihrer Mitgliedschaft bei den Toastmastern. Aber auch Studenten, Assistenten und Mütter in Karenz finden sich zweimal im Monat im Seminarraum des Hotel Biedermeier in Wien Landstraße ein. »Es ist eine Mischung interessanter Menschen, ca. 30 % der Teilnehmer kommen nicht aus Österreich.«
Business Language
Bei den Wiener Clubs spricht und präsentiert man – bisher – ausschließlich auf Englisch. Grund genug für Dr. Adelheid End, sich den Toastmasters anzuschließen. Schließlich referiert die Thorax-Chirurgin über ihre Erkenntnisse auf diversen internationalen Kongressen. »Man lernt auf spielerische Weise, in angenehmer Umgebung, gewinnt dadurch an Freiheit und Spontaneität. Präsentieren macht noch mehr Spaß, wenn das Reden noch leichter und flüssiger wird.«
Wer glaubt, für den Clubbeitritt geschliffenes Englisch wie ein Oxford-Professor sprechen zu müssen, irrt. »Unsere Mitglieder weisen verschiedene Levels an sprachlichem Können auf, es ist nicht so, dass alle gut Englisch sprechen«, sagt Nagel. Trotzdem befürchten potenzielle Mitglieder, dass ihre Kenntnisse nicht ausreichen. »Tatsächlich ist diese Angst unbegründet. Nach einiger Zeit sieht man auch hier, dass Übung den Meister macht.«
Gute Nachricht zum Schluss: Wer es sich nicht vorstellen kann, auf Englisch zu parlieren, kann demnächst wohl trotzdem Toastmaster werden. Bei Interesse ist nämlich angedacht, in Wien auch einen deutschsprachigen Club zu gründen.
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