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Zielobjekt Mitarbeiter

Die »Krankenakten-Affäre« der ÖBB ist nur die Manifestation eines Trends.. Aber wo endet gesunde Mitarbeiterkontrolle, wo beginnt der Kontrollwahn?

Die Sowjetunion ist schon lange Geschichte. Aber eine Weisheit des alten Lenin feiert fröhliche Urstände: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ausgerechnet der »Klassenfeind« hat das Motto des Berufsrevolutionärs scheinbar aufgesogen wie ein Schwamm. In den USA ist Datenschutz ohnehin beinahe ein Fremdwort. Aber auch in Europa grassiert die Datensammel- und Kontrollwut. Besonders bunt trieben es zuletzt die deutschen Nachbarn, wo viele Unternehmenslenker Gesetze offenbar eher als unverbindliche Empfehlung aufgefasst haben dürften (siehe Kasten). Der Druck durch die in den letzten beiden Jahren aufgeflogenen Skandale wurde so groß, dass selbst mächtige Konzernbosse wie Hartmut Mehdorn ihren Hut nehmen oder wenigstens öffentlich das Büßerhemd anziehen mussten. Die Vermutung, dass deutsche Sitten auch in Österreich einziehen könnten, erhielt erstmals im Sommer Nahrung. Die Welser Firma Tiger Lacke soll ihre Mitarbeiter mit eher unkonventionellen Methoden überwacht haben. Im Arsenal der Oberösterreicher: Krankenstands-Hitlisten, Überwachung der Mitarbeiter-E-Mails und des Surfverhaltens oder versteckte Kameras. Dem Firmenchef ging es angeblich darum, einem unerklärlichen Materialschwund auf die Spur zu kommen. Peinlich, dass sich der Schwund in der Folge als Buchhaltungsfehler herausgestellt hat. Gänzlich von der Hand zu weisen ist zumindest die Motivation für Kontrollmaßnahmen trotzdem nicht.

Dass Materialschwund in vielen Unternehmen ein ernstes Problem darstellt, dürfte eher eine Tatsache als eine Vermutung sein. Dass etwa in Supermärkten nur die Kundschaft klaut, glaubt nur die Mimi-Tante. Während an der Kassa unbezahlte Einzelstücke vorbeigeschmuggelt werden, tun sich etwa für einen Lagerleiter ganz andere Möglichkeiten auf. Es soll schon vorgekommen sein, dass Ware gleich palettenweise verschwindet. Eine ausgeklügelte Logistik sorgt dafür, dass die »heiße Ware« unter Mithilfe von Lieferanten innerhalb von Minuten bei einem Gastronomen landet, der nicht viele Fragen stellt und auf Lieferscheine oder Rechnungen verzichten kann. Großbaustellen sind ebenfalls ein Paradies für organisierte Langfinger aus den eigenen Reihen. Auch der Ex-Chef der Deutschen Bahn wollte die Korruption einbremsen. Durchaus eine ehrbare Motivation. Dass Hartmut Mehdorn jedoch 173.000 Mitarbeiter und 8.000 Lieferanten durchleuchtete und deren Daten abglich, war doch zu viel des Guten. Generalverdacht ist keine juristische Kategorie, mit der sich solche drastischen Maßnahmen rechtfertigen lassen würden. Ganz wild sind die deutschen Konzerne auch auf die Krankendaten ihrer Mitarbeiter. Kaliber wie beispielsweise die Deutsche Post oder Daimler sammelten einschlägiges Material.

Auch Unternehmer werden »gläsern«
Ein Vorgehen das in zivilisierten Ländern nicht nur einschlägige Datenschutzbestimmungen aushebelt, sondern auch Grundrechte wie das Arztgeheimnis und das besondere Vertrauensverhältnis Arzt-Patient tangiert. Dass bei den ÖBB die Krankenakten-Affäre hoch kocht, war wohl nur eine Frage der Zeit. Auch abseits der Bahn-Kalamitäten zeigt das Arztgeheimnis leichte Erosionserscheinungen. Schon 2007 befürchteten Standesvertreter, dass die Gesundheitsbürokratie durch die Hintertür die Aufgabe des Arztgeheimnisses erzwinge. Anlass für den ärztlichen Unmut: Die im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen gesammelten Patientendaten wandern digital und nicht anonymisiert zum Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Ein pikantes Detail: Die Neugier von Firmenchefs schafft nicht nur gläserne Mitarbeiter. Der Weg zum »gläsernen« Selbstständigen ist ebenfalls schon geebnet. Die neu geschaffene Möglichkeit zur Entgeltfortzahlung für Selbstständige soll die Absicherung im Krankheitsfall oder bei Berufsunterbrechung sicherstellen. Was von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft zweifelsfrei gut gemeint ist, hat jedoch einen kleinen Haken: Es ist Usus bei der SVA, dass die so freiwillig Zusatzversicherten zum Nachweis der Anspruchsberechtigung neben einer ärztlichen Bestätigung auch die Diagnose vorlegen müssen.
Bei einer harmlosen Grippe mag das noch unproblematisch sein, die Diagnose Krebs könnten Versicherte jedoch schon lieber als intime Privatsache behandelt sehen. Firmenbossen mit HIV oder Geschlechtskrankheiten dürften angesichts der gängigen Praxis überhaupt mulmig werden. Ein Grundproblem: Gesammelte Daten haben die Tendenz, auch ausgewertet zu werden. Eine Erkenntnis, die auch Harald Wögerbauer anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Datenschutzrates nachdenklich stimmte. »Je mehr Daten vorhanden sind, desto schwieriger wird es, Missbrauch zu verhindern«, sagte der Ratsvorsitzende bei der Feier im Parlament.
Aus heiterem Himmel ist auch die ÖBB-Krankenakten-Affäre nicht gekommen. Ex-Personalchef Franz Nigl, als Ausputzer und Mann fürs Grobe in den Konzern geholt, hatte nie den Ruf, besonders zimperlich oder zart besaitet zu sein. Dass die Holding noch im Frühsommer über eine Entschärfung der Novelle zum Datenschutzgesetz (DSG) jubelte, zeugt nicht gerade von glühendem Engagement für Schutzmaßnahmen (siehe Faksimile). Im Konzern wird das blanke Schwert gezückt. Um die eigene Haut zu retten, lautet das aktuelle Motto: jeder gegen jeden. Und nachdem die Beteiligten befreundete Journalisten füttern, gibt es ein mediales Desaster als Draufgabe gratis. Eine unheilvolle Dynamik, die man sich zum Wohl des Unternehmens besser erspart hätte.

Paragraphen-Zank und »Supergau«
Das DSG soll nach Expertenmeinung einmal am Puls der Zeit gewesen sein. Aber das ist freilich schon bald ein Jahrzehnt her. Nachdem ein Anlauf für eine DSG-Novelle 2008 versandet war, wird am DSG 2010 gearbeitet. Der vorliegende Entwurf bietet Verbesserungen, aber auch Konfliktstoff. Gegenüber dem alten Entwurf entfiel ein ursprünglich geplanter betrieblicher Datenschutzbeauftragter. Die SPÖ möchte hier angesichts der ÖBB-Affäre nachjustieren, die WKO legt sich quer. Das DSG oder das strenge Arbeitsverfassungsgesetz biete laut Wirtschaftskammer ohnehin genug Sanktionsmöglichkeiten zum Schutz der Arbeitnehmer. Bewusstseinsbildung sei wichtiger als ein teurer Datenschutzbeauftragter. »Wenn sich jemand bewusst über bestehende Regelungen hinwegsetzt, nützt auch ein neues Gesetz nichts«, sagt Hans-Jürgen Pollirer, Obmann der Bundessparte Information und Consulting. Das zeige das Beispiel Deutschland: Dort gibt es einen Datenschutzbeauftragten, genutzt habe das wenig. Pollirer setzt daher eher auf Bewusstseinsbildung als auf verschärfte Gesetze.
Die ARGE Datenschutz wiederum kritisiert, dass neue technologische Entwicklungen wie RFID-Chips oder Personenortung in der geplanten DSG-Novelle nicht geregelt sind. Personalexperte und Headhunter Andreas Landgrebe stellt die Sinnhaftigkeit von überzogenen Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen überhaupt in Frage. »Motivierte Mitarbeiter muss man nicht ständig kontrollieren. Wenn man mit solchen Maßnahmen anfangen muss, hat man schon etwas falsch gemacht«, so der Managing Director für Boyden Österreich und Osteuropa. Arbeit sei nicht nur Gelderwerb, sondern Inhalt. Wenn die Kontrollwut nicht nur frustrierte Mitarbeiter erzeugt, sondern auch noch Geld und Reputation kostet, ist das für Landgrebe ein »Supergau«.

 

Die Grenzen der Kontrolle
Dass das Sammeln von detaillierten Krankenakten nicht legal ist, dürfte sich nach der ÖBB-Affäre bereits herumgesprochen haben. Unternehmen haben aber auch noch andere Stoppschilder zu beachten:

>> Wird die »Menschenwürde« berührt oder die Arbeitsleistung via IT protokolliert, braucht es dazu zwingend eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat. Gibt es keinen Betriebsrat, bedarf es der Zustimmung der einzelnen Mitarbeiter.

>> Private E-Mails der Mitarbeiter sind eine absolut verbotene Zone. Weder die IT-Abteilung noch die Geschäftsleitung dürfen mitlesen.

>> Zeitkontrollen wie Stechuhr, Zutrittskontrollen und/oder damit verbunden Firmenausweise sind üblicherweise statthaft. Werden jedoch etwa Videokameras oder EDV-Anlagen verwendet, um Rückschlüsse auf die individuelle Arbeitsleistung zu ziehen, braucht es auch hier eine Betriebsvereinbarung.

 

Seitenblicke: Deutsche Skandalwellen
Im Vergleich zu deutschen Verhältnissen stellt sich die Affäre um ÖBB-Krankenakten fast schon mickrig dar. Ein kleiner Auszug aus der Chronik des Schreckens:

>> Der Textildiskonter kik wollte es scheinbar ganz genau wissen und beauftragte laut »Spiegel« Bonitätsauskünfte über 49.000 Mitarbeiter. Der nordrhein-westfälische Datenschutzbeauftragte erstattete Anzeige. Lidl, Schlecker und weitere fünf Einzelhandelsketten setzten wiederum Detektive auf ihre Mitarbeiter an und bespitzelten sie angeblich mit versteckten Videokameras oder durch Lochwände.

>> Bunt trieben es die staatlichen Ex-Monopolisten. Die Bonner Staatsanwaltschaft ackert sich durch 90.000 Seiten Akten, um den Telekom-Abhörskandal aufzuarbeiten. Die Deutsche Bahn wiederum überprüfte 173.000 Mitarbeiter und filzte Journalisten. Die Manager wussten angeblich von nichts, wurden aber trotzdem in die Wüste geschickt. Die Deutsche Post sammelte – wie andere Konzerne übrigens auch - Krankendaten.

>> Die Deutsche Bank fühlte ihren Aufsichtsräten auf den Zahn. Quasi via »Rasterfahndung« wurden angeblich Telefonkontakte mit Journalisten gefiltert. Derzeit ermitteln die Staatsanwälte, die Bank-Chefs selber wussten, trotz gegenteiliger Aussagen von leitenden Ex-Mitarbeitern, angeblich von nichts.

 

 

Last modified onFreitag, 09 Oktober 2009 14:36
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