Menu
A+ A A-

"Europa wollte das genaue Gegenteil erzielen"

Franz Chalupecky, ABB: "Der Strompreis ist so niedrig, dass sich abgesehen von Wind und Solar im Moment nur Atomstrom und Kohlekraftwerke rentieren." Franz Chalupecky, ABB: "Der Strompreis ist so niedrig, dass sich abgesehen von Wind und Solar im Moment nur Atomstrom und Kohlekraftwerke rentieren." Foto: ABB

ABB-Geschäftsführer Franz Chalupecky erwartet einen weiteren Boom für die Bereiche Elektromobilität und Industrie 4.0. Report (+) PLUS verrät er seinen Wunsch an EU- Energiekommissar Miguel Arias Cañete.

Wie ist es ABB im abgelaufenen Kalenderjahr in Österreich ergangen? Was sind die stärks­ten Marktsegmente, die Sie bedienen?

Franz Chalupecky:
Wir blicken auf ein anspruchsvolles, aber solides Geschäftsjahr zurück. Wir können trotz eines Wirtschaftswachstums, das schwächer als erwartet ausgefallen ist, und zurückhaltender Investitionen in der Energieerzeugung und der Industrie sagen, dass ABB gut für die Zukunft aufgestellt ist. ABB bietet Produkte und Lösungen für eine sichere, energieeffiziente Stromerzeugung, -übertragung und -verteilung und zur Steigerung der Produktivität von Industriebetrieben, Handels- und Versorgungsunternehmen.

Die Palette reicht dabei von Schaltern und Steckdosen über Roboter bis hin zu großen Transformatoren und Steuerungssys­temen für ganze Stromnetze und Fabriken. Aufgrund dieses breiten Produkt- und Systemportfolios ist es uns gut gelungen, die teils schwierigeren Rahmenbedingungen wie etwa im Segment der Energieerzeugung durch die positive Entwicklung in anderen Bereichen, wie im Bereich Robotics oder Schnellladestationen für E-Autos, abzufedern. Wir haben unsere Kunden dabei unterstützt, Energie effizient zu nutzen, die industrielle Produktivität zu steigern und gleichzeitig die Umweltbelastung zu reduzieren.

In welchen Bereichen sehen Sie großes Wachstumspotenzial für ABB?

Chalupecky:
Wir sind heute auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette der erneuerbaren Energien präsent – von der Stromerzeugung über den effizienten Energietransport bis hin zur Elektromobilität, wo wir weltweit und auch in Österreich zu den führenden Anbietern von Gleichstrom-Schnellladesystemen zählen. Darüber hinaus bauen wir unsere weltweite Führungsposition im Bereich der Hochspannungsübertragung aus. Weltweit, aber auch in Österreich eilt das Robotikgeschäft von Erfolg zu Erfolg. Mit unserem Fokus auf innovative und hochwertige Produkte und Systemen in den Bereichen Energie- und Automationstechnik sowie der Gebäudeautomation bieten wir bereits heute Lösungen für zukunftsrelevante Themen wie Smart Grids, Smart Homes, Energieeffizienz und nicht zuletzt auch Industrie 4.0, die für die nächste Stufe der Automatisierung, Flexibilisierung und Professionalisierung von Produktionsprozessen steht. Wir sind somit für die Zukunft sehr gut gerüstet.

Wie steht es mit der Idee zur Industrie 4.0?

Chalupecky:
Unter dem Begriff Industrie 4.0 verstehen wir das Zusammenwachsen moderner Informationstechnik mit klassischen industriellen Prozessen, wodurch reale Produktionsmittel mit Webanbindung direkt miteinander interagieren können. Durch flexiblere Möglichkeiten in der Produktion kann die Auslastung gesteigert werden, während gleichzeitig individuellere Fertigungsmöglichkeiten realisiert werden können. Der Begriff steht des Weiteren für optimale Bedienung, zielgerichteten Service und Energieeinsparung.

Die Umsetzung von Industrie 4.0 hat bei ABB bereits begonnen. Ein Beispiel für ein Industrie-4.0-Schlüsselprodukt in der Fabrik­automation ist bereits heute die Software RobotStudio. Programme für Industrieroboter können damit vorab simuliert werden. Durch die Anbindung an den Automation Builder, die Engineering Suite von ABB, können Maschinenbauer und Systemintegratoren ihre Anlagen komplett virtuell planen, warten und auch die Energieeffizienz verbessern. ABB ist bei diesem Thema an vorderster Stelle dabei, bietet bereits jetzt entsprechende Produkte und Lösungen an und ich erwarte mir von diesem Thema eine Marktbelebung, die wir entsprechend bedienen werden.

Stichwort Elektromobilität: Im Vorjahr haben einige Initiativen begonnen, Ladeinfrastrukturen in Österreich zu errichten. Kommt Elektromobilität nun 2015 in die Gänge?

Chalupecky:
Aus meiner Sicht merkt man, dass das Thema Elektromobilität schön langsam vom Marketingmascherl endlich zu einem ernstzunehmendem Markt wird. Das haben wir auch an unseren Aufträgen im Bereich unserer netzwerkfähigen Schnellladestationen gemerkt, von denen wir in Österreich bis dato knapp 40 installiert haben, wobei mehr als zwei Drittel davon auf das vergangene Jahr fallen. Da die Verfügbarkeit einer bedarfsgerechten Ladeinfrastruktur ein wesentliches Element zur Akzeptanz von Elektromobilität darstellt, ist hier aber noch einiges zu tun. Es geht auch um Themen wie einheitliche rechtliche Rahmenbedingungen zur Errichtung von Ladeinfrastruktur und effiziente Genehmigungsprozesse und Behördenwege mit klar geregelten und nach Möglichkeit gebündelten Verantwortlichkeiten. Weiters ist eine rasche Vernetzung der Ladeinfrastruktur der unterschiedlichen Betreiber über Bundesländer, aber auch Landesgrenzen hinweg nötig, um dem Endkunden den vom Tanken notwendigen Komfort zu ermöglichen. Wir haben deshalb Bezahlmodule entwickelt, an denen mit Bankomatkarten und anderen Bezahllösungen direkt an unseren Ladestationen – die alle drei Ladestandards in einem Gerät vereinen können – bezahlt werden kann. Sie können  auch in bestehenden Ladestationen nachgerüstet werden. Diese Bezahlmodule können bereits bestellt werden.

Unsere führende Rolle im Bereich von Schnellladeinfrastruktur konnten wir 2014 durch den Gewinn zahlreicher internationaler Projektausschreibungen unterstreichen. In China wird ABB beispielsweise das weltgrößte Schnellladenetz in Kooperation mit Shenzhen BYD Daimler New Technology errichten. Mit den Projekten »Elmo« in Estland, »Clever« in Dänemark und vor allem »Fastned« in den Niederlanden konnten wir in Europa die größten Infrastrukturprojekte maßgeblich mitgestalten und die Qualität und Alltagstauglichkeit unserer Schnellladestationen mehrfach in der Praxis unter Beweis stellen.

In Europa zeigen verschiedene politische Schwerpunktsetzungen unterschiedliche Entwicklungsstufen dieser umweltschonenden Transportmöglichkeit. Es gibt erfolgreiche Anreizsysteme, wie die Freigabe von Busspuren, eine Citymaut- oder Parkpickerlbefreiung, die auch für Österreich interessante Optionen zur Förderung von Elektromobilität darstellen könnte.

Wenn Sie einen Wunsch an den neuen Energiekommissar der EU, Miguel Arias Cañete, hätten – welcher wäre das?

Chalupecky:
Mein Hauptwunsch wäre die Implementierung einer dringend notwendigen, mittel- bis langfristig sinnvollen Energiestrategie. Aufgrund der Energiewende, hauptsächlich durch Deutschland vorgegeben – mit dem durchaus berechtigten Ziel des Ausstiegs aus der Atomenergie –, haben sich bei der Förderung von erneuerbaren Energieträgern enorme Verwerfungen auf den Energiemärkten ergeben. Sie haben zu der Situation geführt, dass aufgrund der Förderungen in den unterschiedlichen Ländern teils »Blasen« bei der Errichtung von Solar- und Windenergieanlagen entstanden sind. Nach dem Ablauf der Förderungen war dieser Markt dann quasi tot.

Durch die geförderten Einspeisetarife von erneuerbaren Energieträgern ist auch der Strompreis nun so niedrig, dass sich abgesehen von Wind und Solar im Moment in Europa quasi nur mehr Atomstrom oder mit Kohlekraftwerken nun auch eine der umweltschädlichsten Stromerzeugungsarten wieder rentiert. Gleichzeitig können effiziente Gas-Kombi-Kraftwerke und sogar Wasserkraftwerke betriebswirtschaftlich nicht mehr dargestellt werden.

Es kann nicht das Ziel gewesen sein, dass wir nun billige Kohle aus den USA nach Europa transportieren, um damit hier mit hohen Emissionen und damit hohen externen Kosten und Effekten Strom zu erzeugen. Schließlich wollten wir mit der Förderung der durchaus sinnvollen erneuerbaren
Energieträger eigentlich das genaue Gegenteil erzielen.


Hintergrund: Forschung bei ABB
ABB investiert jährlich rund 1,5 Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung, um in den Bereichen Energie- und Automationstechnik an vorderster Stelle zu sein. Weltweit arbeiten dafür etwa 8.500 Forscherinnen und Forscher in Kooperation mit 70 Universitäten an der Entwicklung von innovativen Produkten.

Last modified onMontag, 02 März 2015 14:16
back to top