Eine kurze Geschichte der Kernenergie
- Written by Redaktion_Report
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Die erste künstliche Kernspaltung gelang einer Gruppe um den Chemiker Otto Hahn 1938 in Berlin, die Theorie dazu lieferte die nach Schweden emigrierte Physikerin Lise Meitner. Rasch erkannten Wissenschafter, dass damit das Fundament für den Bau von Bomben mit unvorstellbarer Zerstörungskraft gelegt war. In einem Brief an den amerikanischen Präsidenten Roosevelt warnte Albert Einstein vor der Möglichkeit deutscher Atomwaffen. Roosevelt reagierte mit der Entwicklung eigener Atombomben, dem \"Manhattan Project“. Nach dem Einsatz der Bombe 1945 in Hiroshima und Nagasaki setzte bei einigen Wissenschaftern ein Umdenken ein. Selbst Forscher, die am \"Manhattan Project“ beteiligt waren, forderten, die atomare Rüstung den neu gegründeten Vereinten Nationen zu übertragen. Sie fanden allerdings kein Gehör. Politik und Militär wollten nicht auf Atomwaffen verzichten, sondern sich mit ihrer Hilfe die Vorherrschaft in der Nachkriegsordnung sichern. Als die Sowjetunion 1949 ihrerseits die erste Atombombe zündete hatte der atomare Wettlauf begonnen.
\"Atoms for Peace“
Parallel zur immer noch dominanten militärischen Forschung wurde Anfang der fünfziger Jahre auch der zivilen Verwendung der Kernenergie Aufmerksamkeit geschenkt. Der Tod der beiden Hardliner Stalin und Truman ermöglichte erste Kurskorrekturen.
Der US-Präsident Dwight D. Eisenhower forderte in seiner Aufsehen erregenden Rede vor der UN-Vollversammlung den Einsatz der Atomtechnik für friedliche Zwecke und die Gründung einer internationalen Atombehörde unter der Leitung der UNO. Zudem sollten die Atommächte ihr spaltbares Material und Know-how abtreten. Die Rede zeigte die gewünschte Wirkung. Unter tatkräftiger Mithilfe von amerikanischen PR-Beratern brach eine regelrechte Atom-Euphorie aus. Wissenschafter träumten vom Einsatz in der Energietechnik, der Medizin und der Landwirtschaft. Philosophen wie der deutsche Marxist schwadronierten von einer Zukunft, in der mit einigen Pfund Uran oder Thorium die Wüsten Sahara und Gobi zum Verschwinden gebracht, und Sibirien, Grönland und die Antarktis zur Riviera verwandelt werden würden. Und populärwissenschaftliche Zeitschriften beschrieben Weltraumfahrzeuge, die durch eine Kette von rasch nach einander gezündeten Atombomben zum Saturn und auch wieder zurück fliegen könnten.
Die zentrale Vision blieb aber die Bereitstellung von billiger Elektrizität. Trotz anfänglicher Skepsis hinsichtlich der Rentabilität, wurde im Jahr 1955 das erste kommerziell genutzte Atomkraftwerk in Calder Hall im Nordwesten Englands in Betrieb genommen. In den sechziger Jahren wurden weltweit weitere Kernkraftwerke errichtet, ein echter Boom war in den Siebzigern zu verzwichnen. Dank jährlicher Zuwachsraten von 30 Prozent und in Folge des Erdölschocks 1973 wurden ehrgeizige Ausbaupläne erarbeitet.
Nun regte sich erstmals Widerstand. Die 68er Bewegung hatte eine kritische öffentlichkeit entstehen lassen, die den euphorischen Prognosen der Politiker misstraute. Zahlreiche Störfälle und die ungelöste Frage der Endlagerung des radioaktiven Mülls beschleunigten das Erstarken von Bürgerinitiativen und Umweltbewegungen. Spätestens nach den schwerwiegenden Unfällen in Harrisburg (1979) und vor allem Tschernobyl (1986) hatte die Kernenergie mit einem veritablen Imageproblem zu kämpfen. Speziell in Europa nahm die Kritik an der Nutzung der Kernenergie deutlich zu. Nicht immer war der Protest friedlich. Besonders heftig gerieten die Auseinandersetzungen um die Wiederaufbereitungsanlage im bayrischen Wackersdorf und das Endlager in Gorleben, Niedersachsen. In Frankreich eskalierte die Auseinandersetzung um den schnellen Brüter \"Super Phenix“ in Malville. Der Einsatz der paramilitärischen Polizeieinheit CRS forderte zahlreiche Schwerverletzte und einen toten Demonstranten.
Zwei Szenarien
In Folge der atomaren Störfälle beschlossen immer mehr Länder den Ausstieg aus der Atomenergie, darunter Belgien, Schweden und Deutschland. Anders die Situation in den USA, wo die Laufzeit bestehender Kernkraftwerke verlängert wird und ähnlich wie in Indien, Russland, China oder Japan neue Kraftwerke gebaut werden sollen. Eine Entwicklung, die auch in Europa zum Teil auf Zustimmung trifft. Walter Hohlefelder, Präsident des Deutschen Atomforums und Vorstandsmitglied der E.ON Energie AG, spricht von der Einsparung von 2,8 Milliarden Tonnen CO2 im letzten Jahr durch den Einsatz von Kernenergie und appelliert an die Atomkraftgegner, den \"künftigen Generationen alle Optionen für die Energieversorgung offen zu halten. Auch die Option der Kernenergie“.
Für das deutsche Institut für angewandte ökologie ist diese Entwicklung nicht nachvollziehbar. \"Keines der Ziele, die von den Protagonisten einer Laufzeitverlängerung formuliert werden, hat in der Realität Bestand“, sagt Bettina Brohmann, Energieexpertin am öko-Institut in Darmstadt. \"Weder sinken die Strompreise, noch können Kohlenstoffdioxid-Emissionen vermieden werden.“ Denn durch den CO2-Zertifikatehandel könnten Stromunternehmen, die Atomkraftwerke betreiben, die ihnen zugewiesenen Emissionszertifikate einfach an andere Anlagenbetreiber verkaufen. Zudem fürchtet Brohmann, dass durch eine Verlängerung der Laufzeiten die fortschreitende Entwicklung der Erneuerbaren Energien behindern werden könnte.
Harrisburg, Pennsylvania
Am 28. März 1979, kurz vor vier Uhr morgens, ereignet sich im Kernkraftwerk Three Mile Islands bei Harrisburg, Pennsylvania, der bis dahin schwerste Störfall in der Geschichte der friedlichen Nutzung der Kernenergie. In der erst wenige Monate alten Anlage kommt es zu einem Zusammenbruch des Kühlsystems. In Folge der irrtümlichen Abschaltung des Ersatzsystems überhitzt sich das Uranium und 25 Prozent der Kernelemente schmelzen. Große Mengen radioaktiven Gases und verseuchten Wassers treten aus dem Reaktorkern aus und gelangen ungefiltert in die Umwelt. Obwohl die Behörden nur Kleinkindern und schwangeren Frauen zur Evakuierung raten, verlassen rund 200.000 Personen den Großraum Harrisburg. Offiziell hat der Störfall zu keinen Gesundheitsschäden geführt. Die Beseitigung der Schäden und die Entseuchung der Umwelt dauerten über zwölf Jahre und kosten rund eine Milliarde Euro.
Tschernobyl, Ukraine
Am 26. April 1986 kommt zur bekanntesten und folgenreichsten nuklearen Havarie. Der Atomunfall im ukrainischen Tschernobyl ist der erste mit staatenübergreifenden Folgen. Ausgelöst wird die Katastrophe während eines Experiments zur überprüfung der Notkühlung bei einem Stromausfall. Um 1:24 Uhr nachts kommt es zu zwei Explosionen in Reaktorblock 4. Während des darauf folgenden Reaktorbrands wird Radioaktivität von der 40fachen Intensität der Hiroshimabombe freigesetzt. Die radioaktive Wolke wird weit über die Grenzen der Sowjetunion hinaus getragen. Zur Eindämmung der Katastrophe werden zahlreiche Soldaten, Studenten und \"Freiwillige“ - so genannte Liquidatoren eingesetzt, die das Kraftwerk dekontaminierten und schließlich den \"Sarkophag“, eine Betonhülle um Reaktorblock 4, bauten. An den Folgen des Unglücks sterben innerhalb von nur drei Monaten 28 Menschen, mehr als 200 müssen wegen akuter Strahlenkrankheit in Krankenhäuser behandelt werden. Die Langzeitfolgen sind nicht absehbar und auch heute noch umstritten. Die Zahlen schwanken zwischen 10.000 und 250.000 Tschernobylopfer.