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Kunden zu Fans machen

Kunden zu Fans machen Foto: iStock

Es wird wieder mehr geheiratet, doch an eine bestimmte Marke binden sich immer weniger Menschen. Unternehmen sollten gerade deshalb in Beziehungsarbeit investieren: Neukunden zu gewinnen, ist erheblich aufwendiger und teurer, als Stammkunden emotional zu binden.

Ganze Generationen sind damit aufgewachsen, kaum jemand kennt sie nicht. Seit mehr als 100 Jahren ist Nivea eine der beliebtesten und bekanntesten Marken der Welt. 1905 ließ Beiersdorf den Namen »Nivea« (»die Schneeweiße«) beim Kaiserlichen Patentamt als Warenzeichen eingetragen, obwohl die berühmte weiße Creme erst 1911 auf den Markt kam. Seit 1925 wird sie in den charakteristischen blauen Blechdosen verkauft. Obwohl Beiersdorf die Creme während des Krieges vorübergehend in Behältern aus Pappe und Glas abfüllte und inzwischen viele Nivea-Produkte in Kunststoffverpackungen erhältlich sind, ist sie bis heute unverwechselbar und gilt als Musterbeispiel der Markenführung.

Was die Dachmarke des Konzerns besonders auszeichnet, ist die starke emotionale Bindung. In Zeiten, da die Treue der Kunden zu Unternehmen und Marken stetig abnimmt, nimmt Nivea damit eine außergewöhnliche Stellung ein. Die Serviceplan-Gruppe bezeichnet die Abwanderung der Stammkunden bereits als größte Bedrohung für Marken. Pro Jahr verlieren Unternehmen im Schnitt 30 % ihrer Bestandskunden. Deren Bedeutung wird meist unterschätzt: Ihr Umsatzanteil beträgt aber 66 %. Für jeden verlorenen Stammkunden müssten vier neue Kunden gewonnen werden.

Trotzdem fließen die Marketingbudgets fast zur Gänze in die Ansprache von Neukunden. Höchst unwirtschaftlich, denn drei Viertel der neuen Kunden kaufen nur ein einziges Mal. Den für die aktuelle Studie der Marken-Roadshow 2019 untersuchten Marken gelang es nicht, auch nur die Hälfte ihrer Bestandskunden länger als zwei Jahre zu halten.

Lust auf Neues

Bild oben: David Burnand, Adobe EMEA: »Besser und vielfältiger mit den Kunden in Kontakt zu treten und ein individuelles Erlebnis zu ermöglichen, sind inzwischen die wichtigsten Beweggründe für den Einsatz künstlicher Intelligenz.«

 

Eine langfristig ausgerichtete Markenentwicklung baut auf einem tiefen Kundenverständnis auf. Ein strategisch agierendes Unternehmen weiß, wer wann und warum welche Produkte kauft. Musste man sich früher auf Ergebnisse aus Kundenbefragungen verlassen, liegen im Zuge der Digitalisierung weitaus verlässlichere und umfassendere Daten über das Kundenverhalten vor. Der »gläserne Kunde« ist Realität, doch trotz ausgefeilter Technologien sind Konsumenten unberechenbarer und illoyaler denn je.

Mehr Möglichkeiten bedeuten mehr Versuchungen – durch die zunehmende Zahl an Kaufoptionen steigt auch die Lust, einmal etwas Neues auszuprobieren. Um diese Kunden dauerhaft zu binden, greifen Preisaktionen, die nur vorübergehend Aufmerksamkeit generieren, viel zu kurz. Bietet die Konkurrenz einen noch niedrigeren Preis, sind die Kunden gleich wieder weg. »Loyalitätsstarke Marken setzen nicht auf Rabatte und Promotions, sondern auf Werte und Qualität«, erklärt Peter Haller, Geschäftsführer der Serviceplan-Gruppe. Er rät dazu, die Analyse von Bindungsfaktoren an den Beginn der strategischen Markenentwicklung zu setzen.

Den Fokus auf bestehende Kunden zu richten, macht sich in mehrfacher Hinsicht bezahlt: Stammkunden sind in der Regel bereit, auch höhere Preise zu bezahlen, da sie gute Qualität und individuellen Service zu schätzen wissen. Sie empfehlen Produkte oder Dienstleistungen gerne weiter und folgen mitunter auch in andere Geschäftsfelder. So nahm Bahlsen in diesem Frühjahr mit drei Eissorten einen Abstecher vom Keksregal in deutsche Tiefkühltruhen, was von den Konsumenten recht wohlwollend angenommen wurde.

Was Kunden wollen

Die Selbsteinschätzung der Unternehmen lässt, wenn es um das Wissen über ihre Kunden geht, noch zu wünschen übrig. In einer Erhebung des Österreichischen Gallup Instituts gaben 89 % an, zu wissen »was unsere Zielgruppe erwartet und schätzt«. Doch nur 45 % wissen, »wie unsere Kunden die Customer Experience anhand der relevanten Faktoren bewerten«.

Andrea Fronaschütz, COO und Gesellschafterin des Österreichischen Gallup Instituts, nennt als wichtigste Kennzahlen den Kundenzufriedenheitsindex, den Kundenbindungsindex und den Net Promoter Score, der die Zufriedenheit und die Bereitschaft zur Weiterempfehlung quantifiziert. Diese Benchmarks werden jedoch von den Unternehmen großteils nicht erhoben. Am häufigsten werde die Wiederkaufrate gemessen, diese sei aber »ein fragiler Wert«, so Fronaschütz. Bereiche wie Touchpoints oder die Consumer Journey finden kaum Berücksichtigung.

Geht es nach dem Zukunftsdenker Dirk Herrmann, sollten Unternehmen den Begriff »Kundenbindung« ohnehin aus ihrem Wortschatz streichen. »Kunden wollen nicht gebunden, sondern geliebt werden«, plädierte er beim Druck- & Medienkongress 2018 dafür, die Welt durch die Brille der Kunden zu sehen, um ihre Bedürfnisse zu erkennen. Diesen Weg ging A1 und machte damit gute Erfahrungen: Mit Projekten wie #aktiv­ImInternet oder Smart Home sprach der Telekomanbieter gezielt einzelne Kundengruppen an und entwickelte gemeinsam mit ihnen Produkte. So gibt es inzwischen eigene Hotlines für SeniorInnen und Installations-Tutorials auf YouTube. Auch die Bedienungsanleitungen wurden umgestellt und enthalten jetzt mehr Bilder und weniger Text.

Emotionale Bindung

Spielten früher Effizienz und ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis eine Schlüsselrolle, haben sich die Erwartungen und Ansprüche der Kunden stark gewandelt. Markentreue ist ein Wettbewerbsvorteil, den nur noch wenige für sich beanspruchen können. Bei einer im Vorjahr durchgeführten Befragung durch SAP Customer Experience nannten die Konsumenten Datenschutz, Komfort und exzellenten Service als wichtigste Themen. Damit Marken zu »Love Brands« werden, braucht es aber wesentlich mehr – nämlich Emotionen.

Laut einer Umfrage der Markenagentur Havas Group schätzen 32 % der Kunden eine Marke, wenn diese ihnen mehr bietet, als sie erwartet hatten. Menschen lieben Überraschungen. Agiert ein Unternehmen am Puls der Zeit und initiiert aktiv neue Trends, vermittelt das ein Gefühl von Freiheit und Grenzenlosigkeit. Auch gemeinsame Werte oder Ziele schweißen Kunden und Unternehmen zusammen. Das funktioniert allerdings nur, wenn diese Inhalte für den Konsumenten an jedem Punkt der Customer Journey erkennbar und erlebbar sind.

Bei Marken, die seit der Kindheit oder Jugend vertraut oder mit wichtigen Ereignissen im Leben verknüpft sind, ist die Bindung besonders ausgeprägt. Die dazugehörigen Produkte verkörpern Erinnerungen an bestimmte Momente oder Personen. Sie signalisieren Sicherheit und Stabilität, wie Wissenschafter am Institut für Marken- und Kommunikationsforschung der Universität Gießen analysierten. Nivea wurde für viele Menschen zum Lebensbegleiter. Diese positive Grundhaltung lässt auch Fehler verzeihen: Als Volkswagen in den Abgasskandal schlitterte, schadete das dem Image des Autobauers nur bedingt. Seit 2004 und bis heute ist VW in Deutschland und Österreich unangefochten die Automarke, der das größte Vertrauen ausgesprochen wird – weit mehr als BMW und Mercedes.

In Kontakt bleiben

Nur über individuelle Erlebnisse kann eine derart enge Beziehung wachsen. Deshalb kommen auch Unternehmen, die ihre Produkte und Dienstleistungen an ein Millionenpublikum adressieren, nicht daran vorbei, potenzielle Konsumentengruppen gezielt anzusprechen. Eine einzige Kampagne für alle wird von den Kunden als beliebig wahrgenommen.

Je genauer die Informationen über neue Produkte, Services und Angebote auf die jeweilige Zielgruppe abgestimmt werden, umso besser sind die Chancen, Kunden zu binden. »Bindung hat viel mit regelmäßigem Kontakt – und zwar über mehrere Kanäle – zu tun, ohne dass die Kunden deshalb ständig kaufen müssen«, erklärt Verkaufsexperte Roman Kmenta. »Es gilt dranzubleiben, vor allem bei Produkten, die mit Frequenzen von zwei, drei Jahren gekauft werden. Wenn dazwischen nichts passiert, ist der Kunde weg.«

Lose in Kontakt zu bleiben, geht heute viel leichter als früher. Lufthansa erreicht seine jährlich mehr als vier Millionen Kunden in 106 Ländern mit einem hochgradig individualisierten Newsletter- und E-Mail-Service. Der Einzug digitaler Technologien ins Marketing wird von der Branche aber durchaus kritisch gesehen. Als Zalando im Vorjahr 250 MitarbeiterInnen kündigte und durch Algorithmen ersetzte, löste das eine Grundsatzdiskussion über künstliche Intelligenz aus. Diese Systeme machen es jedoch erst möglich, die Fülle an komplexen Daten rasch auszuwerten, um die Marketingmaßnahmen auf die Bedürfnisse der Kunden abstimmen zu können. Zalando konnte durch exklusive Features wie Stilberatung, die nur Mitgliedern des kostenpflichtigen Kundenclubs offensteht, die Website-Besuche 2018 um fast 30 % steigern.

Rund die Hälfte der Kunden ist bereit, persönliche Daten preiszugeben, wenn sie im Gegenzug hilfreiche und personalisierte Angebote bekommen. »Besser und vielfältiger mit den Kunden in Kontakt zu treten und ein individuelles Erlebnis zu ermöglichen, sind inzwischen die wichtigsten Beweggründe für den Einsatz künstlicher Intelligenz. Perspektivisch werden die Algorithmen immer weiter lernen und sich anpassen, sodass wir unsere Kunden nicht nur überraschen und begeistern können, sondern auch helfen, ihre Probleme schnell und einfach zu lösen«, sagt David Burnand, Enterprise Marketing Director bei Adobe EMEA.

Durch die rasante Weiterentwicklung von Spracherkennung hat die Kommunikation über virtuelle Assistenten eine neue Qualität erreicht. Insbesondere für Online-Handel und Service-Plattformen eröffnen Chatbots neue Möglichkeiten – sie sind immer erreichbar, stets freundlich und vergessen nichts. Vertriebsexperte Roman Kmenta hält Online-Händler deshalb sogar für die besseren Verkäufer: »Bei Amazon bekommen Sie immer Zusatzprodukte angeboten; und zwar nicht nur während Sie im Webshop sind, sondern auch in den Tagen danach. Das kann man mögen oder auch nicht, aber der elektronische Verkäufer tut seine Pflicht. Wenn Sie in einer Boutique oder in einem Schuhgeschäft etwas kaufen, ruft später niemand an und fragt, ob Sie zufrieden sind.«

Punkte sammeln

Bild oben: Franz Tretter, hello again, entwickelt maßgeschneiderte Loyalty-Apps fürs Smartphone: »Die Plastik-Stammkundenkarte ist tot.«

 

14 Kundenkarten trägt der Durchschnittsösterreicher im Geldbörsel herum. Durch die kürzlich erfolgte Zusammenführung im jö-Bonus-Club sind es nun ein paar weniger. Nicht nur die Töchter der Rewe-Gruppe, sondern auch branchenfremde Unternehmen wie OMV, Libro, Interio und Bawag kamen an Bord. Bereits 2018 bündelten u.a. dm, Fressnapf und BP ihre Bonussysteme unter dem Dach des Multipartnerprogramms Payback. Der Vorteil für die Kunden ist überschaubar: Die Rabatte fallen relativ gering aus, und um sie einlösen zu können, muss erneut eingekauft werden. Um den Erlebnisfaktor zu bedienen, bietet der jö-Bonus-Club exklusive Events an.

Für die Handelsketten liegt der wahre Gewinn in den detaillierten Informationen über ihre Kunden. Dank digitaler Einkaufs- und Bezahltechnologien sind diese trotz Datenschutz leicht zugänglich und nutzbar. Das Paschinger Start-up hello again macht das klassische Treuesystem mobil. »Die Plastik-Stammkundenkarte ist tot«, sagt Franz Tretter, der gemeinsam mit Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner das Unternehmen auf die Beine stellte.
hello again entwickelt maßgeschneiderte Loyalty-Apps fürs Smartphone, die auch die Kommunikation und den Spieltrieb anregen.

So gibt es Bonuspunkte für die Bewertung von Produkten und Services oder das Werben neuer Mitglieder. Kunden von Fitness-Studios oder Golfclubs können beispielsweise in Form einer Rangliste in Wettbewerb miteinander treten. Im Idealfall entsteht eine eigene Community. Statt standardisierter Nachrichten werden User persönlich angesprochen, etwa mit einem Geburtstagsangebot. Die App-Schmiede betreut bereits mehr als 200 Kunden in vier Ländern und setzt auf die Zugkraft sozialer Medien. Über die Anbindung an Instagram kann gleich beim Friseur ein Foto gepostet werden. Natürlich gibt’s auch dafür Punkte.


Acht Tipps zur Kundenbindung

1. Ausgezeichneter Service: Ein Unternehmen, dem die bestehende Kundenbasis wegbricht, wird sich nicht lange am Markt behaupten können. Service ist einer der wichtigsten Faktoren, um Kunden zu binden – und der häufigste Grund, weshalb sie zu einem anderen Anbieter wechseln. Was die Sache noch schlimmer macht: 79 % der Kunden erzählen negative Erfahrungen weiter.

2. Erreichbarkeit: Die Kontaktdaten sollten auf der Website und der Rechnung präsent platziert sein. Gerade wenn es in der Kundenbeziehung kriselt, können eine schnelle Kontaktmöglichkeit und die entsprechende Reaktion erste Wogen glätten. Gibt es keine Hotline für dringende Anliegen, sollten Nachrichten – telefonisch oder schriftlich – zumindest deponiert werden können und deren Bearbeitung ehestmöglich erfolgen.

3. Kontakt halten: Viele Kunden schätzen es durchaus, wenn der Kontakt nach dem Kauf nicht abreißt. Für den Verkäufer ist es eine gute Gelegenheit, sich nach der Zufriedenheit mit dem Produkt/der Dienstleistung oder offenen Fragen zu erkundigen und allfällige Kritik abzufangen.

4. Feedback umsetzen: Eine regelmäßig durchgeführte Kundenbefragung sowie Social-Media-Kommentare geben wertvolle Hinweise, welche Wünsche, Fragen oder Probleme die Kunden bewegen. Die gewonnenen Erkenntnisse sollten freilich ernst genommen und für Verbesserungen genutzt werden.

5. Zusatzinformationen: ,Viele Produkte haben Funktionen und Einsatzmöglichkeiten, an die man nicht gleich denkt. Ein Link, ein Blogartikel oder How-to-Videos können Kunden interessante Informationen liefern.

6. Personalisierte Angebote: Die Online-Riesen zeigen vor, wie erfolgreich konsequente Empfehlungen für ähnliche Produkte sein können. Wer jedoch nicht in den Spam-Ordner verbannt werden möchte, sollte Kunden nur Vorschläge mit echtem Mehrwert schicken, also exklusive Angebote und Rabatte oder Zusatzkomponenten zu einem gekauften Produkt.

7. Danke sagen: Ein Preiszuckerl wird man nicht ablehnen, doch ein ehrliches Dankeschön hat vielleicht sogar einen höheren Stellenwert. Zur individuellen Note mit einer handschriftlichen Karte und einem kleinen Geschenk kombiniert, kann diese Aufmerksamkeit manchmal Wunder bewirken.

8. Gemeinsam feiern: Jahrestage, Geburtstage oder Jubiläen mit Kunden zu feiern, setzt sich langsam auch im B2B-Bereich durch und ist ein beliebter Anlass für Events oder individuelle Aktionen.

Last modified onMontag, 01 Juli 2019 14:37
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