"Wir haben leider keine zweite Donau"
- Written by Martin Szelgrad
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Achim Kaspar, Mitglied des Vorstands der Verbund AG, über den Hebel Digitalisierung, das Ende der Kohleverstromung und warum in Zukunft die Stromversorgung nicht ausschließlich kleinteilig funktionieren kann.
(+) plus: Sie wurden 2018 als Vorstandsmitglied unter anderem für den Bereich Digitalisierung angekündigt, Ihrer langjährigen Management-Tätigkeit in der IT-Branche entsprechend.
Achim Kaspar: Eigentlich komme ich ursprünglich aus der Stromwirtschaft und habe meine Karriere im Verbund gestartet – damit ist es für mich eine Art Heimkehr. Eines meiner ersten Projekte war damals die Liberalisierung der Infrastruktur, wo ich mit dem Bereich Telekommunikation in Berührung kam. Die Verbund Telekom wurde damals von meinem Vorgänger Günther Rabensteiner aus der Taufe gehoben. Durch die Fusion mit der ÖBB Telekom entstand tele.ring. Wir waren die Pioniere in neuen Geschäftsfeldern, in denen sich die Stromwirtschaft zu diversifizieren versuchte. Die UTA mit den Landesenergieversorgern als Eigentümern bildete zu dieser Zeit das Gegenstück. Viele der Protagonisten von damals sind heute wieder in der E-Wirtschaft gelandet. Mir ist es wichtig, nicht nur die Triebe zu sehen, sondern auch die Wurzeln.
In meinem Verantwortungsbereich befindet sich seit 1. 1. 2019 die Erzeugung von Verbund. Meine Kernaufgabe umfasst den Betrieb der Kraftwerke – 95 % Erneuerbare, vorrangig Wasserkraft, Windparks, sowie das thermische Kraftwerk Mellach. Zusätzlich ist im Holding-Bereich das Thema Digitalisierung hinzugekommen. Produktseitig ist dieses Thema mit starkem Fokus auf Forschung und Innovation bei meinem Vorstandkollegen Michael Strugl angesiedelt, mit dem ich eng zusammenarbeite.
Die IT ist in den letzten Jahren der wesentliche Produktivitätsfaktor in jedem Industriezweig geworden. Die Stromwirtschaft hatte auch historisch schon einen hohen Automatisierungsgrad, beispielsweise bei Netz- und Kraftwerkssteuerungen. Damit ist im Kernbereich dieser Industrie bereits vieles vorweggenommen worden, wo andere Branchen noch nachziehen müssen. Die aktuellen Diskussionen zu den weiteren Möglichkeiten im Bereich der Digitalisierung sind für die zukünftigen Entwicklungen der Stromwirtschaft aber äußerst wichtig.
(+) plus: Wo sind für den Verbund noch Effizienzen mit der Digitalisierung im Kraftwerksbereich erzielbar?
Kaspar: Es ist bereits vieles passiert. Jetzt kommen neue Möglichkeiten durch Sensoren im Bereich vorausschauender Wartung, Unterwasserroboter und Drohnen und digitales Workforce Management dazu. Der digitale Zwilling als Abbild jedes Kraftwerks soll bessere Simulationen auch in Kombination mit Wetter- und Wasserstandsdaten ermöglichen. Gleiches gilt für Windkraft und Photovoltaikanlagen. Durch den Einsatz von Big Data in Kombination mit IoT sind für uns noch viele Potenziale hebbar.
Ich denke hier auch an neue Plattformmodelle im Markt auf Basis von Schwarmkraftwerken und -speichern, die im Zuge der europäischen Energieagenda angedacht sind.
Digitalisierung findet sich auch in Umweltschutzthemen wieder. So werden bei einer Fischaufstiegshilfe beim Kraftwerk Edling in Kärnten über Unterwasserkameras und Bildverarbeitung Fischarten und Größe der Tiere nachgewiesen. Bislang war das Zählen sehr aufwendig und in dieser Art nicht möglich. Hier wird der Nutzen von Digitalisierung im Dienst der Ökologie gezeigt.
(+) plus: Was werden die Smart Meter für die Branche bringen?
Kaspar: Der Smart Meter ist einer der Kristallisationspunkte der Digitalisierung im Verteilnetzbereich. Aus meiner Sicht geht es hier aber nicht vorrangig um das Auslesen, wann jemand heiß geduscht hat oder wie mein Stromverbrauch in den letzten 24 Stunden war, sondern um die Möglichkeit, unser Stromnetz mit vielen Einspeise- und Verbrauchspunkten stabil zu halten.
Bei immer dezentraler und volatiler werdenden Marktteilnehmern ist eine Lastkontrolle besonders wichtig, denn jede Übereinspeisung oder Unterdeckung kann zu einem Ausfall des Energiesystems führen.
(+) plus: Welche Rollen spielen die Sektorkopplung und generell neue Technologien in Ihrem bestehenden Portfolio und für Ihr künftiges Geschäft?
Kaspar: Österreich kann mit seinen Pump- und Speicherkraftwerken den aktuellen Kapazitätsbedarf in Österreich zu einem Großteil kompensieren, den Rest können theoretisch hocheffiziente Gaskraftwerke ausgleichen. Mit dem künftigen Leistungszuwachs in den Kraftwerksparks vor allem mit Wind- und Sonnenkraft wird der Kapazitätsbedarf immer größer. Die Fragestellung dazu ist: Woher bekommen wir bei einer »Dunkelflaute« unsere gesicherte Leistung? Werden wir in Österreich eine Lücke mit Importen – und im Fall von Überschüssen auch mit Exporten – ausgleichen können? Wie ist unser Anspruch zum Thema Versorgungssicherheit? Oder gibt es andere Lösungen? Als Verbund arbeiten wir an vielen unterschiedlichen innovativen Ideen, im Bereich meines Vorstandskollegen Michael Strugl etwa Großspeicher mit Lithium-Ionen-Batterien oder auch das Medium Wasserstoff für die Speicherung von Energie, von dessen Zukunft wir überzeugt sind. Erste Elektrolyse-Modelle gibt es bereits am Standort Mellach, wo überschüssiger Strom aus Windkraft gespeichert wird. Das geschieht zwar mit einem Effizienzverlust, ist aber immer noch besser, als bei einem Überschuss Windkraftwerke abzuriegeln und die Energie verpuffen zu lassen. Gemeinsam entwickeln wir nun den Innovationsstandort Mellach weiter: Das Kohlekraftwerk wird 2020 geschlossen und wir erarbeiten jetzt neue Konzepte für den Standort. Eine weitere Versuchsanlage mit der Voestalpine testet auch die direkte Anwendung von grünem Wasserstoff in der energieintensiven Industrie.
Verbund ist klar als Grünstromlieferant positioniert. Allein in Renaturierungen und naturnahe Projekte investieren wir bis zum Jahr 2027 in Summe 280 Millionen Euro. Mit dem Ende der Kohleverstromung kommen wir dann dem Ziel des 100 % CO2-neutralen Energieerzeugers noch näher, da nur noch unsere »Netzfeuerwehr«, das Gaskraftwerk in Mellach, weiterhin als ein wesentlicher Baustein für die Versorgungssicherheit Österreichs notwendig sein wird.
(+) plus: Österreich hat sich ambitionierte Klimaziele gesetzt. Welches Potenzial sehen Sie im weiteren Ausbau der Wasserkraft in Österreich?
Kaspar: Wir haben leider keine zweite Donau und sind daher mit dem ökologisch vertretbaren Ausbaupotenzial relativ an unsere Grenzen gekommen. Laut jüngsten Studien gibt es für den Ausbau der Wasserkraft in Österreich ein Potenzial von ungefähr 6 bis 8 TWh. Für das Erfüllen der nationalen Energieagenda wären aber je nach Berechnung 25 bis 30 TWh notwendig. Also wird es verschiedene Initiativen brauchen: Effizienzsteigerungen und Erweiterungen bei bestehenden Kraftwerken als auch der Bau von neuen Kraftwerken.
Wir haben generell einige Projekte, die ich noch nicht benennen will, da sie erst im Planungsstadium und Teil von Forschungskooperationen mit Universitäten sind. Prinzipiell versuchen wir stets dort, wo sich bereits Bauwerke befinden, diese energietechnisch zu nutzen. So können wir die Kapazität von bestehenden Kraftwerksstandorten mit zusätzlichen Turbinen erhöhen. Auch bei unseren Donaukraftwerken sind mit Modernisierungen wie etwa einem Turbinentausch Effizienzsteigerungen bis zu 5 % erzielbar
(+) plus: Wie sieht Ihre Initiative bei den Erneuerbaren – Windkraft und Photovoltaik –aus?
Kaspar: Es gibt ein klares Bekenntnis des Verbund-Vorstandes, sich bei diesen Technologien weiterhin zu engagieren. Wichtig sind natürlich die nötigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Unsere Windparks in Niederösterreich – in Bruck an der Leitha, Göttlesbrunn, Hollern und Petronell-Carnuntum –, sowie Standorte in Rumänien und in Deutschland bilden mit insgesamt 420 MW Leistung eine solide Basis. Wir wollen hier organisch weiter wachsen und sind auch für Beteiligungsmöglichkeiten offen.
Die Photovoltaik ist ein großes Thema für uns, da die Summe an zusätzlicher Erzeugungsleistung, die politisch gefordert wird, mehrheitlich nur mithilfe der Solarkraft möglich sein wird. Hier prüfen wir gerade unsere zukünftigen Möglichkeiten.
(+) plus: Der Ausbau der PV wird allen Erwartungen zufolge vor allem mit Großkraftwerken passieren – und weniger mit dem kleinteiligen Zuwachs auf den Hausdächern.
Kaspar: Wir sehen beides als sehr wichtig an. Der Verbund ist mit über 50 % am Unternehmen Solavolta beteiligt, das bereits über 4.000 Anlagen errichtet hat. Es ist ein gutes Beispiel für ein Schwarmkraftwerk, für das wir die Managed Plattform stellen. Auf Geschäftskundenebene wiederum prüfen wir Kooperationen mit der Industrie, darunter können auch großflächige Anlagen fallen.
(+) plus: Wann und wo wird das erste PV-Kraftwerk des Verbund errichtet werden?
Kaspar: In naher Zukunft wollen wir dieses in Österreich errichten. Wir befinden uns noch in Genehmigungsverfahren, aber unsere Entwicklungsteams arbeiten daran.
(+) plus: Wie kleinteilig wird die Stromerzeugung in Zukunft aussehen?
Kaspar: Ich glaube nicht an die reine Kleinteiligkeit, denn diese wird auf jeden Fall zentral gemanagt werden müssen. Für den einzelnen Teilnehmer werden zielgerichtete Ein- und Ausspeisungen am Energiemarkt nur schwer möglich sein. Da spreche ich noch gar nicht von der Versorgungssicherheit, sondern von Ökonomie und Effizienz. Denn durch die vielen neuen Erzeugungseinheiten wird es zu großen Verschiebungen in der Preisfindung kommen. Gibt es viel Sonne und Wind, wird der Preis runter gehen. Haben wir die Dunkelflaute, wird das Gut der Batterie im Keller, etwa auch in Elektroautos, wertvoller werden. Diese Speicher sind aber nur dann als Handelsvolumen nutzbar, wenn ich sie mit vielen tausenden anderen Batterien als Schwarmspeicher zusammenschalten kann.
Zur Person
Achim Kaspar, 54, wurde als Mitglied des Vorstands für den Erzeugungsbereich bei Verbund bis 31. Dezember 2021 mit einer Verlängerungsoption auf weitere zwei Jahre bestellt und verantwortet zusätzlich den neu geschaffenen Bereich Digitalisierung . Zuvor war Kaspar elf Jahre General Manager von Cisco Austria und Cisco Adriatics. Der gebürtige Kärntner startete seine berufliche Laufbahn in der Industriellenvereinigung, war später in der Europäischen Kommission (GD Energie), im Verbund, Telering, als Geschäftsführer der MCI/Worldcom und Vorstand von eTel Austria tätig. Nebenberuflich war er im VAT und in der E-Control engagiert.
Kärntens höchste Fischtreppe
Im Mai wurde beim Drau-Kraftwerk Edling Kärntens höchste Fischwanderhilfe feierlich in Betrieb gesetzt, die Fischen und anderen aquatischen Lebewesen ein Umschwimmen des Kraftwerks mit einem Höhenunterschied von mehr als 22 Metern ermöglicht. Dafür strömen aus dem Völkermarkter Stausee etwa 450 Liter Wasser pro Sekunde in das Verteilbauwerk. Mittels einer Kamera wird die Funktionstüchtigkeit wissenschaftlich dokumentiert. Die Gesamtkosten für die Fischwanderhilfe gemäß der EU-Wasserrahmenrichtlinie belaufen sich inklusive Monitoring-Programm auf rund drei Millionen Euro. Mit Edling sind nun sieben der zehn Drau-Kraftwerke für Fische barrierefrei. Auch die übrigen drei Kraftwerke werden laut Verbund in den nächsten Jahren mit modernen Fischwanderhilfen ausgerüstet.
Bild: Schlitzpass der Fischwanderhilfe beim Kraftwerk Edling an der Drau aus der Vogelperspektive.
Digitales Wasserkraftwerk
Ende April hat der Verbund im Rahmen eines Workshops der europäischen Kraftwerksvereinigung VGB PowerTech und der Technischen Universität Graz das »digitale Wasserkraftwerk 4.0« vorgestellt. Die Bandbreite der im Pilotkraftwerk Rabenstein getesteten digitalen Technologien reicht von intelligenten Sensorik-Konzepten, Anomalie-Detektions- und Prognosemodellen, digitalen Zwillingen, mobilen Assistenzsystemen, virtuellen Kraftwerksmodellen, neuartigen autonomen Vermessungs- und Inspektionskonzepten bis hin zu vernetzten Plattformlösungen. Für die vorgeschriebene Inspektion und Vermessung von Anlagen und des Gewässeruntergrunds werden bereits Remotely Operated Vehicles (ROV) im realen Betrieb eingesetzt.
Bild: Tauchroboter lassen bereits in einzelnen Kraftwerken die autonome Vermessung und Inspektion zur Realität werden.