Der Weg ist noch weit
- Written by Martin Szelgrad
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Eine aktuelle Untersuchung der Wirtschaftskammer zeigt, was Unternehmen in Österreich bereits seit Jahren ausbremst: An allen Ecken und Enden fehlen die Fachkräfte für IT-Jobs. Gefordert werden höhere Budgets für die universitäre Informatikausbilung.
Die Digitalisierung stellt unsere Wirtschaft und Gesellschaft völlig auf den Kopf. Moderne Technik wird Produkte und Services, wie wir sie heute kennen, massiv verändern. Märkte werden entstehen, und sie werden auch schnell wieder vergehen – der mächtige Hebel Informationstechnologie beschleunigt Innovationszyklen und Marktphasen auf bislang ungeahnte Weise. Doch verfügt der Wirtschaftsstandort Österreich über die nötige Manpower – und Womanpower – dazu? Eine jüngste Studie des Wirtschaftskammer-Fachverbands für Unternehmensberatung, Buchhaltung und Informationstechnologie (UBIT), die in Kooperation mit dem Kärntner Institut für Höhere Studien (KIHS) erstellt wurde, kommt zu dem Schluss: Es gibt noch viel Luft nach oben.
»Österreich muss ein Vorreiter in der Digitalisierung werden. Wir müssen Geschwindigkeit aufnehmen, wenn wir im globalen Wettbewerb mithalten und an die Spitze kommen wollen«, möchte sich UBIT-Obmann Alfred Harl nicht mit einem Platz in der Mitte im europäischen Vergleich abgeben. Mit der mittlerweile dritten Ausgabe eines IKT-Statusreports zu Informatikstudien in Österreich lassen sich bereits einige Trends feststellen. Der Untersuchung zufolge fehlen derzeit 5.000 IT-Jobs. Es ist eine Zahl, die durch täglich neue Jobausschreibungen der Unternehmen und Stellenangebote in den Jobportalen untermauert wird.
Hohe Dunkelziffer
Schätzungen für Österreich gehen davon aus, dass hierzulande sogar bis zu 10.000 Fachkräfte fehlen, da viele offene Stellen nicht in der öffentlichen Statistik aufscheinen. Über die Landesgrenzen hinaus wächst der Bedarf sogar auf einen siebenstelligen Wert. »Die EU-Kommission spricht von über einer Million Arbeitsplätze, die bis zum Jahr 2020 nicht besetzt werden können«, so Harl. »Wir haben die Leute in Österreich nicht. Wir haben sie aber auch nicht in Europa«, rechnet der Wirtschaftskammer-Funktionär nicht damit, dass Personalressourcen aus umliegenden Ländern Abhilfe schaffen werden. Programmierer und Mechatroniker werden ebenso dringend in Tschechien und Bulgarien gesucht wie hierzulande. Man kommt also zu dem Schluss: Maßnahmen direkt in Österreich sind unumgänglich.
Vor allem die Zahl der Ausbildungsplätze in der Informatik – die Absolventinnen und Absolventen bilden die Basis für Innovation und Technologieentwicklung in den Unternehmen – müsse erhöht werden. Dem Arbeitsmarktservice nach sind derzeit die gefragtesten Qualifikationen Diplom-Ingenieur der Datenverarbeitung und TechnikerInnen mit einer höheren Ausbildung, zumindest ab Ingenieursebene. Besonders schwierig ist aktuell die Besetzung von Stellen wie Data-Scientist, IT-Entwickler, Business-Analysten und Enterprise-Architects. Wer in diesen Bereichen ausgebildet ist, muss keine Angst vor Arbeitslosigkeit haben. Im Gegenteil: Diese Spezialisten treten in Vorstellungsgesprächen mitunter anders auf, als es Personalabteilungen gewohnt sind. Nicht der Mensch, sondern das Unternehmen stehen dann auf dem Prüfstand. Der Arbeitgeber muss sich gegenüber dem Arbeitsuchenden beweisen.
Weniger Studienanfänger
Bild oben: Forderung nach der Finanzierung von mehr Informatik-Studienplätzen in Österreich: Martin Zandonella, UBIT Berufsgruppensprecher IT, Obmann Alfred Harl, Univ. Prof. Gerald Steinhardt, Vorsitzender Informatik Austria, und Univ. Prof. Norbert Wohlgemuth, vom Kärntner Institut für Höhere Studien.
Tatsächlich weist der Statusreport wenig positive Tendenzen in der Entwicklung der Ausbildung qualifizierter IT-Fachkräfte aus. Seitdem nur noch gesicherte und finanzierte Studienplätze zur Verfügung gestellt werden können, ist die Zahl der Studienanfänger um 19,6 % auf 1791 gefallen – an der TU Wien um 27,5 % und an der Universität Wien um 57,7 %. Davor war die Anzahl der AnfängerInnen im Bachelorstudium Informatik zwischen 2013 mit 1840 und 2015 mit 2228 AnfängerInnen noch gestiegen.
An der Universität Wien wurden 370 Studienplätze angeboten. Von 439 angemeldeten TeilnehmerInnen sind 309 zur Aufnahmeprüfung erschienen und wurden zugelassen. An der TU Wien werden 581 Studienplätze vergeben. Zur Prüfung waren 1055 TeilnehmerInnen gemeldet, erschienen sind 649 Personen. In Innsbruck gibt es 166 Studienplätze für Informatik. 147 Studierende wurden zugelassen, zur Prüfung angemeldet waren 188 TeilnehmerInnen.
An den erwähnten drei Universitäten – sie alle haben Zulassungsbeschränkungen in Fach Informatik – wurden 1037 Studierende inskribiert. Von 1682 angemeldeten TeilnehmerInnen sind 1105 zur Zulassungsprüfung angetreten. Außerdem hat die IT-Branche hat nach wie vor ein Riesenproblem in der Ansprache gut der Hälfte der Bevölkerung: Unter den 1037 österreichweit zugelassenen Studierenden der Informatik befinden sich nur 222 Frauen oder etwa 21 %.
Hohe Ausfallsquoten
Beunruhigend sind die Drop-out-Quoten im Studienzweig Informatik an den Universitäten mit 53,6 % bei Bachelor- und 53,3 % bei Masterstudien im Studienjahr 2015/16. Die Drop-out-Quoten an den Fachhochschulen lagen bei 44,1 % im Bachelor- (WS 2013/14) und 12,1 % im Masterstudium (WS 2014/15). »Wir brauchen mehr junge Leute, die als hochqualifizierte IT-Fachkräfte arbeiten wollen«, meint auch Martin Zandonella, IT-Sprecher im Fachverband UBIT. Verbesserte Studienbedingungen könnten die Drop-out-Quote zwar senken, insgesamt sind dennoch mehr Studienplätze notwendig, um dem InformatikerInnen-Schwund entgegenzuwirken.
Technische Studiengänge erklären die hohen Drop-out-Quoten sehr oft mit »Job-outs« – StudentInnen, die ohne Universitätsabschluss direkt in den Arbeitsmarkt einsteigen. Schließlich werden diese dringend gesucht. Dennoch sieht Zandonella die Job-outs auch als grundsätzliches Problem. Für Qualitätsjobs ist mindestens ein Abschluss auf Bachelor-Niveau nötig. »Ich glaube nicht, dass Ausbildungen die nur drei Monate dauern, jene Know-how-Träger hervorbringen können, die für die Digitalisierung in den Unternehmen benötigt werden«, warnt er.
Die Kosten der Bildungseinrichtungen für die Ausbildung von Masterstudierenden beliefen sich im Jahr 2014 auf durchschnittlich 13.812 Euro pro Studentin oder Student. »Im gesamtwirtschaftlichen Kontext sind die Kosten für die Ausbildung eines Studierenden nur ein Bruchteil jener Kosten des Wertschöpfungsverlustes, die aus einem leerstehenden Arbeitsplatz entstehen, denn diese betragen 160.000 Euro jährlich. Dabei ist die verlorene Innovationskraft der Unternehmen aus nicht-realisierten Chancen der Digitalisierung noch gar nicht berücksichtigt«, führt Zandonella weiter aus.
Wenn nun ein Riesenmangel an IT-Ausgebildeten herrscht – wie sinnvoll sind dann Zugangsbeschränkungen mancher Universitäten? Gerald Steinhardt, Dekan der Informatik an der TU Wien, dazu: »Qualität geht in der Ausbildung vor. Die beschränkten Ressourcen ermöglichen es nur, eine limitierte Anzahl von Studierenden mit diesem Qualitätsniveau auszubilden. Um mehr Studierende auszubilden, muss die Regierung die Ressourcen erhöhen.« Tatsächlich bewerben sich seit Einführung von Aufnahmeverfahren weniger Studierende. Die Stärkung der Informatikforschung und Informatikausbildung sei eine zentrale Voraussetzung, um Österreich zu einem Informatik-Hotspot auszubauen. »Dabei ist es wichtig, dass bereits in den Schulen mit dem Ausbau des Informatikunterrichts im Sinne eines verpflichtenden Schulfaches von der Volksschule bis zur Matura begonnen wird. Darüber hinaus wäre für Universitäten ein Studierendenleitsystem bei der Bewerbung um einen Studienplatz ideal, um die vorhandenen Ausbildungskapazitäten optimal auszunützen«, ergänzt Steinhardt.
Aussicht auf Verständnis
Das Thema IT ist seit Jahren eine vor allem in den obersten politischen Reihen unbeliebte Materie. Während regelmäßig Konjunkturpakete für die Bauwirtschaft durchgeboxt werden und über Energiefragen aus Sicht der Industrie debattiert wird, verhallen Forderungen nach einer zeitgemäßen Förderung von Technologie oft ungehört. Möglich, dass mit der neuen Regierungskonstellation eine sanfte Trendwende eingeleitet wird. Nach der Breitbandmilliarde der alten Koalition haben die neuen Partner zumindest einen lang gehegten Herzenswunsch der Wirtschaft bereits verwirklicht. »Eine Digitalisierungsministerin ist uns erfüllt worden. Ich freue mich, dass wir mit Margarete Schramböck eine Bundesministerin haben, die Digitalisierung wirklich mit jeder Pore lebt«, sieht Harl Österreich doch wieder auch »auf einem guten Weg«.
Neuigkeiten gibt es zu diesem Thema von der FH Salzburg und der FH Technikum Wien.