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Die große Umfrage: Bildungssystem

Foto: 458841059. Fotograf: Topp_Yimgrimm. Bildrechte: iStock. Foto: 458841059. Fotograf: Topp_Yimgrimm. Bildrechte: iStock.

Kaum eine Ankündigung schlug in den vergangenen Wochen so große Wellen wie der Sparplan von Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek. Nach massiven Protesten von LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen zog die Ministerin die Maßnahmen zurück.

Die strikte Budgetvorgabe des Finanzministers für das Bildungsressort – 57 Millionen Euro müssen heuer eingespart werden, 2015 noch einmal 60 Millionen – bleibt jedoch bestehen. Mit dem Sparen ausgerechnet im Klassenzimmer zu beginnen, hält niemand für eine gute Lösung. Aber statt echter Reformen liefert sich die Regierung einen Machtkampf mit den Bundesländern. Wird Bildung zum Spielball der Politik? Report(+)PLUS hat ExpertInnen und Betroffene um ihre Einschätzung gebeten.

1. Woran »krankt« das österreichische Bildungs­system?

Christiane Spiel, Professorin für Bildungspsychologie und Evaluation an der Universität Wien. Wir brauchen eine klare Orientierung an den Ergebnissen (Was können Schülerinnen und Schüler? – hier war die Einführung von Bildungsstandards ein Schritt in die richtige Richtung), mehr Autonomie bei den handelnden Personen und Institutionen (Autonomie bedeutet auch Verantwortlichkeit), eine hochwertige PädagogInnenbildung (hier müssen noch Rahmenbedingungen für die qualitätsvolle Umsetzung der neuen gesetzlichen Bestimmungen geschaffen werden) sowie die Etablierung einer systematische Qualitätssicherung, die inkludiert, dass für zentrale Maßnahmen nicht nur Ziele, sondern auch Implementationsschritte festgelegt und evaluiert werden.

Andreas Salcher, Mitbegründer der Sir-Karl-Popper- Schule, Unternehmensberater und Autor. Österreich zehrt von den Leistungen der Vergangenheit, insbesondere dem dualen Ausbildungssystem und dem allgemein hohen Bildungs- und Wohlstandsniveau. Leider zeigen in den letzten 15 Jahren alle Indikatoren nach unten, mit Ausnahme der Kosten. Wenn die 15-Jährigen nicht mehr lesen können, dann entziehen wir unserem dualen System selbst die Grundlage, ganz abgesehen von den katastrophalen Folgen für jeden einzelnen Betroffenen. Die messbaren Leistungen vor allem in der immer größer werdenden Risikogruppe der Kinder bildungsferner Schichten sind auf ein erschreckendes Niveau abgesunken. Wir brauchen endlich eine substanzielle Bildungspolitik.

Susanne Sänger, Consulterin bei Lead-Tech Marketing Consulting GmbH und Elternvereins-Obfrau der Volksschule Brunn am Gebirge. Es wird versucht, alle Kinder »gleich« zu machen und in einen starren, teils veralteten Lehrplan zu pressen – dafür wird das Niveau nach unten gedrückt, um es vermeintlich allen zu erleichtern. Das Ergebnis: Wir lassen eine Vielzahl von Talenten verkümmern und haben am Ende »einen durchschnittlichen Einheitsbrei«. Die Eltern sind ein wesentlicher Bestandteil des Systems (Hausübungen, Lernen), was bei Kindern aus bildungsfernen Schichten noch weiter in die »Bildungsferne« führt. Die Entscheidungsbefugnisse sind falsch verteilt, die Ausbildung und das Ansehen der LehrerInnen stehen in keinem Zusammenhang mit der Wichtigkeit ihrer Aufgabe.

2. Ist die Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden noch zeitgemäß?

Christiane Spiel. Verantwortlichkeiten, Entscheidungen und Abläufe im Bildungssystem sollten klar, transparent, ohne unnötige Bürokratie, möglichst einheitlich und gerecht erfolgen. Laut dem österreichischen Rechnungshof erfüllt die derzeitige Aufteilung der Kompetenzen diese Kriterien nicht ausreichend. Vorschläge für Änderungen sollten mit Blick auf die Ziele des Bildungssystems gemacht werden (Was kommt bei den Kindern an?). Mittels prospektiver Evaluation sollten Realisierungschancen und mögliche Nebeneffekte abgeschätzt werden.

Andreas Salcher. Diese Kompetenzaufteilung war nicht effizient, sondern ist ausschließlich durch die totale Dominanz der beiden politischen Parteien SPÖ und ÖVP im Schulsystem begründet. Wir bräuchten ein schlankes, aber starkes Bildungsministerium auf Bundesebene und eine hohe Autonomie der einzelnen Schulen mit unabhängigen Direktoren, die sich ihre Lehrer aussuchen können und über pädagogische Budgets verfügen. Alles dazwischen ist unnötig und sollte ersatzlos abgeschafft werden.

Susanne Sänger. Nein, hier wird ein unsinniger Machtkampf auf dem Rücken unserer Kinder ausgetragen. Entscheidungsbefugnisse sollten bei den Schulen und den DirektorInnen liegen. Sie sollten auch über das eigene Personal entscheiden dürfen (wichtig wäre die Definition von Qualitätskriterien sowie deren Einhaltung!) sowie über ein Budget frei verfügen. Die Hierarchie nach oben müsste wesentlich flacher sein, um schneller und flexibler auf Veränderungen reagieren zu können. Ein großer Overhead ist zu vermeiden, da er nur unnötig Kos­ten aufwirft.

3. Sehen Sie das Zukunftspotenzial Österreichs durch die Sparmaßnahmen gefährdet?

Christiane Spiel. Das österreichische Bildungssys­tem ist in Relation zu seinen Leistungen ziemlich teuer. Der Rechnungshof hat viele Vorschläge erarbeitet, wo und wie gespart werden kann. Die Umsetzung geht jedoch zweifellos nicht von einem Tag auf den anderen. Außerdem brauchen wir für dringend notwendige Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und zum Ausgleich von Benachteiligungen zusätzliche Geldmittel. Dazu gehören die Umsetzung der PädagogInnenbildung und der Ausbau von Kinderkrippen, Kindergärten und Ganztagsschulen. Da Befunde aus dem Ausland nicht 1:1 auf die österreichische Situation übertragbar sind, sollte auch gezielt in Bildungs- und Transferforschung investiert werden. Bildung, Wissenschaft und Forschung sind die zentralen Zukunftsthemen. Hier darf nicht nach dem Rasenmäherprinzip gespart werden.

Andreas Salcher. Seit Jahrzehnten redet man uns ein: Wir brauchen mehr Lehrer und mehr Geld. Beides ist nachweisbar falsch. Wir haben heute ca. 100.000 Schüler weniger als vor 40 Jahren und trotzdem fast doppelt so viele Lehrer. Die Bildungssysteme der vielen Länder, die in den OECD-Studien vor uns liegen, geben weniger Geld pro Schüler aus als wir. Der größte Kostentreiber ist das absurde Lehrerdienstrecht. Obwohl nur jeden zweiten Tag unterrichtet wird, werden jährlich 3,7 Millionen Überstunden »produziert«. Dieses planwirtschaftliche System kann man nicht länger durch Kosmetik kaschieren, sondern nur radikal reformieren.

Susanne Sänger. Es ist zu befürchten, dass unter dem Deckmantel der Sparmaßnahmen eine Verbesserung des Bildungs- und Betreuungssystems unserer Kinder weiter verhindert bzw. verzögert wird. Einsparungen sind sicher möglich, dürfen aber nicht zu Lasten des Ausbildungsniveaus gehen, es darf nicht ohne Plan und Ziel an allen Ecken und Enden etwas »abgezwackt« werden. Es gibt andere Möglichkeiten, Sparvorgaben umzusetzen, beispielsweise in der Verwaltung oder auch im überholten Lehrerdienstrecht.

Last modified onFreitag, 13 Juni 2014 11:54
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