»Stehen vor einem Umbruch des gesamten Systems«
- Written by Martin Szelgrad
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Die Energiewirtschaft hat ein neues ElWOG und blickt großen Aufgaben entgegen. Barbara Schmidt, Generalsekretärin von Oesterreichs Energie, im Gespräch.
Report: Frau Schmidt, das Elektrizitätswirtschafts- und Organisationsgesetz wurde beschlossen und die Wirtschaft scheint mit den Ausführungen zufrieden zu sein. Wie geht es den Energieversorgungsunternehmen damit?
Barbara Schmidt: Mit dem Beschluss des ElWOG wurde ein Riesenschritt in der Umsetzung des dritten Binnenmarktpakets der EU getan. Noch muss es vom Bundesrat beschlossen und in Landesgesetze umgesetzt werden – der Inhalt steht aber fest und bringt Rechtssicherheit in vielen Punkten. So wurde nun klar, wie die EU-Kommission im Unbundling bei Verteilnetzen und Stromlieferanten vorgehen wird – beim Übertragungsnetz wurde ein für alle zufriedenstellender dritter Weg gefunden.
Wir sind mit dem ElWOG im Großen und Ganzen zufrieden, wenn auch einige fragliche Punkte geblieben sind. So wurde die Organisation der Regulierungsbehörde unnötig aufgebläht und auch manche Instanzen sind in ihren Kompetenzen nicht klar definiert. Doch bin ich zuversichtlich, dass wir mit dem Gesetz nun gültige Rahmenbedingungen für einige Jahre haben werden. Immerhin wurde damit die mittlerweile dritte große Novelle innerhalb eines Jahrzehnts beschlossen. Nicht nur bei uns wurden damit viele Ressourcen und viel Energie gebündelt, die man sinnvoller einsetzen könnte.
Report: Welche Punkte stechen für Sie dabei heraus – positiv oder negativ?
Schmidt: Ob nun ein Anbieterwechsel in drei oder vier Wochen möglich ist – diese Diskussion ist zwar gut, doch gibt es wichtigere Themen. Die Wirtschaft muss aufgrund der großen Themen Klimaschutz und erneuerbare Energie dringend in Erzeugungsanlagen und Netze investieren.
Als großen Erfolg und auch positive Überraschung werte ich die Aufnahme einer Passage ins Elektrizitätswirtschaftsgesetz bei Genehmigungsverfahren: der Gegenstand des öffentlichen Interesses an sicherer Stromversorgung, insbesondere aus heimischen nachhaltigen Quellen. Der Passus wurde von uns lange gefordert, aber in die bereits 2009 beschlossene Novelle der Umweltverträglichkeitsprüfung leider nur sehr abgeschwächt aufgenommen. Wir hoffen nun durch die Verankerung im ElWOG auf Rückenwind für dieses Thema auch im Wasserrechtsgesetz. Dieses soll noch bis Ende des Jahres durch den Ministerrat gehen.
Report: Nicht allen gefällt die Passage des öffentlichen Interesses. Der Umweltdachverband wähnt hier eine Form von bestimmender Diktion und beschwört bereits ein Aufbegehren der Bevölkerung, wie bei Stuttgart 21, herauf.
Schmidt: Die Novelle hat natürlich eine großeSymbolwirkung. Die E-Wirtschaft will aber weder über Bürgerinteressen drüberfahren noch geltendes Umwelt- und Naturschutzrecht umgehen. Es geht hier nicht um ein übergeordnetes, sondern um ein gleichberechtigtes Interesse, das Verhandlungsleiter in Prüfungsverfahren berücksichtigen müssen. Bei Entscheidungen zu einem Kraftwerks- oder Leitungsbau ist neben dem Naturschutz und den Parteirechten nun auch die Relevanz für die heimische Versorgungssicherheit zu berücksichtigen. Die Entscheidung liegt aber weiterhin ausschließlich beim Behördenleiter. Angst zu verbreiten und Konflikte heraufzubeschwören – das ist einfach verwerflich.
Die Energiewirtschaft steht prinzipiell bei allen Projekten im Dialog mit der Bevölkerung. Hat man nach eingehender Information und Argumentation die Anrainer immer noch nicht auf seiner Seite, tut man sich schwer. Die Zeiten, in denen sich Aktivisten an Bäume ketten mussten, um gehört zu werden, sind lange vorbei. Und das ist gut so.
Report: Lässt sich ein energieautarkes Österreich, wie es Umweltminister Niki Berlakovich wünscht, tatsächlich realisieren? Wenn ja, zu welchem Zeitpunkt?
Schmidt: Man muss hier unterscheiden: Ein stromautarkes Österreich ist schon möglich – nur frage ich mich, ob man das wirklich will. In den vergangenen Jahren wurde auf europäischer Ebene erfolgreich ein Binnenmarkt geschaffen, von dem sich Österreich wohl nicht wieder abschotten wird. Gerade die Stromgewinnung aus erneuerbaren Energien ist ja beträchtlichen Leistungsschwankungen unterworfen und benötigt Ausgleichsenergie.
Eine völlige Energieautarkie dagegen wird in den nächsten Jahrzehnten kaum möglich sein – Verbrennungsmotoren wird es ja noch länger geben. Wir sind aber sehr froh, dass es wieder Ziele und politische Vorgaben wie die Energiestrategie von den Ministern Niki Berlakovich und Reinhold Mitterlehner gibt. Diese gilt es nun abzuarbeiten und zu erfüllen.
Report: Wie sieht es mit einer Nettoautarkie aus? Kann Österreich wieder zu einem Stromexporteur werden?
Schmidt: Bereits im Jahr 2008 mussten die Elektrizitätsunternehmen, wenn auch aufgrund der beginnenden Wirtschaftskrise, kaum Strom importieren. Vor der Liberalisierung im Jahr 2001 war Österreich sogar Nettoexporteur. Für die Energieversorger hatte es sich mit der Marktliberalisierung damals wirtschaftlich nicht mehr rentiert, neue Kraftwerke zu bauen – es wurde vermehrt Strom am freien Markt zugekauft. Ein neuerlicher Nettoüberschuss an Strom wäre in Zukunft aber denkbar – vorausgesetzt, die bestehenden Potenziale der erneuerbaren Energien können genützt werden und wir dürfen weiter effiziente Gaskraftwerke betreiben. Prinzipiell sollte man stets auf jene Stromerzeugungsformen zurückgreifen, die zum jeweiligen Zeitpunkt die günstigsten sind. Deswegen macht es auf europäischer Ebene Sinn, wenn in Spanien Solaranlagen und an den Küsten Offshoreanlagen mit Windkraft Strom erzeugen. Österreich spielt darin mit seinen Pumpspeicherkraftwerken als grüne Batterie Europas eine wesentliche Rolle.
Ich sehe für diese Entwicklung auch einen Rückhalt in der Bevölkerung. Die Zustimmung für heimische Energieerzeugung, darunter Wasserkraft, ist in den letzten Jahren gestiegen. Die Menschen wissen, dass man in Zeiten des Klimaschutzes für eine saubere, österreichische Erzeugung auch Kraftwerke braucht und der Strom nicht nur aus der Steckdose kommt.
Report: Welche der Punkte in der Energiestrategie sind für die Wirtschaft leicht umsetzbar, welche werden nur schwer zu erfüllen sein?
Schmidt: Noch enthält die Energiestrategie keine konkreten Umsetzungsmaßnahmen. Mitte November wurden nun Arbeitsgruppen gebildet, um detaillierte Maßnahmen und Zeitpläne auszuarbeiten.
Was aber die Energiewirtschaft eigenständig tun kann, setzt sie bereits um. Aus unserer Sicht ist der Ausbau der Wasserkraft um weitere sieben Terawattstunden (TWh) bis zum Jahr 2020 möglich. In der Energiestrategie wurde eine Größe von 3,5 TWh bis 2015 festgesetzt. In unserer vor kurzem vorgestellten Kraftwerksliste befinden sich allein Kapazitäten von vier TWh, die bereits in Umsetzung sind. Sie sehen: Die Branche schafft dies alles aus eigener Kraft.
Für den bestmöglichen Ausbau im Rahmen der Energieziele wird es aber wichtig sein, überparteilich auch alle Bundesländer ins Boot zu holen.
Report: Welche Herausforderungen kommen auf die Energieversorger beim Smart Meter und der Einbindung von alternativer Energieerzeugung zu? Welche Investments werden in Österreich nötig sein?
Schmidt: Wir rechen bis zum Jahr 2020 mit Kosten von sechs Milliarden Euro für den Neubau und die Instandhaltung der Übertragungs- und Verteilnetze. Die Kosten für Smart Meters sind in dieser Rechnung noch nicht enthalten. Bei den intelligenten Stromzählern rechnet man mit Kosten von bis zu zwei Milliarden Euro, um flächendeckend jeden Haushalt auszurüsten. Doch werden die Investitionskosten und der Aufwand für den Betrieb der Smart Meters laut ElWOG über die Netztarife abgegolten. Zuvor müssten aber alle Fragen des Datenschutzes und der technischen Normung abgeklärt werden. Die E-Wirtschaft hat jedenfalls kein spezifisches Interesse, Kundendaten zu sammeln. Wir werden jene Dinge umsetzen, die uns von der Politik vorgegeben werden. Der Minister kann ja der Novelle zufolge diesen Ausbau nun verordnen.
Report: Kommen damit auf die Konsumenten Strompreiserhöhungen zu?
Schmidt: Gratis wird es die neuen Stromzähler nicht geben können. Dies wird aber Auswirkungen auf die Netznutzungstarife haben. Der Gesamtstrompreis wird dadurch erhöht. Dabei stellt sich auch die Frage, ob Smart Meters wirklich flächendeckend ausgerollt werden müssen. Vermutlich sind zuerst jene Haushalte für den intelligenten Stromzähler geeignet, die selbst Strom ins Netz einspeisen – beispielsweise über eine Photovoltaikanlage am Hausdach.
Report: Was sind Ihrer Meinung zufolge die Herausforderungen der Zukunft? Was erwartet die E-Wirtschaft mittelfristig?
Schmidt: Trotz aller Effizienzbestrebungen – die Energieversorgungsunternehmen sind seit den Ölkrisen der 70er-Jahre Vorreiter in der Beratung zu Energieeinsparungen – wird die Bedeutung des Stroms am Gesamtenergiemix zunehmen. Im Wasserkraftland Österreich wird der Strom bereits zu zwei Drittel aus erneuerbarer Energie gewonnen. Vor allem aber werden fossile Brennstoffe im Bereich des Verkehrs – Stichwort Elektromobilität – und im Wärmesektor zunehmend verdrängt. Nötig dazu sind aber weitere Erzeugungsanlagen, die gerade bei den Erneuerbaren in kleinteiligeren Strukturen zu finden sein werden. Dies bedingt auch eine Umstellung der Netzinfrastruktur. Die große Herausforderung ist, ein weiterhin stabiles Netz trotz der schwankenden Stromeinspeisungen durch Windkraft, Photovoltaik und anderer alternativer Energieerzeuger gewährleisten zu können. Wir stehen schlichtweg vor einem Umbruch des gesamten Systems. Nach dem Zeitalter des Öls kommt das Zeitalter des Stroms – und dieser stammt großteils aus österreichischen erneuerbaren Quellen.
>> Zur Organisation: Oesterreichs Energie (vormals »Verband der Elektrizitätsunternehmen Österreichs – VEÖ«) ist die Interessenvertretung der österreichischen E-Wirtschaft. Sie vertritt die gemeinsam erarbeiteten Brancheninteressen gegenüber Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit.