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Enigma, X-Rays & Co

Enigma, die Chiffriermaschine aus dem Zweiten Weltkrieg, ist zum Synonym für moderne Kryptografie geworden. Lange Zeit galt die von der deutschen Wehrmacht im Nachrichtenverkehr eingesetzte Maschine als unknackbar. Die Buchstaben wurden mithilfe von drei Walzen in Chiffren umgewandelt. Die gefunkten Chiffren wurden vom Empfänger aufgenommen und mit einer Enigma gleicher Bauart wieder in Buchstaben übersetzt. Der dazu benötigte Code wurde täglich geändert. Selbst wenn die Kriegsgegner eine Enigma erbeutet hätten, wäre sie ohne die zugehörigen Codes weitgehend wertlos, dachten die Deutschen. Dass es den Alliierten dennoch gelang, in das deutsche Nachrichtensystem einzudringen, ist einem jungen englischen Wissenschafter zu verdanken. Keinem Spion, der aus der Kälte kam, keinem Geheim­agenten im Dienste ihrer Majestät, sondern dem Mathematiker Alan Mathison Turing - einem Grundlagenforscher. Turing wurde bei Kriegsausbruch 1939 für den legendären Bletchley Park verpflichtet, ein geheimes Entschlüsselungszentrum 70 Kilometer nordwestlich von London.
In Bletchley Park versammelten sich Wissenschafter aus den verschiedensten Disziplinen - Historiker, Mathematiker und Sprachwissenschafter, selbst auf das logische Denken genialer Schachspieler wollte die britische Regierung nicht verzichtet. Mit der Praxis, der angewandten Forschung hatten sie nicht viel am Hut, ihr Metier war der Erkenntnisgewinn. Sie alle hatten eine Aufgabe: die deutsche Enigma zu knacken. Um der astronomisch hohen Anzahl von Verschlüsselungsmöglichkeiten Herr zu werden, mussten die Mitarbeiter in Bletchley Park völlig neue Wege beschreiten. Mithilfe seiner Kenntnisse über die mathematischen Grundlagenforschung entwickelte Turing die so genannten »Bombes«. Diese schrankgroßen, elektromechanischen Geräte bestanden aus einer Reihe miteinander gekoppelten Walzen einer erbeuteten Enigma, die die zahlreichen unterschiedlichen Positionen der Walzen rasch durchspielen konnte. Damit legte Turing wichtige Grundlagen für die Entwicklung moderner Computer. Für den Einbruch in den Nachrichtenverkehr der deutschen Kommandoebene wurde ab 1942 der Großrechner »Colossus« entwickelt. Der Vorläufer der heutigen Computer ermöglichte die Entschlüsselung deutscher Fernschreiben innerhalb von nur wenigen Stunden. Dieser Erfolg war für den weiteren Kriegsverlauf zumindest mitentscheidend. Stärke und Standorte deutscher Verbände waren nun ebenso bekannt wie der Verlauf von Nachschublinien. Ohne die Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung wäre dieser Erfolg undenkbar gewesen.
ähnliche Beispiele lassen sich für beinahe allen Bereiche des Lebens finden - etwa in der Medizin. Die Entdeckung der Röntgenstrahlen und ihre medizinische Verwendung ist ebenso Ergebnis der Grundlagenforschung wie das Penicillin. Auch die biologische Grundlagenforschung bringt Erkenntnisse über bestimmte Struktur- oder Organisationsprinzipien, die erst viel später ihren Weg in eine technische Umsetzbarkeit finden. Als die ersten Wissenschafter versuchten, die Haut des Hais mit ihren winzig kleinen, schuppenartigen Zähnchen zu verstehen und künstlich herzustellen, hatten sie keine konkrete Verwendung im Sinn. Es ging nur um die Erkenntnis. Erst Jahre später sind die ersten Schwimmstars mit einem Anzug aus künstlicher Haihaut zu Wettbewerben angetreten, um die hydrodynamischen Eigenschaften für sich zu nutzen. Heute werden die Außenwände ganzer Schiffe mit diesem künstlichen Belag überzogen. Nicht aus hydrodynamischen Gründen, sondern um das Schiff vor ungewollten Besiedlern zu schützen.

Theorie versus Praxis
Trotz dieser Erfolge hat es die Grundlagenforschung in der heutigen Zeit nicht leicht. Der Verwertungswahn, der in Industrie, Politik und Wissenschaft immer mehr um sich greift, stellt den reinen Erkenntnisgewinn ins Abseits. Wenn die unmittelbare wirtschaftliche Verwertbarkeit wissenschaftlicher Erkenntnis an oberster Stelle steht, hat die Grundlagenforschung einen schweren Stand. Das gilt nicht nur für die ökonomisch schwer vermittelbaren Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften, auch der Erkenntnisgewinn in der Naturwissenschaft fristet zunehmend ein Schattendasein.
»Grundlagenforschung ist die Suche nach neuen Erkenntnissen, unabhängig davon, ob und wie das daraus abgeleitete neue Wissen praktisch verwertet werden kann«, so die offizielle Definition, die bei potenziellen Geldgebern für Unruhe sorgt. Warum Geld in etwas investieren, wenn nichts dabei rauskommt? Diese Einstellung mag ökonomisch nachvollziehbar sein, sie ist aber auch äußerst kurzsichtig. Denn es waren immer die Grundlagenforscher, die mit Neugierde, Mut und Ausdauer eine Idee verfolgten und dabei zu neuen Erkenntnissen über Gesellschaft, Erde und Kosmos kamen - und dafür nicht selten angefeindet wurden. Dabei haben viele dieser anfangs als unnütz betrachteten Erkenntnisse unser Leben von Grund auf verändert. Als die dänische Krone dem Astronomen Tycho Brahe im 16. Jahrhundert enorme Ressourcen für ein astronomisches Observatorium zur Verfügung stellte, konnte keiner mit den enormen Auswirkungen auf die Gesellschaft rechnen. Brahes Messungen der Sternpositionen eröffneten in den Händen von Johannes Kepler nicht nur die Tür zur modernen Astronomie und Kosmologie, sondern auch zur Mechanik eines Galileo Galilei und Isaac Newton. Eine äußerst praktische Wissenschaft, ohne die die Gesellschaft von heute nicht denkbar wäre.
Während die angewandte Forschung zielgerichtet nach Problemlösungen sucht, wird der Grundlagenforscher von der Neugierde getrieben, der Neugierde, Unbekanntes zu entdecken und Zusammenhänge zu verstehen. Nicht selten kommt auch der Zufall zu Hilfe, wie etwa bei der Entdeckung der Röntgenstrahlen, der Elektrizität und des Penicillins. Entscheidend ist, dass diese Zufälle richtig erkannt und gedeutet werden. In der Fachsprache nennt man dieses Erkennen und Deuten »Serendipity« - die unerwartete und überraschende Beobachtung, die den Weg zu völlig neuen Erkenntnissen ebnet. So entwickelte sich aus Luigi Galvanis zufälliger Beobachtung der zuckenden Froschschenkel durch intensive Ursachenforschung unser Wissen über den elektrischen Strom. Diese Art von Forschung zu ermöglichen, ist Aufgabe der Politik. »Es ist die Pflicht der öffentlichen Hand, die Grundlagenforschung mit Kapital auszustatten«, sagt auch Peter Kowalski, Sektionschef im Wissenschaftsministerium. Denn auch wenn die Grundlagenforschung nicht immer direkt erfahrbar sei, steckt sie doch überall drinnen.

Tipp: Abenteuer Forschung:
Die neue Dauerausstellung \"Abenteuer Forschung“ im technischen Museum ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Wissenschaftsfonds FWF. Für den FWF ist es nach der \"Erlebniswelt Forschung“, in deren Rahmen Wittgenstein-Preisträger die Bevölkerung über ihre Arbeit informierten und der Konferenz \"Science Impact“ der dritte Schritt, die Grundlagenforschung transparent zu machen. Ziel der Ausstellung ist es, die öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren. Auf 140 Quadratmetern will die Ausstellung zeigen, wie Grundlagenforschung \"passiert“. Wie aus der Beobachtung von Naturphänomenen oder auch aus reiner Neugierde oder als Antwort auf eine konkrete Problemstellung Ergebnisse entstehen, die immer wieder innovative Meilensteine in verschiedenen Wissensbereichen setzen. Die Kernzielgruppen sind Kinder ab zehn Jahren, Jugendliche und Schulen.

Technisches Museum
Mariahilfer Straße 212
1140 Wien

öffnungszeiten:
Mo - Fr: 9 - 18 Uhr
Sa, So & Feiertage: 10 - 18 Uhr

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