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Podiumsgespräch: Stromnetze auf smarten Wegen

Mit Martin Szelgrad, Report (re.), diskutierten (v.l.n.r.) Arbeiterkammer-Energieexperte Dominik Pezenka, Christian Schönbauer, Leiter Sektion Energie und Bergbau im Wirtschaftsministerium; ABB-Vorstandsvorsitzender Franz Chalupecky; Hemma Bieser, Geschäftsführerin avantsmart; Energie Burgenland Windkraft-Geschäftsführer Wolfgang Trimmel und Peter Weinelt, Geschäftsführer Wiener Netze und Vorstandsmitglied Forum Versorgungssicherheit. Mit Martin Szelgrad, Report (re.), diskutierten (v.l.n.r.) Arbeiterkammer-Energieexperte Dominik Pezenka, Christian Schönbauer, Leiter Sektion Energie und Bergbau im Wirtschaftsministerium; ABB-Vorstandsvorsitzender Franz Chalupecky; Hemma Bieser, Geschäftsführerin avantsmart; Energie Burgenland Windkraft-Geschäftsführer Wolfgang Trimmel und Peter Weinelt, Geschäftsführer Wiener Netze und Vorstandsmitglied Forum Versorgungssicherheit. Foto: Report Verlag/Annika Müller

Der Wandel in der Erzeugung, im Transport und im Konsum von ­Energie stellt traditionelle und neue Markt­teilnehmer vor große Herausforderungen. Das Report-­Podiumsgespräch zu Stromnetzen, Erneuerbaren und neuen Technologien. Der große Nachbericht.

    

Was müssen die Netze der Zukunft können, um allen Anforderungen gewachsen zu sein? Wie kann in diesem dynamischen Umfeld die hohe Versorgungssicherheit in Österreich aufrechterhalten werden? Am 2. Juni diskutierten Sprecher aus der Wirtschaft, der Verwaltung und von Interessensvertretungen zum Wandel der Energiesysteme und Netzstabilität. 120 Besucher waren in den Festsaal der Wiener Netze gekommen. Die Partner des Report-Gesprächs: Forum Versorgungssicherheit, Wiener Netze, Ener­gie Burgenland Windkraft und ABB.

Report: Die Verteilernetze waren früher auf eine Energieflussrichtung ausgerichtet. Mit der Energiewende wird Strom zunehmend dezentral produziert. Wie fit sind die Stromnetze für Energie aus erneuerbaren Quellen?

Peter Weinelt, Wiener Netze und Forum Versorgungssicherheit: Als ich in dieser Branche vor vielen Jahren begonnen habe, haben wir die Kraftwerksbetreiber in unserem Versorgungsgebiet alle noch persönlich gekannt. Diese Welt hat sich geändert. Die Anzahl der Stromerzeuger hat in den letzten Jahren massiv zugenommen und wir haben mehr und mehr Gegenverkehr in den Stromnetzen zu bewältigen. Das ist für die Netze grundsätzlich kein Problem. Sie sind fit und haben durch die Weitsicht unserer Vorgänger immer noch Reserven, um auch mit plötzlich auftretenden Lastspitzen umgehen zu können. Solch eine Flexibilität fällt aber nicht einfach vom Himmel, sondern muss mit dem weiteren Ausbau erarbeitet werden.

Dank langfristiger Netzplanungen muss sich in Österreich kein Kunde – ob Haushalt oder Industrieunternehmen – Gedanken über die Versorgungssicherheit machen. Eine leistungsfähige Infrastruktur ist aber gerade aus diesem Grund so wichtig. In den Sechziger- und Siebzigerjahren wurde viel in die Stromnetze inves­tiert. Diese Infrastruktur ist heute teilweise mehr als ein halbes Jahrhundert alt und muss erneuert werden. Zusätzlich wächst Wien jährlich um 30.000 Einwohner rasant und benötigt neue Infrastruktur.

Die Effekte der Energiewende rund um Erneuerbare wie Photovoltaik und Windkraft spüren wir vornehmlich in den Verteilnetzen. Über 90 % der erzeugten Kilowattstunden werden in diese Netze eingespeist. Es ist nun wichtig, neben den Übertragungsnetzen vor allem den lokalen Netzbereich zu stärken. Auf allen Ebenen – wirtschaftlich, regulatorisch und technisch – haben die Netzbetreiber ein Hauptziel: die Versorgungssicherheit auch in Zukunft auf jenem hohen Niveau zu halten, auf dem sie bereits seit Jahren ist. Dazu müssen wir in vielen Bereichen noch besser werden, es ist aber auch ein Überdenken der Marktregulierung nötig.

Report: Finden die Stromnetzbetreiber derzeit gute Rahmenbedingungen für Investitionen vor – oder keine guten?

Peter Weinelt: Es ist vielleicht typisch österreichisch, wenn die Antwort darauf »jein« ist. Der Regulator hat zwar klare Investitionsanreize für die Netzbetreiber gesetzt, eine Regulierungsperiode dauert aber nur fünf Jahre – danach werden die Karten neu gemischt. Unsere Planungsperioden beginnen hingegen erst bei 50 Jahren. Die Rahmenbedingungen ändern sich einfach so schnell, dass langfristige Inves­titionen schwierig sind. Wir weisen in unserer Arbeit im Forum Versorgungssicherheit auf dieses Thema hin: Versorgungssicherheit muss übergeordnet betrachtet werden – Netzbetrieb, Stromerzeugung aber auch Rohstoffwirtschaft. Wir hatten ja auch schon Gas-Engpässe in Österreich.

Report: Herr Trimmel, wie sind Sie als Windbetreiber dazu aufgestellt?

Wolfgang Trimmel, Energie Burgenland Windkraft: Im Burgenland haben wir aufgrund der Randlage, den begrenzten Möglichkeiten in der Wasserkraft und auch mit relativ langgestreckten Netzen eine ganz andere Situation als in Wien. Wir hatten in der Vergangenheit wenige Kraftwerke und haben dann in den Neunzigerjahren begonnen, die Ressource Wind zu nutzen, die es ja in unserem Bundesland stellenweise im Übermaß gibt. Zwar hat es auch in unserem Unternehmen anfangs Widerstand gegeben, auf die Windkraft mit ihren fluktuierenden Erzeugungsleistungen zu setzen. Wir haben aber gelernt, dass es sich auszahlt, auf Erneuerbare zu setzen.

1997 wurden die ersten kleinen Anlagen in Zurndorf auf der Parndorfer Platte errichtet und in den Folgejahren die Netze vor allem auf der Mittelspannungsebene ausgebaut und weitere Umspannwerke errichtet. Heute betreibt Energie Burgenland Windkraft 220 große Windräder. Im ganzen Burgenland sind es über 400 Anlagen mit einer Gesamtleistung von rund einem Gigawatt – das entspricht der Leis­tung eines Atomkraftwerks. Das bringt auch große Herausforderungen für die Netze. Bei entsprechender Windlage kann diese Erzeugungsleistung innerhalb von 20 Minuten von null auf hundert anwachsen. Die Spitzen schnell und sicher abzuführen, funktioniert nur über die Höchstspannungsebene, die Stromautobahn.

Report: Wo liegen aus Ihrer Sicht die Herausforderungen in der Energiewirtschaft?

Wolfgang Trimmel: Der Windkraftausbau im Burgenland stagniert wieder etwas, da die optimal geeigneten Flächen für Windkraftanlagen weitgehend erschlossen sind und auch die Netzkapazitäten spürbar an ihre Grenzen stoßen. Hier scheitert es aber nicht an den Umspannwerken regional, sondern an Themen wie der für den heimischen Netzbetrieb wichtigen Salzburgleitung und dem Ausbau von Knotenpunkten ins deutsche Stromnetz.

Report: Herr Chalupecky, es ist in aller Munde – aber was bedeutet eigentlich »smart« oder »intelligent« im Zusammenhang mit Stromnetzen?

Franz Chalupecky, ABB: Smarte Netze bedeuten aus unserer Sicht vor allem auch große Veränderungen in den Verteilnetzen – hier gebe ich meinen beiden Vorrednern recht. Die Netze sind ein wichtiger Faktor, um unsere energie- und klimapolitischen Ziele in Europa zu erreichen.

Diese Wende ist nicht kostenlos. Die nötigen Investitionen dazu beginnen bei den Smart-Meter-Rollouts und betreffen auf weiteren Ebenen die gesamte Netzarchitektur. Wir arbeiten neben entsprechenden Produkten und Systemen auch an neuen Softwarelösungen, um diese Probleme zu lösen. Informationstechnologie wird zunehmend in die Verteilnetze einziehen, um diese flexibel und automatisiert – also intelligent – managen zu können. Insbesondere betrifft dies die Veränderungen im Stromfluss in den Ortsnetzen, bedingt durch die vielen neuen kleinen Erzeuger beispielsweise im Bereich Photovoltaik. Am Ende wird sich das Geschäftsmodell der Energieversorger völlig verändern, es wird neu zu definieren sein.

Als Vertreter der Zulieferindustrie sehe ich diese Entwicklung  mit großem Interesse. Auch wenn derzeit keine thermischen Großkraftwerke gebaut werden und der Schwerpunkt bei kleinen Wasserkraftwerken liegt, sind die Netze für die Industrie ein Hoffnungsmarkt. An diesen Inves­titionen führt kein Weg vorbei. Im Zentrum dieser Marktveränderungen steht immer Technologie. ABB investiert jährlich rund 1,5 Mrd. Euro in Forschung und Entwicklung und kauft auch Softwareunternehmen für IT-Lösungen zu, die bei den Anforderungen im Smart Grid oder für neue Geschäftsmodelle gefragt sind.

Report: Wie sieht die Ausrichtung Österreichs für eine zukunftsorientierte Stromversorgungsstruktur aus? Welche Zielsetzung hat der Staat dazu?

Christian Schönbauer, Wirtschaftsministerium: Energieversorgung ist kein Selbstzweck, sondern hat bestimmte Anforderungen zu erfüllen. Vor allem muss sie jene erreichen, die von ihr abhängig sind. Die Aufgabe des Staates ist nun, den gewaltigen Veränderungsprozess insbesondere in der Stromversorgung, in dem wir uns befinden, auf den Boden zu bringen – und die hohe Versorgungssicherheit auch in Zukunft leistbar für alle zu gewährleis­ten. Letzteres betrifft sowohl die Konsumenten als auch die Wirtschaft.

Gerade beim Thema Energiepreis sehen wir uns im Wettbewerb mit anderen Regionen. Die Energieversorgung muss so funktionieren, dass für die industrielle Produktion auch ein Standort Österreich möglich ist.

Gleichzeitig befinden wir uns in einer global geführten Diskussion zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz, in der die Energiewirtschaft eine zentrale Position einnimmt. Die Risiken des Klimawandels sind ernst zu nehmen, wir müssen darauf Antworten finden. Ein Forcieren von Erneuerbaren ist auch deswegen für Öster­reich und Europa attraktiv, weil wir einen sehr hohen Anteil unseres Energiebedarfs über Importe aus politisch teilweise krisengeschüttelten Regionen importieren.
Die herrschenden Förderprogramme für Erneuerbare sind Anreizprogramme für neue Technologien und Geschäftsmodelle, in Zukunft wird eine stärkere Integrierung in die Gesamtversorgung notwendig sein, und Energieversorgungsunternehmen werden Geschäftsmodelle für geänderte Rahmenbedingungen entwickeln.

Report: Derzeit wird über die Ökostromumlage einiges der Kosten für Erneuerbare den Haushalten aufgebürdet. Wer sollte aus Sicht der Arbeiterkammer diesen Umbau bezahlen?

Dominik Pezenka, Arbeiterkammer Wien: Es gibt energiepolitische Zielsetzungen, die allen klar sind, deren Kosten derzeit aber mehrheitlich von den Haushalten getragen werden. Diese verbrauchen nur rund 25 % des Stroms in Österreich, tragen aber rund 55 % der Netzkosten. Es sollten in dieser Diskussion nicht alle Haushalte in einen Topf geworfen werden. Während ein Hausbesitzer mit eigener Photovoltaikanlage am Dach Netzkosten verursacht und sich durch den Eigenverbrauch auch teilweise der Netzfinanzierung entzieht, haben städtische Wohnungsmieter diese Möglichkeit in der Regel nicht.

Es wird in Zukunft wichtig sein, ein Tarifmodell zu finden, das auf diese neuen Gegebenheiten Rücksicht nimmt. Wir wollen uns hier einbringen, um für mehr Gerechtigkeit im Sinne einer solidarischen Finanzierung des Energiesys­tems zu sorgen. Wenn, durch die Windkraft ausgelöst, in kürzester Zeit extreme Netzbelastungen auftreten, sollte man vielleicht die uneingeschränkte Abnahmeverpflichtung hinterfragen.

Das derzeitige Fördermodell der Einspeistarife ist für die Erzeuger von Erneuerbaren sehr bequem – Sorgen um Abnehmer müssen sie sich keine machen. Hier sollte mehr Systemverantwortung eingefordert werden. Ich denke, dass künftig hier auch neue technische Lösungen für Energiespeicher Abhilfe schaffen könnten. Hier wird es dann für dezentrale, kleinere Erzeuger möglich, ihre Energie zu einem späteren Zeitpunkt zu verbrauchen.

Report: Welche Chancen und Herausforderungen sehen Sie, Frau Bieser? Wie können diese neuen Geschäftsmodelle aussehen?

Hemma Bieser, avantsmart: Die Energiewirtschaft hat in den letzten Jahrzehnten ein sehr stabiles, funktionierendes System geschaffen, das nun seit einigen Jahren massiven Veränderungen unterworfen ist. Die Rollen der Energie-unternehmen werden sich verändern und es werden neue Geschäftsmodelle entstehen. Hierzu sind viele Ideen da, wir stehen aber noch am Anfang.

Es gibt bereits viele visionäre Projekte und Forschung mit entsprechenden Ergebnissen, beispielsweise im Smart-Meter-Bereich, um den Energieverbrauch transparent zu machen und Einsparungen zu erzielen. Gerade zu diesem Thema haben die Endkunden einen sehr unterschiedlichen Zugang. Die neuen Servicemodelle der Energieversorger und auch anderer Unternehmen müssen an genau diesen Bedürfnissen ansetzen. Gerade im IT-Bereich sind einige Startups bei Energieeffizienz und Energieeinsparungen im Gewerbebereich erfolgreich tätig. Auch Tesla oder Google stoßen in diesen Markt.

Für mich ist die entscheidende Frage nicht, das beste Produkt zu bieten, sondern eine Sache der besten Vermarktung. Hier sehe ich heimische Startups in einer guten Position, sich auch gegen die Gro­ßen zu behaupten.

Last modified onDonnerstag, 23 Juli 2015 14:01

Media

{YouTube}K4gIDGrMQD0{/YouTube} Report Verlag/Bernhard Schojer
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