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Erdgas: Alternativen erst mittelfristig möglich

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Wie können Österreich und Europa ihre Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren? Neue Alternativen für Gasbezug müssen über die Jahre aufgebaut werden und sind anfänglich kostspielig, so die E-Control.

Können Österreich und die EU von russischem Gas zukünftig unabhängiger werden? Die Infrastrukturdaten des europäischen Gasnetzes zeigen, dass dies aus technischer Sicht zu einem Großteil möglich wäre, wenn alle bestehenden Transport-, Produktions-, Speicher- und LNG-Kapazitäten (Liquified Natural Gas) maximal genutzt würden. „Es stellt sich aber die Frage, in welchem Zeitraum dies möglich ist und zu welchen Kosten“, sagt Walter Boltz, Vorstand der Regulierungsstelle E-Control. Die Möglichkeiten, die Gasbezüge aus Ländern wie Norwegen, Algerien und den Niederlanden zu erhöhen seinen begrenzt. In den Niederlanden sind heuer Produktionsbeschränkungen aufgrund der Erdbebengefahr im Groningen-Feld erlassen worden. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Gasförderung nochmal deutlich erhöht werden wird. Algerien und Norwegen haben zeitweise technische Probleme bei der Gaslieferung, zudem müsste für eine stärkere Nutzung dieser Quellen auch die bestehende Transportinfrastruktur erweitert werden.

LNG als kurzfristige Option
Eine kurzfristige Option sind Gaslieferungen aus weiter entfernten Produktionsstätten, die verflüssigt werden und dann mit Schiffen transportiert werden. Diese Art des Handels besteht schon seit den 1960er-Jahren, wesentliche Anbieter für Europa sind Katar, Nigeria und Algerien. Die größten Absatzmärkte für LNG sind aber Asien (Japan) und Lateinamerika, die – aufgrund geringerer Bezugsalternativen – im Augenblick deutlich höhere Preise für LNG zahlen als Europa. „Daher ist auch nicht sicher, ob Europa als Absatzmarkt von einer Erweiterung des LNG-Angebots, die in den nächsten Jahren erwartet wird, profitieren kann“, erklärt Boltz.

LNG-Importe aus Nordamerika erst ab 2020
Auch LNG-Importe aus den USA und Kanada sind im Gespräch. Mit einem größeren Exportvolumen dieser Länder ist aber erst ab 2020 zu rechnen, bisher sind noch nicht alle technischen und rechtlichen Voraussetzungen geschaffen worden, um die Exporte durchzuführen. „Die Amerikaner werden kurzfristig keine Armada von Flüssiggas-Tankern Richtung EU schicken können, um die Ukrainer zu unterstützen“, betont Boltz. So bestehen nach wie vor rigide Exportbeschränkungen in den USA. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die USA ihre Gasmengen unter Wert verkaufen werden. „Flüssiggas wäre auch für Europa in jedem Fall um einiges teurer als russisches Pipelinegas“, sagt Boltz. Zusätzliche LNG-Mengen sind nur zu einem höheren Preis als die russischen Gaslieferungen erhältlich. Zudem konkurriert Europa dabei mit Asien und Lateinamerika, während russische Gaslieferungen bisher ausschließlich nach Europa und in die Türkei fließen.

LNG-Ersatzmengen müssten nach Osteuropa weitertransportiert werden
Ein weiteres Problem besteht darin, zusätzliches LNG-Angebot in die Länder zu transportieren, in denen russisches Gas ersetzt werden muss. Während die LNG-Terminals bisher vor allem in Mittel- und Westeuropa zu finden sind, werden Ersatzmengen vor allem in Osteuropa benötigt. Für Österreich würde z.B. der Ersatz von russischem Gas eine Neuorientierung der Gasflüsse im Netz bedeuten, von der Flussrichtung Ost nach West und Nord nach Süd hin zu West nach Ost (Importe über Deutschland) und Süd nach Nord (Importe über Italien). Dies würde auf jeden Fall zusätzliche Investitionen bedeuten.

Pipelinegas von neuen Lieferanten als Alternative
Eine mögliche Alternative zu Gas aus Russland ist die Anbindung des kaspischen Raums mit seinen großen Gasreserven an Europa. In 2019 sollen die Trans Anatolian Pipeline (Tanap) und die Trans Adriatic Pipeline (TAP) ans Netz gehen und bis zu 16 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus Aserbaidschan über die Georgien, Türkei, Griechenland und Albanien nach Italien transportieren. Insgesamt sei die Auswahl an Alternativlieferanten nicht so schlecht, meint Boltz. „Im Umfang von 1.500 Kilometern hat Europa ziemlich viele mögliche Lieferanten.“ In Zukunft kämen neben der kaspischen Region auch weitere Länder als Lieferanten in Frage, erläutert Walter Boltz. „In Israel und Zypern etwa wurden große Gasvorkommen entdeckt, auch der Iran könnte – abhängig von der politischen Situation – in Zukunft ein möglicher Gaslieferant für die EU sein.“ Für die Planung und Umsetzung von Pipeline-Projekten in diese Länder müsste allerdings viel Zeit eingerechnet werden, dämpft Boltz Hoffnungen auf rasche Ersatzlösungen.

Steigerung der Eigenförderung als zusätzliche Alternative
Eine weitere Alternative zu Russlandgas wäre die Ausweitung der konventionellen Gasförderung in Europa sowie die Förderung von unkonventionellem Gas. Wie rasch sich die Gasproduktion verändern kann, zeigen die USA, die sich vom Nettoimporteur zum Nettoexporteur gewandelt haben. Große unkonventionelle Gasreserven sind in Europa in einigen Ländern wie Polen, Frankreich, Großbritannien und auch der Ukraine konzentriert. Auch in Österreich gibt es unkonventionelle Gasreserven, deren Größenordnung aber bisher nicht bekannt ist. Zuletzt sprach sich die Internationale Energieagentur in ihrem Länderbericht für Österreich dafür aus, das heimische Potenzial von Schiefergas ergebnisoffen zu erforschen. Um aber einen wesentlichen Beitrag zum Ersatz der sinkenden konventionellen Gasproduktion zu leisten, müsste die Produktion von unkonventionellem Gas in Europa stark ausgeweitet werden. „Ein Vorhaben, das wohl fünf bis sieben Jahre dauern würde“, ergänzt Boltz.

Fazit: Weitere Diversifizierung und Flexibilisierung der Transportinfrastruktur
Die Angebotsquellen weiter zu diversifizieren und Alternativen – auch kurzfristig - bei der Hand zu haben, ist auf jeden Fall ein gutes Mittel, um die Marktmacht der Gasproduzenten zu verringern. „Wer von einem großen Lieferanten abhängig ist, ist auch erpressbar. Das muss sich unbedingt ändern“, sagt Boltz, der sich in allen Ländern einen Wettbewerb zwischen mehreren Lieferanten wünscht. „Dies erfordert aber die weitere Flexibilisierung der Transportinfrastruktur und die bessere Vernetzung der mittel- und osteuropäischen Länder – es ist offensichtlich, dass dies erst mittelfristig möglich sein wird.“

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