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Zeitenwende...mit Stolpersteinen

Zeitenwende...mit Stolpersteinen Foto: iStock

Die neuen Arbeitszeitregelungen erhitzen auch in der Baubranche die Gemüter. Besser wäre eine sachliche Diskussion, finden Unternehmer – und ein Blick über die Grenzen. Wie heiß das Thema tatsächlich ist, zeigt die Tatsache, dass sich viele Unternehmen lieber nicht dazu äußern wollen. Sie wollen nicht zwischen die politischen Fronten geraten und in Zeiten der Hochkonjunktur keine Konflikte mit der Arbeitnehmerseite.

Im Arbeitstag wird das Dutzend vollgemacht: Seit September haben Arbeitnehmer die Möglichkeit, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Auf freiwilliger Basis, wie die Bundesregierung ausdrücklich betont: Verlangt der Arbeitgeber nach einer elften und zwölften Arbeitsstunde, so hat der Arbeitnehmer das Recht, das aus persönlichen Gründen abzulehnen (Details der neuen Regelung siehe unten).

Eine deutliche Verbesserung für viele Unternehmen, meint Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk der WKO: »Gerade unsere Handwerks- und Gewerbebetriebe stehen vor der Herausforderung im täglichen Wettbewerb, nicht nur mit der Qualität ihrer Produkte und Dienstleistungen zu bestehen, sondern diese auch im Interesse unserer Kunden termingerecht zu liefern. Die zeitliche Flexibilität ist etwa für Montagebetriebe das Um und Auf.« Scheichelbauer-Schuster nennt aus der Praxis das Beispiel eines Installateurs, der bei einem unerwarteten Gebrechen wie einem Wasserrohrbruch die Reparatur nun vollständig fertigstellen kann, ohne am nächsten Tag für eine Stunde nochmals zum Kunden fahren zu müssen. Der Vorteil für den Kunden: die sofortige Lösung seines Problems und keine zusätzlichen An- und Abfahrtkosten am nächsten Tag. Der Vorteil für den Arbeitnehmer: Überstundenzuschläge bleiben erhalten, die mögliche Ausweitung der Arbeitszeit wird auf Basis einer gemeinsamen Vereinbarung zwischen Betrieb und Mitarbeiter getroffen.

Ein Schmarrn und für‘n Hugo

Bild oben: »Das Arbeitszeitreglement wird vor allem in Österreich heiß diskutiert. Die Art und Weise, wie dies geschieht, ist zum Teil befremdlich«, findet Porr-Chef Karl-Heinz Strauss.

Arbeitnehmervertreter sehen das anders – gelinde gesagt: »Ihre Freiwilligkeit ist ein Schmarrn und für‘n Hugo«, regt sich der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz und SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch auf: »Schon zwei Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes sehen wir, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu zwölf Stunden Arbeit am Tag gezwungen werden.« Er berichtet vom Fall eines Unternehmens, das begonnen hat, mit jedem einzelnen seiner 400 Mitarbeiter neue Vereinbarungen zur Wochenend- und Feiertagsarbeit abzuschließen – unter dem Vorwand der neuen Gesetzeslage. »De facto geht es hier um einen Blankoscheck für Wochenendarbeit«, erklärt Muchitsch, der gegen Arbeitszeitsünder harte Maßnahmen androht. Auch die Arbeiterkammer (AK) lässt an der neuen Regelung kein gutes Haar: »Ich frage mich schon, wie und von wem eigentlich die Freiwilligkeit geprüft werden soll«, so Hans Trenner, Bereichsleiter der AK Arbeitsrechtsberatung: »Das Androhen von Sanktionen ist sicher kein taugliches Mittel. Ich kann der Regierung nur raten, dieses Gesetz komplett neu zu erarbeiten und diesmal auf die Expertise von AK und ÖGB zu setzen.«

Die Wirtschaftskammer (WKO) wehrt sich lautstark gegen die Anschuldigungen: »Gerade die AK sollte eigentlich wissen, dass die Arbeitszufriedenheit der Österreicher nicht nur hoch ist, sondern sogar höher als je zuvor«, wundert sich Rolf Gleißner, stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Gesundheit in der WKO. Das bestätigen auch die AK-eigenen Quellen. So weist der Index für Arbeitszufriedenheit der AK Oberösterreich 2018 den höchsten Wert seit Beginn der Messungen im Jahr 1997 auf. Zum selben Ergebnis kommt Eurofound in der aktuellen Studie »Employment Status and Job Quality«: Demnach verzeichnet Österreich die höchste Zufriedenheit mit Arbeitsbedingungen in der ganzen EU.  »Tatsächlich gibt es somit keine Belege für einen Trend hin zur Ausnutzung des neuen Arbeitszeitgesetzes oder zu einer Änderung der Arbeitszeitpraxis – im Gegenteil«, resümiert Gleißner: Nach einer aktuellen Market-Umfrage geben lediglich vier Prozent der Arbeitnehmer an, dass sich ihre Arbeitszeit seit dem neuen Gesetz geändert hat – und sogar nur zwei Prozent, dass sich ihre Arbeitszeit verlängert hat.

Vorsichtige Freude über neue Regelung

Bild oben: »Schon zwei Monate nach Inkrafttreten dieses Gesetzes sehen wir, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu zwölf Stunden Arbeit am Tag gezwungen werden«, sagt der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Bau-Holz, Josef Muchitsch.

Bei Bauunternehmen sieht man die neuen Arbeitszeitregelungen als einen Beitrag zu jener Flexibilität, die eine saisonale und zyklische Branche nun mal braucht. Die Freude ist jedoch vorsichtig: „Grundsätzlich begrüßen wir die Änderungen“, sagt Hubert Wetschnig, CEO der Habau Group: »Sonderüberstunden bis zu zwölf Stunden pro Tag waren unter gewissen Voraussetzungen auch bisher mit Betriebsvereinbarung möglich.“»Immerhin braucht man jetzt keine Betriebsvereinbarung mehr, um zwölf statt zehn Stunden an einem Tag arbeiten zu dürfen – eine klare Verwaltungsvereinfachung.»Die neue Regelung hat an unserem bisherigen Arbeitszeitrahmen nichts geändert«, heißt es etwa bei der Strabag auf Anfrage: Im projektbasierten Baugeschäft sind Zeiten erhöhten Arbeitsaufkommens nicht zu vermeiden. »Wir begrüßen die neue Regelung daher insofern, als sie es ermöglicht, die Spitzenauslastung abzufedern. So kommt sie nicht nur dem Unternehmen, sondern allen Mitarbeitenden zugute: Denn es liegt im Interesse aller, bestimmte Arbeiten gemeinschaftlich termingerecht fertigzustellen. Natürlich ist die Regelung nicht dazu gedacht, den Zwölf-Stunden-Tag oder die 60-Stunden-Woche zum Standard zu erheben. Und sie darf nicht dazu führen, dass in Ausschreibungen durch die Hintertür noch mehr Druck auf die bauausführenden Unternehmen ausgeübt wird.«

Diese Befürchtung haben nicht nur Großkonzerne – sondern auch der Mittelstand: Viele wollen sich auf Anfrage nicht äußern, um in der politisch besetzten Diskussion nicht zwischen die Fronten zu geraten. Denn gerade am Bau, wo noch vor einigen Jahren krisenbedingte Kurzarbeit oder die Insolvenz des einst zweitgrößten Branchenplayers die Gemüter erhitzte, will man in der aktuellen Hochkonjunktur keine Konflikte mit der Arbeitnehmerseite. »Flexiblere Arbeitszeitregelungen werden grundsätzlich begrüßt«, sagt Gerald Smech, Marketingleiter von Österreichs größtem Fertigteilhausproduzenten ELK. »Wir sind aber mit den bestehenden Regelungen und mit der sehr konstruktiven Zusammenarbeit mit unseren Arbeitnehmervertretern auf Betriebsebene auch bisher sehr gut gefahren.«

Tatsache ist, dass jeder Zwist mit Arbeitnehmervertretern negatives Licht auf das betroffene Unternehmen wirft – was im aktuellen Spannungsfeld zwischen vollen Auftragsbüchern und einem immer stärkeren Facharbeitermangel einem Super-GAU gleichkommt. Auch bei ELK sucht man derzeit Fachkräfte: »Nachdem wir gerade die Produktion in unserem Werk in Österreich deutlich aufstocken, sind wir auf der Suche nach rund 70 zusätzlichen Mitarbeitern«, sagt Smech. »Zusätzlich nehmen wir jedes Jahr Lehrlinge für die Ausbildung in unterschiedliche Berufsfelder auf.«

Diskussion statt Klassenkampf

Laut Porr-CEO Karl-Heinz Strauss hat sich der Facharbeitermangel ebenfalls nicht entspannt: »Wir wachsen nach wie vor und haben laufend Bedarf an neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.« Beim Thema Arbeitszeit wünscht er sich statt der Schlammschlacht eine sachliche Diskussion – und einen Blick über die Grenzen hinaus: »Das Arbeitszeitreglement wird vor allem in Österreich heiß diskutiert. Die Art und Weise, wie dies geschieht, ist zum Teil befremdlich. Die Gewerkschaft trägt hier ihren Konflikt mit der Regierung aus. In diesem Zusammenhang hat der Terminus ›Klassenkampf‹ schon eine gewisse Berechtigung.

In anderen Ländern werden die Diskussionen zu diesem Thema wesentlich moderater geführt. Das zeigen unsere Erfahrungen. In Großbritannien beispielsweise gilt ohnehin nur die tägliche Ruhezeit von elf Stunden – so wie sie von der EU-Richtlinie vorgegeben wird.« Die Strabag bringt ein anderes Beispiel von einem der Kernmärkte des Milliardenkonzerns: »In Ungarn ist es beispielsweise erlaubt, die Jahresarbeitszeit so über das Jahr zu verteilen, dass zum Beispiel von Mai bis November bis zu zwölf Stunden pro Tag, von Dezember bis April aber entsprechend weniger gearbeitet wird. Dadurch wird innerhalb des Zwölf-Monats-Zeitraums die maximale Jahresarbeitszeit von rund 2.500 Stunden nicht überschritten.« Sprich: Flexibilität kann es auch dort geben, wo Arbeitnehmer wie Arbeitgeber zufrieden sind – aber offenbar nur außerhalb der Landesgrenzen von Österreich.

Arbeitszeitregelungen: Die wichtigsten Neuerungen

♦ Früher waren zehn Stunden pro Tag und 50 pro Woche das Maximum – jetzt zwölf Stunden pro Tag und 60 pro Woche. Die zusätzlichen Stunden sind aber keine Pflicht, sondern freiwillig und werden mit Geld oder Zeitausgleich vergütet.

♦ Die Normalarbeitszeit beträgt unverändert acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche alles, was darüber hinaus geht, sind Überstunden.

♦ 60 Wochenstunden sind kein Normalfall: Im Viermonatszeitraum darf im Schnitt weiterhin maximal 48 Stunden pro Woche im Schnitt beschäftigt werden.

♦ An bis zu vier Wochenenden oder Feiertagen pro Jahr kann gearbeitet werden. Allerdings nur, wenn der Betriebsrat zustimmt. In Betrieben ohne Betriebsrat haben die Arbeitnehmer ein Ablehnungsrecht.

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