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In die Tiefe

In die Tiefe

Die schwierige topografische Lage Österreichs hat dazu geführt, dass das Thema Tiefbau schon sehr früh auf der Agenda von Bauunternehmen stand. Die heimischen Tiefbauer genießen hohes internationales Ansehen – vor allem der Spezialtiefbau reüssiert.

Die neue österreichische Tunnelbaumethode geht auf ein Patent von Ladislaus von Rabcewicz aus 1948 zurück. Damit fiel der Startschuss für den heimischen Tiefbauboom – Österreichs Tunnelbauer genießen heute hohes internationales Ansehen. Und auch die anderen Sparten des Tiefbaus – der Kanal-, Wasserwirtschafts-, Grund-, Straßen- und Eisenbahnbau sowie der Spezialtiefbau – gewinnen an Bedeutung, denn die unterirdische Infrastruktur ist heute für das Funktionieren einer Stadt unerlässlich. »Die Auftragslage in der Branche Spezialtiefbau ist wesentlich besser als in den letzten Jahren. Bedingt durch die massiv notwendigen Brunnenvertiefungen als auch anstehende größere Infrastrukturmaßnahmen hat sich der Markt in Österreich erholt«, berichtet Thomas Pirkner, Geschäftsführer der VÖBU (Vereinigung Österreichischer Bohr-, Brunnenbau- und Spezialtiefbauunternehmungen).

»Der Tiefbau scheint auf den ersten Blick ausgereizt«, betont Bernhard Rabenreither, Geschäftsführer der Maba Fertigteil­industrie, die zur Kirchdorfer Gruppe gehört. »Die Entwicklungen sind heute nicht mehr bahnbrechend«, bestätigt Peter Außerlechner, Geschäftsführer von Bauer Spezialtiefbau. In erster Linie werden Verfahren kombiniert. Der Trend gehe stark in Richtung Automatisierung und Digitalisierung der Arbeitsvorgänge. »Digitalisierung ist unaufhaltsam, egal ob sie Industrie 4.0 heißt oder BIM«, betont Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie, VÖZ. Damit werden Effizienzsteigerung und Fehlervermeidung unterstützt.

Auch Bernd Schoellhammer, technischer Bereichsleiter Ingenieurbau bei der Strabag, sieht BIM und 3D im Tiefbau künftig fest angesiedelt. Bauprojekte müssen über ein digitales Modell abgewickelt werden, Planer und Auftraggeber zusammenarbeiten. Die Bauherren hätten schon hervorragende Visualisierungen, aber es sei noch kaum etwas vernetzt. Als digitale Weiterentwicklung nennt er die Prozessoptimierung Lean Construction. »Damit können Prozesse auf der Baustelle verfolgt, Leerläufe und Stillstände erkennbar werden.« Lean Construction lasse sich auch auf die Verwaltung umlegen. Einen technologischen Sprung sieht Sebastian Spaun z.B. im Brückenbau. »Die Entwicklung geht von wartungsintensiven Auflagern an beiden Brücken­enden hin zu einer steifen Rahmenkonstruktion. Die Bewegung der Brücke wird über die Bewehrung aufgefangen.«

Tiefbauforschung

Noch lange nicht ausgereizt ist der Tiefbau für die Forschung. »Wir befassen uns derzeit vorwiegend mit dynamischen Bodenverbesserungsverfahren«, berichtet Johannes Pistrol, Univ.-Assistent an der TU Wien.  Ein Forschungsprojekt, das kurz vor dem Abschluss steht, beschäftigt sich mit Oszillationswalzen. Die oberflächennahe Verdichtung spielt eine wesentliche Rolle bei der Errichtung zahlreicher Bauwerke des Ingenieurbaus. Erdbau- und Asphaltwalzen sind heute kaum mehr statische Walzen, die durch ihr Eigengewicht verdichten, sondern überwiegend dynamische Walzen. Hier wird der Walzkörper durch Umwuchtmassen in Schwingung versetzt und diese wird in den Boden eingetragen.

Das ermöglicht laut Pistrol eine deutlich effizientere Verdichtung. Für die dynamische Anregung stehen Vibrations- und Oszillationswalzen bereit. Bei der Vibrationsverdichtung wird das zu verdichtende Material durch das Einleiten von schnell aufeinanderfolgenden vertikalen Schlägen in Schwingung versetzt. Bei der Oszillationsverdichtung werden tangentiale Schubkräfte in das zu verdichtende Material geleitet. Die Bandage bleibt in ständigem Bodenkontakt und erzielt so eine effiziente Verdichtung. 

»Das Projekt der Oszillationsverdichtung im Erdbau ist ein TU-Forschungsprojekt mit der Firma Hamm«, berichtet Pistrol. Erzielt wurde das weltweit erste FDVK-System (Flächendeckende Dynamische Verdichtungskontrolle) für Oszillationswalzen. Kombiniert mit einem GPS-System liefert die Walze flächendeckende Informationen über die Steifigkeit des Untergrundes, was besonders bei großen Bauvorhaben von Bedeutung ist. Bisher konnte man mit statischen oder dynamischen Lastplattenversuchen oder Dichtemessungen nur punktuell prüfen. Ein anderes Projekt an der TU Wien beschäftigt sich mit der Qualitätskontrolle und -verbesserung der Rütteldruck- und Rüttelstopfverdichtung. 

An der Montanuni Leoben wird zu Geotechnik und Tunnelbau geforscht. »Der Bereich Tunnelbau muss dabei breit gesehen werden, vom Verkehrstunnel über Stollen des Kraftwerkbaus bis zum U-Bahn-Tunnel und Abwasserkanal«, erklärt Robert Galler, Leiter des Lehrstuhls für Subsurface Engineering, Geotechnik und Unterirdisches Bauen. Aktuell laufen in Leoben zehn Forschungsprojekte – ein kürzlich abgeschlossenes ist das Projekt Dragon.

Tunnelbau verursacht Ausbruchmaterial. Es kann nicht an die Mineralrohstoffindustrie verkauft werden, da es als Abfall gilt. Mit Dragon wurden Analysetechniken für die Erhebung der Qualität des Tunnelmaterials entwickelt. Hinter dem Bohrkopf der Tunnelbohrmaschine wird das Ausbruchmaterial hinsichtlich physikalischer, chemischer und mineralogischer Eigenschaften analysiert und für eine spätere Verwendung getrennt. Der Ausbruch wird zum Rohstoff. Partner bei diesem Projekt waren u.a. Porr und Herrenknecht. Ein anderes Projekt ist Ricas, eine Batterie unter Tage. Hochdruckenergie aus Sonne und Wind wird in Form von Druckluft in Kavernen gespeichert.

Hightech-Tiefbau

»Die Lasten neuer Bauwerke werden immer größer, man kann sich heute nicht mehr aussuchen, wo gebaut wird. Immer häufiger werden Gebäude auf wenig tragfähigem Baugrund errichtet. Es braucht Pfahlgründungen bis in große Tiefen, die die hohen Las­ten sicher in den Untergrund abtragen«, berichtet Peter Außerlechner aus seinem Alltag. Bauer Spezialtiefbau stellt Bohrpfähle bis in Tiefen von weit über 100 Metern und mit Durchmessern über zwei Meter her. Für Baugrundverbesserung sorgen Rütteldruck-, Rüttelstopfverdichtung, Rüttelortbeton- oder Mörtelsäulen – ebenso Mixed-in-Place-Elemente. Der Spezialtiefbau wird laut VÖBU für das gesamte Bauwesen immer wichtiger. Der Hochbauboom schafft großes Potenzial. Außerlechner zufolge wächst der Spezialtiefbau doppelt so stark wie der reine Tiefbau.

Tiefbau-Zukunft

Tiefbau bildet einen wesentlichen Motor im Bauwesen. ÖBB und Asfinag haben große Projekte realisiert. In den letzten Jahren hat der Bereich der Gemeinden und anderer öffentlicher Einrichtungen spürbar nachgelassen. Im Hochbau springen private Investoren ein, im Tiefbau werden diese kaum tätig. »Es ist eine Frage der Politik. Diese muss mit steuerlichen Unterstützungen den Tiefbau vorantreiben«, fordert Bernhard Rabenreither. Sebastian Spaun spricht den Zeitfaktor an. »Tiefbauprojekte sind Langzeitprojekte.« 25 Jahre Vorarbeit für einen Tunnel – von den ersten Überlegungen bis zur Inbetriebnahme – sind charakteris­tisch für den Tiefbau. Die ersten Planungen für den Koralmtunnel gehen etwa zurück auf das Jahr 1920.

In der langen Genehmigungsdauer liegt eine große Belas­tung für die Baubranche. Verfahren müssen gestrafft werden. Maba nennt eine weitere Herausforderung – die Standardisierung und Industrialisierung. »Wir nennen uns alle Bauindustrie. Wenn wir uns aber z.B. mit der Automotive vergleichen, sind wir von Industrie weit entfernt.« Im Bau wird kundenindividuell gefertigt. Wenn der Kunde eine Wand mit 4,23 Metern wünscht, werden 4,23 Meter gefertigt, auch wenn die Standardlänge z.B. 4,20 Meter beträgt. In der Autoindustrie gibt es keinen Achsabstand von 4,23 Meter, nur 4,20 Meter. »Industrialisierung bedeutet nicht die Vereinheitlichung des Designs – aber Kostenreduktion und Effizienz bei Zeit und Material«, so Rabenreither. Das braucht der Tiefbau.

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