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»Wir haben ja genug Kohle«

Der Bau eines energieautarken Gebäudes ist heute machbar, aber noch sehr teuer. Obwohl Sonnenkollektoren bereits bei der Pariser Weltausstellung 1867 vorgestellt wurden, konnten diese aufgrund der mächtigen »Kohlefürsten« keinen Durchbruch erfahren.

Heute setzen sie sich mehr und mehr durch.

 

Bei Neubauten ist es sicherlich nur mehr eine Frage der Zeit, dass Wohn- und Bürogebäude energieautark errichtet werden«, ist Herbert Leindecker, Professor an der Fachhochschule Wels, überzeugt. Dies würde zu einem wahren Investitionsschub in der Bauwirtschaft führen. Allerdings fehle da noch der politische Wille. Und sicherlich auch Mut. »Österreich hätte es in der Hand, gemeinsam mit Deutschland eine Vorreiterrolle zu spielen«, so Leindecker. Verbesserte Strom- und Wärme­speicher, Gebäudeautomation und Regeltechnik, innovative Kombinationen aus Photovoltaik, Solarthermie, Geo­thermie und Windenergie bei optimaler Standortnutzung werden sehr bald zu vielen energieautarken Gebäuden führen. Im Gebäudebereich liegt ein Riesenpotenzial an Energieeinsparung und Verringerung von CO2-Emissionen.

Virtuelle Stromspeicher
Wenn ein Gebäude mittels aktiver Komponenten mindestens so viel Energie gewinnt, wie es für seinen Betrieb braucht, dann spricht man von Energieautarkie. Theoretisch wäre damit keine Anbindung an irgendeine Form der öffentlichen Energieversorgung notwendig. Für eine sogenannte Insellösung wie zum Beispiel eine Almhütte braucht man aber leistungsfähige und kostengünstige Speicherkomponenten, welche aber noch nicht ausreichend zur Verfügung stehen. »Daher ist derzeit die sinnvollste Variante, das Stromnetz als virtuellen Stromspeicher zu benutzen«, sagt Leindecker. Das heißt: Der Strom wird eingespeist, wenn er »geerntet« wird, und geholt, wenn man ihn tatsächlich braucht.
 
Qualitätsoptimierte Gebäude
Natürlich kommt es immer wieder vor, dass sich energieautarke Projekte als Marketinggag herausstellen. »Trotzdem ist es wichtig, dass es Pilotprojekte gibt, die in die Zukunft weisen«, ist Leindecker überzeugt. Insofern können viele »Haus der Zukunft«-Projekte in Österreich als Pilotprojekte gelten. Als echtes Pionierprojekt in der Branche gilt immer noch das »energieautarke Solarhaus« in Freiburg/Deutschland, das schon 1992 vom Fraunhofer Institut für solare Energiesys­teme als Forschungsprojekt erbaut wurde. Die passive Solarenergie wird auf der gesamten Südseite genützt. Die Warmwasserversorgung erfolgt über einen speziellen Kollektortyp in Verbindung mit einem Schichtwasserspeicher von 1.000 Liter Inhalt. Aufgrund des großen Anteils der Lüftungswärmeverluste bei hohem Dämmstandard wurde eine kontrollierte Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung eingebaut. Zur Deckung des elektrischen Energiebedarfs stehen 84 Photovoltaikmodule mit monokristallinen Solarzellen zur Verfügung. Die Anlage weist eine Leistung von 4,2 kWp auf. Die kurzfristige Speicherung elektrischer Energie übernimmt ein Batteriesatz.

Ganzheitlich qualitätsoptimiert
Letztlich ist aber auch das energieau­tarke Haus nur eine Vorstufe zu ganzheitlich qualitätsoptimierten Gebäuden, ist Leindecker überzeugt. Dabei muss neben der Energie für die Nutzung auch die Energie für die Herstellung, Umnutzung und Abbruch berücksichtigt werden. Die wirkliche Qualität von Gebäuden wird man zumindest in der Immobilienbranche bald nur mehr über umfassende Zertifikate beurteilen. Dabei werden außer dem Energieaspekt auch noch viele andere Qualitäten wie Infrastruktur, Ökologie von Baumaterial, Nutzerzufriedenheit und Behaglichkeit berücksichtigt. Diese Themen werden in einem fünfjährigen Forschungsprojekt »Lebenszyklusorientierte Qualitätsoptimierung von Gebäuden« behandelt, bei dem noch vier weitere österreichische Fachhochschulen aus Kufstein, Spittal an der Drau, Pinkafeld und das Joanneum Graz beteiligt sind.

Sinnvoll, wenn wirtschaftlich
»Eine selbstständige Energieversorgung ist auf jeden Fall sinnvoll, solange sie wirtschaftlich betrieben wird«, meint Fritz Unterpertinger, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur. Um ein energieautarkes Gebäude zu errichten, sei es sinnvoll, ein für Heizzwecke optimiertes Gebäude wie das Passivhaus weiterzuentwickeln. Dabei gibt es drei Herausforderungen: das Erreichen des Heizwärmebedarfs von 10 kWh pro m² und Jahr, die Deckung des Warmwasserwärmebedarfs und des Strombedarfs. Die größte Herausforderung ist dabei meist die zeitliche Komponente. Energieau­tarkie bedeutet, dass zu jedem Zeitpunkt des Jahres das Gebäude die gewünschte Energie liefern kann. Die Problematik dabei ist, dass Verbrauch und Produktion aus unterschiedlichen Gründen nicht zeitgleich erfolgen und somit eine Speicherung notwendig wird. Und die Speicherung von elektrischer Energie ist nun mal sehr aufwendig.

Solartechnik oder Blockheizkraftwerk
Zur Abdeckung des Strombedarfs gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Zum einen kann mit photovoltaischen Anlagen, zum anderen mit Blockkraftwerken (BHKW) gearbeitet werden. Bei Blockheizkraftwerken im Einfamilienhaus handelt es sich um Mikro-BHKWs. Bei diesen Anlagen wird Strom und Wärme produziert. Dort können unterschiedliche Brennstoffe wie Biodiesel oder Pflanzenöl zum Einsatz kommen. Der Gesamtwirkungsgrad dieser Anlagen ist durch die Nutzung von Strom und Wärme hoch. Um die Stromversorgung auch über die Sommermonate gewährleisten zu können, muss allerdings eine Wärmeabnahme gesichert sein. »Ist dies der Fall, ist die Energieeffizienz der Anlage sehr niedrig. Es kann daher aus Energieeffizienzgründen nicht nach Bedarf elektrische Energie produziert werden«, sagen Experten der Österreichischen Ener­gieagentur. Aus diesem Grund müsste elektrische Energie auch aus dem Netz bezogen werden.

EU-Richtlinie geplant
Die Europäische Union plant eine Novellierung der Richtlinie für die Gesamt­energieeffizienz von Gebäuden. Diese sieht vor, dass alle Neubauten, die nach 2019 fertiggestellt wurden, ihre Energie selbst produzieren müssen. Außerdem sollen die Mitgliedsstaaten ab 2011 verpflichtet werden, die Marktdurchdringung von Gebäuden zu fördern, deren CO2-Emissionen und Primärenergieverbrauch sehr gering oder gleich Null sind (Zero-Carbon-Standard). Öffentliche Gebäude sollen dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. In Österreich muss dieser Zero-Carbon-Standard derzeit noch nicht verpflichtend erreicht angegeben werden, denn es fehlt die Informationsgrundlage für eine Förderungsvergabe.

Passende Energieleistung wählen
Robert Wimmer ist Chef der Forschungs- und Entwicklungsgruppe Angepasste Technologie (GrAT) an der Technischen Universität Wien: »Bei der Energieautarkie sehe ich mir zuerst an, wie hoch der Energieverbrauch ist, und dann, wie viel ich bereitstellen kann.« Und da würde man dann sofort sehen, dass es eine Reihe von Energieeffizienz-Mängeln gibt, die es zu beheben gilt. Das ist zum Beispiel deutlich bei systembedingten Verlusten zu sehen: Jede Kilowattstunde verliert vom Kraftwerk bis zur Steckdose zwei Drittel der Primärenergie. Dann muss auch der Gesamt­energieverbrauch eines Haushaltes in Betracht gezogen werden: Küchenherd, Kühlschränke und Geschirrspüler. Da würde man deutlich sehen, dass Strom oft gar nicht notwendig sei, um den Wärme- oder Kältebedarf verschiedener Haushaltsgeräte bereit zu stellen. »Man muss sich deshalb bei Energieautarkie zuerst im Klaren sein, welche Energieform die passende ist«, so Wimmer. So könne man heute mit Wärme aus konzentrierenden Solarkollektoren – das sind Kollektoren, die kein diffuses Licht, sondern nur die direkte Sonneneinstrahlung nutzen und sich deshalb immer zur Sonne ausrichten müssen – bereits sehr gut eine Pizza mit 250 Grad Celsius backen. Waschmaschinen mit Warmwasseranschluss würden Energie wesentlich effizienter nutzen als konventionelle. Zudem sollte auch das solare Kühlen vorangetrieben werden.

Strohballenbau ist zukunftsweisend
Strom wird sicherlich als Antriebsener­gie für Licht, Computer oder Fernseher unumgänglich sein. Man könnte sich aber überlegen, wie der Strombedarf zurückgefahren werden könnte und für den Restenergiebedarf Solarpaneele errichten. Als Technologie, die für den Hausbau zukunftsweisend ist, schlägt Wimmer den Strohballenbau vor. Dafür würden sich nun auch Fertigbauhersteller interessieren. »Hier ist es technisch möglich, mit dem Heiz- und Kühlbedarf beinahe auf null zu gehen«, so der Chef der Forschungsgruppe. Zwischen Tulln und Krems ist die sogenannte Zero-Carbon-Village geplant. Dort soll ein kleiner Siedlungsteil mit der Strohballentechnologie entstehen. Zero weist auf null CO2 hin, das sich über den ganzen Lebenszyklus eines Gebäudes erstrecken soll. Mit null CO2 sollen aber auch die Baumaterialien ausgestattet sein. Bereits bei der Pariser Weltausstellung wurden 1867 konzentrierende Solarkollektoren vorgestellt. Dass sie nicht die große Wende in der Energieversorgung brachten, lag daran, dass genug Kohle vorhanden war. »Damit haben wir 140 Jahre verloren, und mehr möchte ich wirklich nicht mehr verlieren«, so Wimmer.

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