Produktwildwuchs und veraltete Arbeitsprozesse kosten die Marktführer im europäischen Festnetzmarkt jedes Jahr enorme Summen. Durch Optimierung ihrer Geschäftsbereiche könnten sie bis 2007 rund zehn Milliarden Euro einsparen. Das ist das Ergebnis einer Benchmarking-Studie von Mercer Management Consulting in Kooperation mit den 40 weltweit größten Festnetzanbietern. Detaillierte Best-Practice-Vergleiche zeigen erhebliche Sparpotenziale in allen Unternehmen: Die Telekommunikationsanbieter müssen ihre Angebote konsequenter am Markt und an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten.
Das Festnetz ist nach wie vor ein lukratives Geschäft für die Telekommunikationsunternehmen. In Europa dominieren die großen, ehemals staatlichen Anbieter wie British Telecom, Deutsche Telekom, France Télécom oder Telefónica. Im Jahr 2004 erwirtschaftete das europäische Festnetz rund 166 Milliarden Euro Umsatz und erzielte etwa die Hälfte der Gewinne der großen Telekommunikationskonzerne. Bis zum Jahr 2007 wird der europäische Festnetzmarkt um 3,6 Prozent auf 172 Milliarden Euro wachsen. Die ehemals staatlichen Telefongesellschaften werden sich jedoch auf einen härteren Wettbewerb einstellen müssen. Der Anteil der Konzerne an der gewinnträchtigen Sprachtelefonie im Festnetz wird um rund vier Milliarden Euro pro Jahr schrumpfen. Die Gründe liegen in verfallenden Preisen und dem zunehmenden Verlust von Kunden an schnell wachsende alternative Festnetzanbieter wie Tele2UTA, HanseNet oder Cegetel sowie an den Mobilfunk. Die Mercer-Studie geht davon aus, dass die alternativen Festnetzanbieter ihren Marktanteil langfristig auf 25 Prozent ausbauen werden.
Die Exmonopolisten haben aber auch mit hausgemachten Problemen zu kämpfen. Während Branchen wie die Automobilzulieferindustrie seit Jahren erfolgreich ihre Arbeitsabläufe optimieren und Kostenstrukturen transparent machen, stehen die Telekommunikationsanbieter noch ganz am Anfang. \"Es gibt Festnetzbetreiber, bei denen 50 Prozent der Kosten keinen direkten Kundennutzen bringen\", sagt Uli Prommer, Telekommunikationsexperte von Mercer Management Consulting. \"Viele haben zwar in den letzten Jahren an der Kostenschraube gedreht. Aber zumeist handelte es sich dabei um Rundumschläge, bei denen auch profitable und effiziente Bereiche beschnitten wurden.\"
Produktportfolio straffen. Einige westeuropäische Festnetzbetreiber bieten ihren Privatkunden bis zu 1.500 Produkte an. Um diese Produktvielfalt beherrschen und verwalten zu können, benötigen sie ein Heer von Produktmanagern, Call-Center- und Verkaufsmitarbeitern, Controllern, Servicepersonal und Mitarbeitern der Buchhaltung - ein enormer finanzieller und organisatorischer Aufwand, der größtenteils Verschwendung ist. Denn im Durchschnitt erwirtschaften weniger als 20 Produkte bereits 90 Prozent des Festnetzumsatzes, während neun von zehn Produkten nahezu keinen Wertbeitrag liefern. Weder Mitarbeiter noch potenzielle Kunden finden sich in der verwirrenden Produkt- und Kombinationsvielfalt zurecht.
Allein im Straffen des Produktportfolios liegen deshalb enorme Chancen zur Effizienzsteigerung. Ausufernde Produktangebote benötigen komplexe Unternehmensstrukturen und Arbeitsabläufe, die sich die Festnetzbetreiber aufgrund des Kostendrucks in Zukunft immer weniger werden leisten können. Dass es anders geht, zeigt ein europäischer Festnetzanbieter: Er senkte seine Vertriebskosten um mehr als die Hälfte, von ursprünglich 13 Prozent des Umsatzes auf sechs Prozent. Dies erreichte das Unternehmen vor allem durch eine konsequente Automatisierung der Auftragsannahme und -abwicklung. Doch noch immer muss mehr als die Hälfte der Aufträge manuell nachbearbeitet werden - selbst hier gibt es noch Verbesserungsbedarf. Richtete man Produktportfolio, Prozesse und IT-Systeme entsprechend aus, ließen sich heute fast alle Aufträge vollständig automatisieren. Dann könnten Kunden zum Beispiel ihren Telefonanschluss über das Internet bestellen, selbst freischalten und ihn bereits unmittelbar nach der Bestellung nutzen.
Lernen von den Besten. \"Der Blick über den Tellerrand und die Orientierung an den Besten lohnt sich\", kommentiert Prommer. \"Auch in anderen Branchen gibt es Erfolgsbeispiele, etwa eBay oder Amazon. Sie kombinierten die Bestellabwicklung mit einer gut durchdachten Internetstrategie und einer entsprechenden Automatisierung.\" Von diesen Konzepten sind die europäischen Festnetzanbieter jedoch noch weit entfernt: Im Jahr 2004 wurden nur fünf Prozent der Verkäufe online durchgeführt. Die Mercer-Studie prognostiziert, dass der Anteil des Online-Verkaufs bei den Besten der Branche in wenigen Jahren bereits 25 Prozent betragen wird.
Die amerikanischen Unternehmen schnitten beim technischen Kundenservice weitaus besser ab als die europäischen. So ist die Anzahl der für eine Million Anschlussinstallationen benötigten Techniker in Europa zwei- bis dreimal höher als in den USA. Die höheren Kosten der westeuropäischen Telefonbetreiber haben zudem keinen positiven Einfluss auf die Servicequalität. Im Gegenteil: Die Anzahl der fehlerhaft installierten Festnetzanschlüsse ist in Westeuropa 30 Prozent höher als in Nordamerika. Jede fünfte Auskunft von westeuropäischen Call-Centern ist falsch oder hilft dem Kunden nicht. Die Servicetechniker halten ihre Termine in 25 Prozent aller Fälle nicht pünktlich ein oder kommen gar nicht. Bislang leisten sich die meisten europäischen Telekommunikationsbetreiber ein eigenes, flächendeckendes Servicenetz, das in weniger besiedelten Gegenden nicht profitabel arbeitet. In ländlichen Regionen könnten die Betreiber über Service-Outsourcing an ortsansässige Spezialfirmen Kostenvorteile von bis zu 25 Prozent erreichen.
Simplify your Business. Die Mercer-Studie zeigt, dass die ehemals staatlichen Telekommunikationsfirmen ihre Ergebnisse massiv verbessern können und müssen. Erste und wichtigste Voraussetzung dafür ist eine konsequente Ausrichtung der Produktstrategie am Markt. Die Unternehmen sind immer noch zu ingenieursgetrieben und bieten alles technisch Mögliche, ohne die Kundenbedürfnisse ausreichend zu analysieren. Der Produktwildwuchs schreckt den Kunden jedoch ab. Er ist mit der Vielfalt der Telefontarife und ihren Kombinationsmöglichkeiten schlicht überfordert. \"Die Firmen müssen die Leistungsvarianten deutlich reduzieren und speziell auf Kundensegmente zugeschnittene Produktbündel anbieten\", empfiehlt Prommer. \"So ergibt sich eine Win-Win-Situation: Die Kunden haben wieder den überblick und die Festnetzanbieter können ihr Produktportfolio und damit auch ihre Geschäftsbereiche straffen.\" Einige europäische Telekommunikationsanbieter verfügen über 150 verschiedene Reportingsysteme, während erfolgreiche US-Firmen mit zwölf bis 15 auskommen. \"Der derzeitige Kostendruck auf die Festnetzanbieter wird auch in den nächsten fünf Jahren anhalten. Nur wer Produktstruktur und Prozesse deutlich vereinfacht, wird im Wettlauf der Kostensenkung mithalten und seine Margen retten können\", warnt Uli Prommer.
Die Mercer-Studie zeigt weiter, dass die Vereinfachung der operativen Prozesse in allen Geschäftsbereichen enorme Möglichkeiten zur Kostensenkung bietet. Insgesamt könnten die Festnetzanbieter ein EBITDA-Plus von bis zu elf Prozentpunkten erreichen und eingesparte Ressourcen in viel versprechende Wachstumssegmente wie Breitband, IP-basierende Dienste oder in das Content-Angebot investieren. Auch für dieses Jahr hat Mercer die Forumsmitglieder zum Benchmarking eingeladen, damit sie ihre Performance mit der der Wettbewerber vergleichen können: \"Nur wer sich an den Besten orientiert, hat Chancen, seine Erträge weiter auszubauen\", so Prommer.