Krankenhäuser im Ausnahmezustand
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»Man weiß zwar, dass Brände, überschwemmungen oder Erdbeben eintreten können, aber wenn es so weit ist, kommt es doch überraschend«, sagt der Präsident des Primarärzteverbandes, Reinhart Waneck, im Rahmen der Schladminger Gesundheitsgespräche. Man könne diese Ereignisse nicht verhindern, man könne aber gewappnet sein. Etwa mit einem Organisationsplan für externe und interne Großereignisse und Katastrophen, kurz OGK. Wer Katastrophenpläne für Krankenhäuser als selbstverständlich erachtet, irrt gewaltig. Eine Umfrage in Deutland hat ergeben, dass nur rund 26 Prozent der Krankenhäuser auf unvorgesehene Ereignisse vorbereitet sind, regelmäßige übungen führt nicht einmal die Hälfte dieser Krankenhäuser durch. In österreich und der Schweiz soll der Anteil an adäquat vorbereiteten Krankenhäusern laut Risikomanagement-Berater Bruno Hersche sogar noch geringer sein.
Der Plan
»Die oftmals vertretene Meinung, man müsse nur Personal und Material aufstocken, um die medizinische Versorgung sicherzustellen, ist kurz und bündig gesagt falsch«, sagt Bernd Mayer, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Notfall- und Katastrophenmedizin. Ein ernstzunehmender Katastrophenplan setzt bei der Organisation an. Er unterscheidet zwischen externen Ereignissen und internen Ereignissen. »Sinn und Zweck eines OGK ist der Schutz von Patienten, Beschäftigten und Einsatzkräften, die Gewährleistung einer raschen Einsatzbereitschaft, die Schaffung einer flexiblen und direkten Führung und die Koordination der internen und externen Kräfte und Mittel«, sagt Hersche.
Ein Katastrophenplan soll so einfach wie möglich und so umfassend wie nötig sein. Er soll auf der bestehenden Organisation aufbauen, denn jede Umstrukturierung birgt Friktionen. Doch selbst der beste OGK bleibt relativ zahnlos ohne regelmäßige Schulungen und Einsatzübungen. Das Allgemeine Krankenhaus Linz hat bereits im Jahr 2004 seinen damals neuen OGK-Plan auf seine Praxisfähigkeit hin getestet. Angenommen wurde ein Zugsunglück mit einem Rangierzug, der hochgiftiges Phenol mitführt: 25 schwer und 37 leicht Verletzte sowie drei beim Unfall kontaminierte Personen werden in das Krankenhaus eingeliefert. Erschwert wird die Situation durch einen Stromausfall und den Ausfall des Magnetresonanztomografen. Ziel der übung war es, den OGK-Plan auf seine Praxistauglichkeit hin zu überprüfen, die Mitglieder des Krisenstabes mit dem neuen Krisenmanagement vertraut zu machen, die Zusammenarbeit mit den Behörden zu vertiefen und die Krisenkommunikation mit den Behörden, Betroffenen und Angehörigen sowie den Medien zu üben.
Mangelnde Kontrolle
Die Vorgangsweise in Linz ist vorbildhaft, entspricht aber nicht der Regel. Laut Gesetz muss jedes Krankenhaus über einen Katastropheneinsatzplan verfügen. Die Kontrolle obliegt den Bundesländern, wird aber nur am Rande wahrgenommen. »Es gibt viel zu wenig einschlägig geschulte Kontrolleure«, kritisiert Hersche. »Zudem zählen Spitalskatastrophenpläne nicht unbedingt zum Kerngeschäft von Krankenhäusern.« Wenn der notorisch klamme Gesundheitsapparat Geld in die Hand nimmt, will er auch Ergebnisse sehen. Erst langsam beginnt sich der Gedanke des Risikomanagements durchzusetzen. Kleinere Zwischenfälle können den Verantwortlichen willkommene Denkanstöße liefern. Die Bombendrohung in Leoben hat auch in anderen Krankenhäusern zu einem Umdenken geführt und die Nachfrage nach Katastropheneinsatzplänen enorm ansteigen lassen. Ganz leichtes Spiel haben Risikomanagement-Consulter wie Bruno Hersche nach echten Katastrophen. »Der 11. September und die Flutkatastrophe von New Orleans haben in den USA zu einem völlig neuen Sicherheitsbewusstsein geführt. Dort sind funktionierende Spitalskatastrophenpläne inklusive regelmäßigen Einsatzübungen die Regel und nicht, wie bei uns, die Ausnahme.«
Bernd Mayer, Präsident der österreichischen Gesellschaft für Notfall- und Katastrophenmedizin, fordert schon in der Planungsphase die Durchführung einer »Risikoanalyse in Hinblick auf eventuelle Ereignisse, die eine medizinische Intervention größeren Ausmaßes erfordern«. Neben den Massenansammlungen in den Stadien, der teilweise bekannten Gewaltbereitschaft von kleinen Fangruppen, den psychosozialen Massenphänomen und kriminellen oder terroristischen Aktivitäten seien noch zahlreiche weitere Gefahrenpotenziale zu berücksichtigen. Speziell die Public-Viewing-Events sind Mayer aus medizinischer Sicht ein Dorn im Auge. »Generell wird es wichtig sein, die medizinische Versorgung sicherzustellen, ohne die ärzte zu gefährden«, sagt Mayer. Das beginnt bei der Organisationsstruktur und endet bei konkreten Maßnahmen wie der Installation von Kontaminationseinheiten. »Hier ist uns die Schweiz derzeit noch deutlich voraus«, sagt Mayer.