Politisches Verwirrspiel
- Written by Redaktion_Report
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Mit deutlicher Mehrheit lehnte das EU-Parlament Anfang Juli den umstrittenen Vorschlag einer Richtlinie zur Schaffung einheitlicher Regeln für die Patentierung von Computerprogrammen ab. Eine Nachricht mit Seltenheitswert: Zum ersten Mal in der Geschichte verwarf das EU-Parlament einen gemeinsamen Standpunkt des Ministerrats. Manche Medien sprachen gar von einem historischen Ereignis. Aber droht dadurch dem europäisch einheitlichen Schutz computerimplementierter Erfindungen tatsächlich das endgültige Aus? Wohl kaum. Zwar erklärte die Kommission, wenngleich das Abstimmungsergebnis des Parlaments sie in ihrer Entscheidung nicht bindet, sie wolle die Entscheidung der Parlamentarier akzeptieren. Dennoch mehren sich bereits jetzt die Anzeichen dafür, dass das Thema Softwarepatente und deren Harmonisierung innerhalb der EU noch lange nicht vom Tisch ist. Zu unterschiedlich sind dazu die Meinungen.
Gute Noten oder Armutszeugnis? Während die meisten Medien nämlich das Abstimmungsverhalten der EU-Parlamentarier als mutigen Entschluss zur Verhinderung eines schwachen Kompromisses werteten, vertritt die Wirtschaftskammer eine völlig gegenteilige Auffassung. Fachverbandsobmann Friedrich Bock spricht von einem \"Armutszeugnis“. Das Parlament sei in verantwortungsloser Manier der eigenen Unfähigkeit zum Kompromiss erlegen. Man habe dem äußeren Druck von Interessensgruppen nachgegeben und die Verantwortung zur Schaffung sinnvoller Rahmenbedingungen einfach negiert, meint er. Zu den Verlieren eines beschämenden Profilierungsstreits zwischen Rat und Kommission würden nun vor allem kleine und mittlere Softwareschmieden zählen.
US-Konzerne, BSA & Co. Ob die Richtlinie tatsächlich gut für KMU gewesen wäre, darüber scheiden sich die Geister. Gerade jene KMU, die laut Bock jetzt angeblich auf der Strecke bleiben, wären die Verlierer des Richtlinienentwurfs gewesen, so die einhellige Meinung der Patent-Gegner. Ganz allgemein wären Unternehmen dann vermehrt damit beschäftigt gewesen, Patentverletzungen zu vermeiden und Forderungen gegen Verletzer zu erheben. Eine Entwicklung, die naturgemäß große, finanziell schlagkräftige Konzerne, die mitunter mehr Juristen als Entwickler beschäftigen, bevorzugt.
Eine Auffassung wiederum, die Patent-Befürworter Andreas Wiebe von der Abteilung für Informationsrecht an der WU Wien so nicht stehen lassen will. Er sieht den Patentschutz auch als Schutzinstrument für KMU gegen große Unternehmen. \"Vielleicht wäre Microsoft mit umfassender Softwarepatentierung nicht so groß geworden, da die kleinen Mitbewerber ihre Ideen besser schützen hätten können“, so Wiebe.
Lobbying für die Richtlinie, so Softwarepatent-Gegner, sei fast ausschließlich von US-Konzernen betrieben worden. Vor allem die von ihrem Kampf gegen die Software-Piraterie bekannte BSA (Business Software Alliance) habe sich dabei besonders hervor getan. Dagegen nehme sich das Aufbegehren der Open-Source-Bewegung, die befürchtet, große Konzerne könnten - gedeckt durch die Richtlinie - auch aus freier Software bestehende Patente anmelden, wie der sprichwörtliche Kampf von David gegen Goliath aus.
Alles relativ. Thomas Lutz, Unternehmenssprecher von Microsoft, gibt zu bedenken, dass sich das Parlament mit seiner Entscheidung ja nicht gegen Patente, sondern bloß gegen die Richtlinie und damit vorerst gegen die Harmonisierung des EU-Rechts ausgesprochen habe. Die Richtlinie selbst hätte im Vergleich zum jetzigen Status nicht ein Mehr, sondern ganz klar ein weniger an Patentierbarkeit gebracht. \"Die Aufrechterhaltung des rechtlichen Status Quo ist daher die richtige Entscheidung gewesen“, so Lutz.
Ein weiterer Aspekt, den Patent-Gegner immer wieder vorbringen: Es gehe bei der Patentierung von Software weniger um den Schutz von Innovationen als vielmehr um Patente für Funktionen, die schon seit Jahren verwendet werden. Schätzungen zufolge befinden sich derzeit um die 30.000 abgelehnte Patente in der Pipeline des europäischen Patentamtes in München. Eine schier erdrückende Zahl.
Papier ist geduldig. Tatsache ist, dass der Richtlinienentwurf wirksame Mechanismen, die einer befürchteten Bereicherung von einigen wenigen Konzernen auf Kosten von KMU und der Open-Source-Bewegung den Riegel vorgeschoben hätte, vermissen ließ. In Art 7 des Richtlinienvorschlags hieß es nur lapidar, die Kommission werde beobachten, wie sich computerimplementierte Erfindungen auf die Innovationstätigkeit, die kleinen und mittleren Unternehmen und die Open-Source-Bewegung auswirken werde. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Bleibt alles beim alten? Tatsache ist auch, dass der rechtliche Status Quo vorerst erhalten bleibt. Und der sei aus Sicht von KMU gar nicht schlecht. \"Kleine und mittelständische Unternehmen halten um die 20 Prozent von insgesamt 30.000 CII-Patenten, die bisher in Europa gewährt wurden. Das sollte keine große überraschung sein. Schließlich erlauben Patente den KMUs, Venture Kapital einzuwerben und ebnen das Feld für den Wettbewerb mit größeren Firmen“, so Lutz.
Dennoch: Eine die Patentierbarkeit von Software harmonisierende Richtlinie wird früher oder später kommen, darin sind sich Kenner der Szene einig. Wann sie letztendlich auf europäischer Ebene beschlossen wird, hängt nicht nur davon ab, wie lange die Kommission dem Druck sowohl der US-Konzerne als auch der führenden Industrieunternehmen der EU (z.B. Siemens, Philips, Alcatel, Ericsson und Nokia, die alle die Richtlinie unterstützten) standhält, sondern auch davon, wie lange die EU-kritische Stimmung in den Mitgliedstaaten, die dem Parlament in seinem Profilierungskampf gegen Rat und Kommission Oberwasser bescherte, noch anhält.
In der Zwischenzeit sind Computerprogramme freilich nicht schutzlos, sondern weiterhin wie Texte oder musikalische Kompositionen urheberrechtlich geschützt. Größter Unterschied zum Patentrecht: Nach dem Urheberrecht sind freie Nachschöpfungen zulässig. Und patentierbar sind sie sowieso. Nur eben nicht einheitlich.