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»Es herrscht immer noch eine gewisse Sorglosigkeit«

»Es herrscht immer noch eine gewisse Sorglosigkeit« Foto: Weinkirn

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Gerhart Ebner, geschäftsführender Gesellschafter bei Risk Experts, über das Risikobewusstsein in der heimischen Baubranche, wie mit geringem Einsatz große Wirkung erzielt werden kann und was die Bau- von der Versicherungswirtschaft lernen kann.

Report: In Deutschland haben »Baukatastrophen« wie die Elbphilharmonie oder der Flughafen Berlin-Brandenburg bei vielen Bauunternehmen das Bewusstsein für Risikomanagement erhöht. Wie ausgeprägt ist das Bewusstsein aus Ihrer Sicht in der heimischen  Baubranche?

Gerhart Ebner: Wir beschäftigen uns nicht so sehr mit Kalkulations- oder Finanzierungsfehlern, wie das bei vielen Baukatastrophen der Fall ist. Wir beschäftigen uns vielmehr damit, dass ein gut geplanter Bauablauf nicht durch etwas Unvorhergesehenes unterbrochen wird.

Das können externe Ursachen wie Witterungseinflüsse oder Unfälle sein, aber auch interne Ursachen, etwa Ausführungs- oder Planungsfehler, die dann zu Deckeneinstürzen oder zum Einsturz einer in Bau befindlichen Brücke führen. Solche Vorfälle können auch eigentlich gut geplante Bauvorhaben deutlich verzögern und verteuern. Das Bewusstsein für Risikomanagement hat sich auch in Österreich deutlich erhöht. Es gibt tatsächlich Baustellen in Österreich, die perfekt sind. 

Report: Was können Sie dazu beitragen, damit es mehr perfekte Baustellen in Österreich gibt?

Ebner: Unser Beitrag ist die Erfahrung, über die viele Architekten und Bauherren nicht verfügen oder nicht verfügen können.
Wenn man sich mit Eintrittswahrscheinlichkeiten jenseits von 1:50 beschäftigt, dann muss man als Einzelperson schon viele Jahre dabei sein, um diesbezügliche Erfahrungen zu haben. Diese Erfahrung beschränkt sich in der Regel darauf, was innerhalb von fünf oder zehn Jahren passiert ist. Man hört auch im Studium nur sehr wenig von dieser Thematik. Diese geringen Eintrittswahrscheinlichkeiten gelten dann als Pech oder höhere Gewalt. Aber dagegen kann man auch etwas machen. Zum Beispiel Baustellenlogistik: Wenn ich sämtliches Material schon zu Beginn auf die Baustelle schicke, habe ich das Risiko des Diebstahls, der Beschädigung oder der Brandstiftung. Damit exponiere ich mein ganzes Bauvorhaben. Das wäre aber überhaupt nicht nötig, wenn ich alles in Tranchen »on demand« schicke. Das kostet zwar etwas mehr, reduziert das Risiko aber deutlich. Das sind etwa Bereiche, wo wir, wenn wir frühzeitig eingeschaltet werden, ohne Zusatzkosten viel bewirken können.

Report: Wo beginnt gutes Risikomanagement im Bauwesen, wo endet es?

Ebner: Gutes Risikomanagement beginnt mit der Fähigkeit vorauszudenken in Verbindung mit der Erfahrung, zu wissen, was passieren kann. Und es braucht die Demut, zu wissen, dass das, was anderen passiert, auch mir passieren kann. Eine Overconfidence ist immer ein Risikoproblem. Gutes Risikomanagement ist die Balance zwischen Eintrittswahrscheinlichkeit und Auswirkung. Wenn man sich vor allem fürchtet, ist das nie gut. Sich vor gar nichts zu fürchten, aber auch nicht. Es ist auch nicht sinnvoll, sich gegen jeden 5000-Euro-Schaden oder jede Bauverzögerung von wenigen Tagen abzusichern. Das ist kein Risikomanagement, das ist Angstmanagement. Am wichtigsten ist, vor Beginn eines Projekts zu erfassen, was für den Kunden der Worst Case ist. Was darf auf keinen Fall passieren?

Report: Gutes Risikomanagement wird also individuell auf jedes Projekt abgestimmt?

Ebner: Ich muss das Ziel kennen und wissen, was der Kunde erreichen will. Risikomanagement bedeutet nicht verhindern, sondern ermöglichen. Im Amerikanischen bedeutet riskieren »to take a chance«. In Europa geht es fast immer nur um das Thema Sicherheit.

Report: Sind die Unternehmen bereit, sich frühzeitig einen Risikomanager an Bord zu holen?

Ebner: Ja und nein. Manche sehen Risiken immer noch als etwas an, das nicht verhindert werden kann und um das man sich kümmert, wenn es so weit ist. Für andere ist die frühe Einbindung selbstverständlich. Bei großen Bauprojekten werden wir oft auch von der jeweiligen Versicherung vermittelt. Wir beraten aber nicht nur vorher, sondern sind auch ins Schadenmanagement eingebunden, wenn dann doch etwas passiert.

Report: Was sind die häufigsten Gründen dafür, dass etwas schief geht?

Ebner: Sehr oft geht es um einfach um Unverständnis und fehlendes Know-how.

Report: Quer durch alle Bauphasen?

Ebner: In der Planung geht seltener etwas schief, hat dann allerdings gravierende Auswirkungen. Wir hatten den konkreten Fall, wo »ein falscher Tastendruck« Folgeschäden in der Höhe von 18 Millionen Euro verursacht hat. So einen Fehler würden wir auch nicht erkennen, aber wir könnten Fehler in der Organisation aufzeigen. Außerdem ist es uns im gemeinsamen Schadenmanagement gelungen, die Schadenskosten um rund 30 Prozent zu reduzieren. Unsere Lösung war zwar im Sachschaden teurer, aber wir konnten die Betriebsunterbrechung um drei Monate verkürzen. Was in der Bauwirtschaft auch weitgehend unbekannt ist, ist der sogenannte ALOP, Advanced Loss of Profit. Damit kann der Kunde die Verzögerung der Inbetriebnahme durch einen Schaden während der Errichtung versichern.

Generell gilt auch, dass kleinere Schäden wie eine gestohlene Bohrmaschine eher über Selbstbehalt abgedeckt werden sollten, wichtiger ist die richtige Versicherung gegenüber Unvorgesehenem. Naturereignisse wie Überschwemmungen können ganz gravierende Schäden in der Bauphase hervorrufen.

Report: Aber verhindern können Sie diese Naturkatastrophen auch nicht.

Ebner: Nein, aber wir können die Auswirkungen beeinflussen. Wenn ich etwa in der Baustellenlogistik darauf achte, wo bestimmte Materialien gelagert werden, kann ich die Schäden minimieren oder sogar verhindern, sollte es tatsächlich zu einem Hochwasser kommen.

Report: Sind Unternehmen bereit, für Eintrittswahrscheinlichkeiten von 1:50 oder 1:100 zu bezahlen? Oder ist man da eher bereit, das Risiko einzugehen?

Ebner: Es geht ja nicht nur ums Geld. Es geht auch ums Renommee und um weiterführende Haftungen. Viele Versicherer verlangen die Einbeziehung eines Risikomanagers, um das Risiko zu minimieren. 
Natürlich unterliegt Risikomanagement der betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Aber eine gewisse Sorglosigkeit ist leider schon immer noch feststellbar. 

Report: Laut einer deutschen Studie machen die Fehlerkosten in der deutschen Bauwirtschaft rund zehn Prozent des Jahresumsatzes aus. Lässt sich das auch auf Österreich umlegen?

Ebner: Das ist natürlich eine Definitionsfrage, aber ich kann dem einiges abgewinnen. Da wird sich Österreich von Deutschland nicht groß unterscheiden.

Report: Um wie viel würden sich die Fehlerkosten durch ein allumfassendes Risikomanagement reduzieren lassen?

Ebner: Wir reden hier auf jeden Fall von einer Größenordnung, die über dem Skontobereich ist. Und das ist schon sehr viel. Außerdem können wir mit einer Methode, die wir für die Versicherungswirtschaft entwickelt haben, die fünf bis sieben Prozent der Baustellen mit dem höchsten Risiko für Schäden und Mängel herausfiltern. Aber  aber da steh ich bei den Bauunternehmen noch am Anfang der Überzeugungsarbeit. Weil es schlicht und einfach noch nicht geglaubt wird. Aber das war zu Beginn auch in der Versicherungswirtschaft so. Erst durch einen »Feldversuch« nach einem Großschaden konnten wir die Kunden nicht nur überzeugen, sondern mit dem Ergebnis beeindrucken. Unsere Aufgabe ist es, mit unsicheren und unscharfen Informationen umzugehen. Und dafür haben wir die Erfahrung. Ich glaub, dass da für die Bauwirtschaft noch ein kleiner Schatz zu heben ist.

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