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Tiefbau digital

Foto: Neben immer noch fehlenden Normen und Standards trägt auch das fehlende Interesse der Auftraggeberschaft dazu bei, dass sich viele Planer und Bauausführende mit dem Thema BIM im Tiefbau bisweilen nur marginal oder noch nicht beschäftigen. Foto: Neben immer noch fehlenden Normen und Standards trägt auch das fehlende Interesse der Auftraggeberschaft dazu bei, dass sich viele Planer und Bauausführende mit dem Thema BIM im Tiefbau bisweilen nur marginal oder noch nicht beschäftigen. Foto: Porr

Die Steuerung von Maschinen mittels Satelliten-Navigation und digitaler Geländemodelle gibt es seit rund 20 Jahren. Nach wie vor wird das Thema Building Information Modeling aber vor allem mit dem Hochbau in Verbindung gebracht. Der Tiefbau hinkt hinterher – woran liegt das?

Vor ein paar Jahren habe ich gesagt, dass das Gefälle in der Digitalisierungsentwicklung zwischen Hoch- und Tiefbau noch sehr groß ist. Das sehe ich aus technischer Sicht heute nicht mehr so«, betont Jens Hoffmann, Head of BIM 5D bei der Strabag. In den letzten anderthalb Jahren habe es erhebliche Entwicklungen gegeben. Der Tiefbau ist stärker maschinenorientiert. Messtechnik, die digital den Bautenstand erfasst, ist inzwischen in der Praxis angekommen.

»Es besteht eine größere Durchdringung der Digitalisierung auf der Geräteseite als im Hochbau, wo die Arbeiten noch sehr kleinteilig sind und viele Tätigkeiten nach wie vor manuell erfolgen«, hält er ergänzend fest. Ohne ein digitales Geländemodell, also ohne Abbild der Wirklichkeit in einem Modell, sei nach wie vor keine Straße oder Bahnstrecke zu planen. Mit Blick auf die Effizienz ist der Einsatz von Drohnen und Lasertechnik zwischenzeitlich unerlässlich. Vor allem große Bauherren hätten eine stärkere Wahrnehmung von BIM, Bauherren für kleinere Objekte haben das nach wie vor weniger im Blick.

»Was im Hochbau möglich ist, gilt auch für den Tiefbau«, fasst Hoffmann zusammen. Ebenso sieht das Michael Wardian, Geschäftsführer von Kirchdorfer Concrete Solutions. »Wir sehen grundsätzlich keine Hindernisse, die den Tiefbau im Speziellen benachteiligen.« Ganz im Gegenteil – durch Normung, Standardisierung und Auftraggeber im Bereich der Infrastruktur, welche vitales Interesse am Betrieb und der Verfügbarkeit der Baulichkeiten haben, sollte der Tiefbau mit dem Hochbau Schritt halten können.

Hubert Wetschnig, CEO von Habau, widerspricht dem etwas: »Aktuell liegen den Ausschreibungen weder BIM-Tiefbaumodelle noch die notwendigen digitalen Planunterlagen und Datenformate bei. Dies ist aber notwendig, um in der Angebotsphase die komplexen Infrastrukturprojekte dreidimensional modellieren zu können.« Es gelte nun, diese Standards gemeinsam mit den Auftraggebern und Planern festzulegen.

Bild oben: »Durch Normung und Standardisierung sollte der Tiefbau im Hinblick auf Digitalisierung mit dem Hochbau Schritt halten können«, schätzt Michael Wardian, Kirchdorfer.

Ja zum digitalen Tiefbau

Woran liegt es, dass im Tiefbau weniger Digitalisierung betrieben wird? Die Hauptgründe sieht die Branche in der mangelnden Nachfrage durch die Bauherren und in einem nach wie vor konservativen Verständnis vom Planen, Bauen und Betreiben. Für den Tiefbau gilt dies in einem besonderen Maße. »Wir würden gern mehr digitalisieren, keine Frage«, stellt Jens Hoffmann klar. Bei der Strabag wird in Sachen Digitalisierung viel investiert. So werden zahlreiche Projekte auch ohne konkrete Beauftragung mit BIM pilotiert.

Aus Eigeninteresse – denn BIM bietet vor allem im Controlling- und Abrechnungsprozess große Vorteile. Komplexe Erdbaukörper können mithilfe moderner Tiefbausoftware dreidimensional erfasst, nachgehalten und abgerechnet werden. Durch die Modellerstellung werden die Abrechnungsmengen visuell dargestellt und somit einfach wie transparent aufbereitet. Viele Risiken sind durch Visualisierungen und eine integrale Planung besser beherrsch- und einschätzbar. Das gelte sukzessive auch für komplexe Baugruben und Gründungssituationen. »Die Verhältnisse, die es am konventionellen Bau gibt, verschwimmen«, stellt Hoffmann fest. Bisher war die Baufirma der Dienstleister, der Bauherr trat als Ausschreibender und Taktgeber auf.

Zukünftig sei der Bauherr zwar weiterhin Auftraggeber, aber die Baufirma mit speziellem Ausführungs-Know-how werde viel früher in das Projekt eingebunden, um damit die Kluft aus Planung und Ausführung zu schließen. Der Bauherr bringt seine gute Projektsicht ein, die Baufirma ihre hohe Kompetenz in der prozessualen Ausführung. Mit BIM lasse sich das bestens vereinen. Diese Vorteile sieht auch Kirchdorfer Concrete Solutions, die die Digitalisierung ebenso verstärken.

»Es ist keine Frage des Wollens, vielmehr ist es nicht möglich, sich dem Thema gänzlich zu entziehen«, gibt Michael Wardian zu bedenken. Digitalisierung im Tiefbau wird auf breiter Front diskutiert und betrifft so gut wie alle Geschäftsbereiche unabhängig, ob es sich um Bahnbau, Straßenbau oder Infrastruktur handelt. »Dieser Bereich wird in Zukunft einer der wesentlichen Differenzierungsmerkmale erfolgreicher Unternehmen sein«, erwartet der Kirchdorfer Concrete Solutions CEO. Leistungserklärungen, Datenblätter, Pläne und Bestellformulare für Standardprodukte stellt das Unternehmen bereits digital auf seiner Website bereit.

Bild oben: Für große digitale Infrastrukturmaßnahmen der öffentlichen Hand fehlen in Österreich die politischen Signale. In Nachbarländern wie Deutschland und Tschechien oder in der Schweiz gibt es längst digitale Stufenpläne, um eine verbindliche Roadmap in der Digitalisierung für die öffentliche Hand zu gestalten. »Dadurch kommen diese Techniken erst mit Nachdruck ins reale Leben«, betont Jens Hoffmann.

»Wir haben allerdings festgestellt, dass es eine Anlaufphase seitens der Kunden gegeben hat, bis diese das neue Konzept akzeptierten und auch aktiv nutzten. Eine vermehrte Nachfrage gibt es erst seit dem letzten Jahr.« Digitalisierung bringt auch den Vorteil beschleunigter Kommunikation. Michael Wardian nennt dazu einen Vergleich: »Wenn ein CAD-Plan vor 30 Jahren auf der Diskette per Post kam, brachte es trotzdem nichts, wenn im Büro noch mit Tuschestift gezeichnet wurde.« Wenn der Bauherr mit der Baufirma gemeinsam ein Projekt entwickeln möchte, lässt sich BIM als Kommunikationsplattform mitverwenden. In der realen Welt hat sich das in Österreich laut Hoffmann leider noch nicht gezeigt.

Digitale Zukunft

Die Planung im Tiefbau ist seit vielen Jahren digital und nicht analog. »Zukünftig gilt es den Fokus darauf zu legen, den im Gesamtprozess eines Infrastrukturprojekts beteiligten Projektpartnern zum richtigen Zeitpunkt die richtigen digitalen Daten und Datenformate zur Verfügung zu stellen«, fordert Hubert Wetschnig. Wie sich die in der Corona-Phase geänderte Arbeitsmethode auf diesen Prozess konkret auswirken wird, werde die Zukunft zeigen. Zur Bauvision der vollständigen Realisierung z.B. einer Straße vom Home-Office über Robotics meint Jens Hoffmann lachend: »Wenn man ganz weit denkt, dann könnte man sich vorstellen, dass Roboter die Arbeit erledigen, aber das ist noch lange nicht der Fall.«

Termin:

VÖBU FAIR 2021 & Österreichische Geotechniktagung

»Unwägbarkeiten in Planung & Ausführung«, so wird das Thema der VÖBU FAIR bzw. der 13. Österreichischen Geotechniktagung Ende Januar 2021 lauten. Mit diesem aktuellen Motto bietet der Veranstalter VÖBU, Vereinigung Österreichischer Bohr-, Brunnenbau- und Spezialtiefbauunternehmungen, den relevanten Fragestellungen den notwendigen Rahmen und lässt nicht nur im fachlichen Teil tief blicken. Das Event wird als Präsenzveranstaltung wie gewohnt stattfinden und ab Oktober ist eine Anmeldung für das Fachpublikum möglich.

Wann & Wo: VÖBU FAIR 2021
28. - 29. Januar 2021
Messe Wien Congress Center

Alle Infos zur Ausstellung & Anmeldung unter oegt.voebu.at


Neuer Ausbildungsfokus

In der Baubranche verschieben sich die Leistungsbilder, es ergeben sich neue und veränderte Jobs, damit verbunden neue Ausbildungen und neue Schulungsprogramme. »Im Baugewerbe befinden wir uns in einem starken Umbruch, was die Digitalisierung betrifft«, betont Gernot Kulle, Direktor der Bundesschule Bau.

Durch die vermehrte Umstellung der Lehrpläne auf digitale Inhalte und den aktiven Einsatz von Tablets und Informationsplattformen, die durch die Interessenvertretung Geschäftsstelle Bau allen Lehrlingen zur Verfügung gestellt werden, ist gewährleistet, dass moderne Lehrmethoden ein zentraler Bestandteil der Ausbildung der zukünftigen Fachkräfte sind. »Digitalisierung verlangt hochqualifizierte MitarbeiterInnen«, berichtet Michael Wardian aus der Praxis.

BIM-Pilotprojekte Tiefbau

Bild oben: »Bei Habau spielt BIM auch im Tiefbau eine große Rolle«, sagt Hubert Wetschnig.

»BIM-Projekte im Tiefbau sind momentan als Pilotprojekte konzipiert und zeichnen sich durch eine gemeinsame, partnerschaftliche Herangehensweise an das Thema BIM aus«, informiert Habau-Geschäftsführer Hubert Wetschnig. Durch die Pilotprojekte werden alle Projektbeteiligten schrittweise an das Thema herangeführt und es wird die Basis geschaffen, gemeinsam Vertrauen in die BIM-Methode zu entwickeln, sieht er die Entwicklung positiv.

In der Habau Gruppe spielt die digitale Abwicklung bzw. auch das BIM-Tiefbau-Modell bereits eine große Rolle. »Maßgeblich dafür ist, dass wir im Bereich Straßen- und Erdbau auf mehr als 20 Jahre Erfahrung mit digitalen Geländemodellen aufbauen können. Damit legen wir die Basis für unsere laufende Weiterentwicklung der Tiefbau-BIM-Modelle. Zusätzlich beschäftigen wir uns in diesem Zusammenhang fast genauso lange mit der Generierung von GPS- und Tachymeter-Daten zur Steuerung unserer Baumaschinen.«

Lean Baumanagement

Lean Management und Lean Construction sind, neben dem Building Information Modeling, die Boom-Themen im Bauwesen. An der TU Graz hat vor kurzem das erste Jahr des im deutschsprachigen Raum einmaligen Masterlehrgangs Lean Baumanagement geendet. Lehrgangsleiter Univ.-Prof. Gottfried Mauerhofer zieht eine sehr positive Bilanz. »Die TeilnehmerInnen haben mindestens fünf Jahre Berufserfahrung und sind u.a. Tiefbauer. Es reicht vom Geschäftsführer bis zum Bauleiter.«

Die Folgeveranstaltung ab September ist bereits mehrfach überbucht. In Deutschland und der Schweiz entwickeln sich ähnliche Lehrgänge, allerdings werden die TUs dort erst in frühestens zwei Jahren eine Ausbildung anbieten, rechnet Mauerhofer. Der Lehrgang in Graz besteht aus sieben Modulen, von Lean Management Systems Engineering über Bauprojektmanagement und Lebenszyklusorientiertes Bauen, Bau-Betriebswirtschaftslehre, Building Information Modeling bis zu Softskills wie Kommunikations- und Konfliktmanagement und Leadership.

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