Eine Stimme – viele Fragen
- Written by Andre Exner
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Der »Wind of Change« weht durch Österreich: Die Wahlprogramme der Parteien versprechen enorme Veränderungen für das Land. Vieles, was kommen dürfte, ist aus der Sicht der Baubranche grundsätzlich positiv zu beurteilen. Entscheidend ist aber das Wie.
Der Stillstand ist offiziell tot – zumindest in den Wahlprogrammen der Parteien. Mit einigen Jahren Verspätung ist der internationale Trend, Veränderung zu proklamieren, in den österreichischen Parteizentralen angekommen. Und dass der 15. Oktober massive Veränderungen für Österreich bringen wird, steht heute schon fest. Schließlich sitzen nicht nur im Weißen Haus oder im Elysee-Palast heute Staatschefs, die man vor zehn Jahren dort höchstens im Hintergrund als Gäste bei einem Empfang auf Fotos erspäht hätte.
Wie auch immer die nächste Regierung aussieht – die vor den Wahlen formulierte To-do-Liste wird lang sein. Steuersenkung in Milliardenhöhe, Paradigmenwechsel im Sozialsystem, komplette Verwaltungsreform: Veränderungen wie diese werden sich bei einer Umsetzung selbstverständlich auch auf die Bau- und Immobilienwirtschaft auswirken. Sogar Themen, die auf den ersten Blick gar nichts mit dem Sektor zu tun haben, können sich indirekt sehr wohl bemerkbar machen. So muss man etwa aufhorchen, wenn der amtierende Bundeskanzler – bekanntlich selbst ein Polit-Quereinsteiger – in einer TV-Debatte mit einem seiner Kontrahenten mit dem Gedanken spielt, den Verbrennungsmotor ab 2030 zu verbieten: Unternehmen, die ihre teuren Fuhrparks dann komplett ersetzen müssen, oder Immobilieninvestoren, die in den Tiefgaragen ihrer alten Häuser auf eigene Kosten E-Ladestationen nachrüsten müssen, wären davon massiv betroffen.
Doch schon dieses Beispiel zeigt: Es ist weit mehr als bloße Wahlstrategie, wenn Politiker gerade jetzt Veränderungen versprechen. Vielmehr ist die Welt und mit ihr Österreich heute inmitten eines riesigen Wandels, und dass es so wie bisher nicht weitergeht, ist in der breiten Bevölkerung angekommen. Ein Grund, warum die anfangs als Kabarett-Gag missverstandene G!ILT-Bewegung bereits in die Meinungsumfragen einzieht. Ja, es wird in den kommenden Jahren vieles anders – entscheidend ist jedoch das Wie.
Was erwartet die Baubranche?
Von den größten Bauunternehmen Österreichs kam auf diese Frage gar keine Antwort – sie verwiesen höchstens darauf, keine politischen Statements abgeben zu wollen. Dass sich gerade eine Branche, die auf ein gutes Verhältnis zu den Auftraggebern aus dem öffentlichen Sektor angewiesen ist, nicht mit politischen Aussagen aus dem Fenster lehnen möchte, ist verständlich: Viele erinnern sich noch zu gut daran, als der Sager von Wienerberger-Vorstandschef Heimo Scheuch, die Politikergehälter auf das Niveau von Managergehältern anzuheben, um damit bessere Köpfe für die Politik zu gewinnen, für riesige Aufregung sorgte.
Der Bau & Immobilien Report hat daher die vorliegenden Wahlprogramme sowie die Aussagen der Spitzenkandidaten der Parteien zur Grundlage genommen, Antworten zu finden. Die wichtigsten Vor- und Nachteile der Wahlversprechen der einzelnen Parteien finden Sie in der Grafik (siehe Seite 21). Hier jedoch noch einige weitere Punkte – vor allem zu denjenigen Versprechen, die nicht direkt mit dem Bauwesen zu tun haben, jedoch indirekt große Wellen schlagen könnten. Etwa, indem sie den endlich einsetzenden Wirtschaftsaufschwung wieder abwürgen.
So schlägt die SPÖ die Einführung einer Erbschafts- und Schenkungssteuer vor. Derzeit sind die Auftragsbücher vor allem im Bereich Wohnbau prall gefüllt, weil eben viel privates Geld investiert wird. Bleibt künftig weniger Geld für private Investitionen über, wird das eine Lücke bei den Aufträgen hinterlassen. Dafür bekennt sich die SPÖ aber klar zu verstärkten öffentlichen Ausgaben, nicht zuletzt im Bereich der baulichen Infrastruktur. Demgegenüber steht die für die Wahl frisch designte und umbenannte Volkspartei mit ihrem Wahlversprechen einer drastischen Steuersenkung.
»Mein Ziel ist, Menschen zu entlasten, damit ihnen auch von ihrem Verdienten mehr bleibt«, sagt Spitzenkandidat Sebastian Kurz. Schön und gut – aber wenn im Staatssäckel Milliarden fehlen, müssen die irgendwo eingespart werden. Mit Kurz am Ruder würden daher zwar private Investitionen sprudeln, öffentliche jedoch reduziert werden. »Steuersenkungen, die den Menschen mehr ‚Netto vom Brutto‘ lassen und sich auf die Kaufkraft positiv auswirken, sind aus Sicht der Wirtschaft generell zu begrüßen und haben indirekt natürlich auch auf den Bausektor positive Auswirkungen«, findet auch Branchenexperte und FH-Dozent Wolfgang Amann (siehe Nachgefragt) – entscheidend ist jedoch, wer wie genau entlastet wird, und genau das steht erst nach der Wahl fest.
Kurz scheint der Bauwirtschaft am meisten zu versprechen. Selbst genaue Vorschläge gegen den Fachkräftemangel und für einen leichteren Zugang für den KMU-Sektor zu Finanzierungen sind im ÖVP-Wirtschaftsprogramm enthalten. Während kleinere Baufirmen vor allem die versprochene Umgestaltung des Arbeitsinspektorates zur serviceorientierten Behörde begrüßen dürften, müsste große Player das Versprechen zur Verkürzung von Verwaltungsverfahren bei milliardenschweren Infrastrukturprojekten zuversichtlich stimmen.
»Freiheitliches Ziel ist es, Österreich in eine doppelte Pole Position zu bringen – nämlich national sowie international«, sagt FPÖ-Obmann HC Strache. Um dieses Ziel zu erreichen, schlagen die Freiheitlichen unter anderen einen umfassenden Infrastrukturplan vor. Für die Baubranche auf den ersten Blick erfreulich – bis die FPÖ an die Regierung kommt und diesen Infrastrukturplan 2030 vorstellt, kommt eine Stimme aber einem Blankocheck gleich. So ist im Wahlprogramm zwar vom Ausbau hochrangiger Bahnverbindungen die Rede – weil davon aber die Westbahn des von der FPÖ bisher nicht gerade in den höchsten Tönen gelobten Strabag-Anteilseigners Hans Peter Haselsteiner profitieren würde, ist die Umsetzung fraglich.
In den Vordergrund des Wirtschaftsprogramms der Grünen stellt Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek die Umweltkompetenz der Partei. »Der Klimawandel ist in aller Munde«, sagt sie und die Bürger wüssten, dass die Grünen als einzige »immer den Finger auf diese Wunde legen«. Das von ihr versprochene milliardenhohe Investitionsprogramm in den Umstieg auf Erneuerbare Energien könnte auch der Baubranche zugutekommen. Dass Lunacek im Straßenverkehr jedoch ein kilometerbezogenes Road Pricing statt der Autobahnvignette will, dürfte in der Baubranche jedoch nicht nur auf Zustimmung stoßen: Jene Erträge, die die Errichtung von neuen Kraftwerken – oder auch Mautanlagen – bringen, werden durch höhere laufende Kosten für den Fuhrpark aufgefressen. Ähnlich gemischt ist das Bild bei den NEOS, die viel für die Wirtschaft versprechen und ein bisschen wie die frühere ÖVP klingen – in ihrem Wahlprogramm das Wort Infrastruktur jedoch kein einziges Mal verwenden.
Die Liste Pilz sowie G!LT haben bewusst gar kein Wahlprogramm – auch eine Art Ansage an die potenziellen Wähler. Ein Spiel ohne Regeln ist aber noch selten gut ausgegangen. Insofern müssen die hunderttausenden Österreicherinnen und Österreicher, die ihr Einkommen der Baubranche zu verdanken haben, am 15. Oktober genau überlegen, wo sie ihr Kreuzerl setzen. Ruhig schlafen werden sie aber auch danach nicht lange können, denn schon bald wird wieder gewählt – 2018 finden in mehreren Bundesländern Landtagswahlen und 2019 die Wahlen für das EU-Parlament statt.