Die Feuerunfälle im Montblanc-, Gotthard- und Tauern-Tunnel haben gezeigt, welch katastrophale Auswirkungen ein Brand in einem Tunnel haben kann. In Flums in der Nähe von Zürich wird in einem unterirdischen Stollensystem unter realistischen Bedingungen intensiv geforscht, um die Sicherheit im Tunnel zu erhöhen. Ganz und gar unscheinbar präsentiert sich der Versuchs-stollen Hagerbach bei Flums in der Nähe von Zürich. Ein schmaler Güterweg führt von der Hauptstraße zu einem kleinen, in die Jahre gekommenen Verwaltungsgebäude. Nur der großzügig dimensionierte Parkplatz lässt erahnen, dass das noch nicht alles gewesen sein kann. Ein Tor, gerade mal groß genug, dass ein Lkw oder Eisenbahnwaggon durchpasst, markiert den Eingang zu einer faszinierenden Welt unter Tage. Insgesamt rund fünf Kilometer misst das weltweit einzigartige Stollennetzwerk, in dem Maschinen, Produkte und Verfahren für den Untertagebau getestet und optimiert werden. Neben idealen Bedingungen wie einem konstanten Klima, Lüftungskanälen mit einstellbaren Windgeschwindigkeiten, einer optimalen elektromagnetischen Abschirmung sowie erschütterungsfreien Standorten im festen Felsuntergrund gibt es keine Lärmemissionen sowie druckfeste Räume. Damit herrschen im Hagerbach-Stollen hervorragende Bedingungen für Untersuchungen und Tests im Tunnelbau, aber auch in anderen Fachgebieten wie beispielsweise für Motorenuntersuchungen, Brandversuche oder Sprengschweißen. Internationale Unternehmen wie Würth oder Atlas Copco nutzen den Versuchsstollen, um ihre Produkte in einer realen Umgebung fit für den Baustelleneinsatz zu machen. Aber auch Hilfs- und Rettungskräfte aus der Schweiz und dem benachbarten Ausland trifft man im Versuchsstollen an. Für die Polizei gibt es eine eigene Schießanlage, die Feuerwehr simuliert unter realistischen Bedingungen den Einsatz bei Tunnelbränden. Damit es gar nicht erst so weit kommt, erforscht die Siemens-Division Building Technologies im Hagerbachstollen verschiedene Brandszenarien und die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen in Tunnelanlagen. Die getesteten Technologien werden unter anderem in Straßen-, Bahn- und Metrotunnels, Kavernen, Kabeltrassen, Förderbändern, Bahnhofshallen und U-Bahnstationen sowie in Kraftwerken und sogar in Gebäudehüllen wie etwa dem Kunsthaus Graz eingesetzt.Hauptrisiko FeuerFeuer zählt nach wie vor zu den größten Gefahren in einem Tunnel. Statistisch gesehen kommt es zu einem Brand pro 50 Millionen gefahrener Kilometer. Das klingt nicht viel, bedeutet bei einem durchschnittlich befahrenen Straßentunnel von 2,5 Kilometern Länge aber alle drei Jahre einen Brand. Im Gotthard-Tunnel in der Schweiz kommt es demnach statistisch zu vier Bränden im Jahr. »In Tunneln geht es vor allem darum, Brände möglichst rasch und verlässlich zu erkennen und zu orten, um die Rettungsmaßnahmen in Gang zu setzen«, sagt Duri Barblan von der Fire Safety & Security-Abteilung bei Siemens Building Technologies. »Je schneller gehandelt wird, desto geringer sind die Schäden für Mensch und Infrastruktur.« Dabei setzt Siemens auf Gesamtlösungen, von der Erkennung über Direktmaßnahmen bis zur Einsatzkräftealarmierung. Getestet werden diese Systeme im Versuchsstollen Hagerbach. Im Maßstab 1:10 werden Fahrzeug-Dummies in Brand gesetzt, um die verschiedenen Brandmeldelösungen auf Herz und Nieren zu prüfen. Dabei zeigt sich, welch verheerende Auswirkungen ein Feuer im Tunnel hat. Sobald Benzin zu brennen beginnt, entsteht dichter schwarzer Rauch, der eindrucksvoll beweist, dass Videoüberwachung kein verlässliches Instrument für eine automatische Brandortung ist. Auch bei Rauchmeldern zeigt die Praxis, dass die Fehlerquote relativ hoch ist. Gleich null ist die Fehlerquote bei Wärmemeldern wie dem von Siemens entwickelten FibroLaser. Diese auf einem Glasfaserkabel basierende Technologie erfasst sowohl Wärmestrahlung als auch Wärmeströmung (Konvektion) und erlaubt damit die schnelle und täuschungssichere Branderkennung über große Distanzen mit einer Lokalisierungsauflösung von 0,5 Metern. Ist der Brand erst einmal erkannt, kommen automatische Löschanlagen ins Spiel. Mit einem Hochdruck-Wassernebel werden die Brandgase in der nahen Umgebung des Brandes abgekühlt, die sogenannten Brandaerosole ausgewaschen und der Brand niedergehalten, um die Selbstrettung zu erleichtern und für die Zeit bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte den geforderten Personen- und Sachschutz zu garantieren. Für eine schnelle, sichere und panikfreie Evakuierung kommt zudem ein Sprachalarmsystem zum Einsatz. ReferenzenEiner der ersten Straßentunnel, der von Siemens mit einem umfassenden Sicherheitskonzept von der Branderkennung über Brandmeldung bis zur Erstbekämpfung, Alarmierung und Personenevakuierung ausgestatte wurde, ist der Tunnel Tiergarten Spreebogen in Berlin. Der 2.400 Meter lange Tunnel in der Innenstadt hat zwei Röhren mit getrennten Fahrtrichtungen und wird täglich von bis zu 50.000 Fahrzeugen befahren.Auch für die Tunnel in einem der größten Schweizer Straßenprojekte der vergangenen Jahre hat die Siemens-Division Building Technologies die Brandschutzsysteme bereitgestellt. In den insgesamt sechs Tunneln der A3-Westumfahrung bei Zürich und der A4-Verbindung nach Zug installierte Siemens 36,5 Kilometer des Wärmedetektionskabels FibroLaser sowie 24 FibroLaser-II-Kontroller, die pro Tunnel auf einem Bereichsrechner aufgeschaltet sind. Diese Bereichsrechner sind mit den anderen Bereichsrechnern vernetzt, was eine koordinierte Reaktion auf jeden Vorfall ermöglicht, indem die FibroLaser-Systeme mit den Systemen für Beleuchtung, Lüftung, Rauchabzug, Verkehrssteuerung, Videoüberwachung und Kommunikation interagieren. Neben Life-Cycle-Management, betrieblichen Serviceleistungen und Alarmmanagement garantiert Siemens bei diesem Projekt auch die präventive und korrektive Systemwartung, einen Wissenstransfer durch Beratung, professionelle Dienste oder Schulung sowie eine garantierte 24-Stunden-Reparaturzeit. > Versuchsstollen Hagerbach1970 erfolgte mit ersten Sprengungen der »Spatenstich« zum Versuchsstollen Hagerbach. Die Anlage wurde explizit zu Versuchszwecken gebaut und besteht heute aus einer Vielzahl von Stollen, Kavernen, Versuchsfeldern, Labors und Schulungsräumen auf einer Länge von rund fünf Kilometern. Im Hagerbach-Stollen herrschen ideale Bedingungen für Untersuchungen und Tests im Tunnelbau, aber auch in anderen Fachgebieten wie beispielsweise für Motorenuntersuchungen, Brandversuche oder Sprengschweißen. Hier sind Versuchsarbeiten möglich, die an anderen Orten nicht oder nur mit sehr großem Aufwand realisiert werden können. Der Hagerbach-Stollen wird von über 20 Firmen zu Forschungs- und Entwicklungszwecken im Untertagebau und für Fels- und Baustoffprüfungen genutzt. Zudem ist der Stollen zentrales Labor für Tunnelsicherheit, getestet werden hier unter anderem Rauchdetektionssysteme, Brandmeldeanlagen und Löschsysteme. Außerdem werden im Hagerbachstollen Baustoffe für den Tunnelbau geprüft und Rettungskräfte und Feuerwehren ausgebildet.>> Hintergrund: Rund um die Jahrtausendwende kam es zu einer spektakulären Häufung von Brandunfällen in Tunneln. 1999 starben bei Zwischenfällen im Montblanc-Tunnel und im Tauern-Tunnel insgesamt 51 Menschen, 2001 kostete ein Flammeninferno im Gotthard-Tunnel elf Menschen das Leben. Dazwischen hat sich die Katastrophe von Kaprun mit 155 Toten tief in das kollektive Gedächtnis der Österreicher eingegraben. Diese tragischen Ereignisse waren mitverantwortlich, dass die Mindestanforderungen an die Sicherheit von Tunneln deutlich erhöht wurden. Dass die Maßnahmen vor allem in Österreich und der Schweiz greifen, zeigt eine EuroTAP-Studie (European Tunnel Assessment Programme) aus dem Jahr 2010, die 26 Tunnel in 13 europäischen Ländern untersuchte. Gerade im Bezug auf Brandschutz schneiden die heimischen und die eidgenössischen Tunnel mit »Sehr gut« bis »gut« ab.