Die Ausbeutung der fossilen Brennstoffvorräte wird dieses Jahrhundert weitgehend an ihr Ende gelangen. Die Zukunft der Energieversorgung Europas entsteht nun in Nordafrika. Die Sahara ist mit neun Millionen Quadratkilometern die größte Wüste der Erde. Doch nur rund 20 Prozent des Gebietes entsprechen dem Klischee der Sandwüste. Der weitaus größere Teil – die Fels- und Steinwüste – bleibt von den berüchtigten Sandstürmen verschont. Ebendort könnte in den nächsten Jahren eines der größten Projekte der Menschheitsgeschichte entstehen: Desertec. Das gleichnamige Konzept beschreibt eine Stromversorgung für Europa, den Nahen Osten und Nordafrika auf Basis erneuerbarer Energien. Dabei soll der Strom in solarthermischen Kraftwerken vor allem in Nordafrika, aber auch in Windparks vor den Küsten Nordafrikas und Nordeuropas erzeugt werden. Für den Transport der elektrischen Energie in die europäischen Verbrauchszentren werden moderne Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitungen sorgen.Entwickelt wurde das Desertec-Konzept bereits in den 1970er-Jahren vom Club of Rome. Für neuen Auftrieb hat in den letzten Jahren das rasante Wachstum des Marktes für solarthermische Kraftwerke gesorgt. Mit der Formierung namhafter Industrieunternehmen in der »Desertec Industrial Initiative« im vergangenen Jahr ist der engagierte Plan nun erstmals einer Umsetzung näher gerückt. Unter der Führung des weltgrößten Rückversicherungskonzerns Munich RE (Rück) sind Unternehmen wie Siemens, Deutsche Bank, E.ON, ABB, weitere Solartechnik-Hersteller sowie Firmen aus Marokko, Tunesien und Ägypten an Bord. »Desertec kann einen wesentlichen Beitrag zu einer nachhaltigen Energieversorgung leisten«, stellt Rene Umlauft, Leiter des Bereichs Erneuerbare Energien bei Siemens Energy, klar.In den Wüstenregionen in südlichen Regionen unserer Erde schlummert ein gewaltiges Energiepotenzial: Die Sonne steht dort über 4.800 Stunden im Jahr zur Stromerzeugung zur Verfügung. Die Wüstengebiete empfangen in sechs Stunden mehr Energie, als die gesamte Menschheit in einem Jahr verbraucht. Eine Fläche von 300 km mal 300 km mit Parabolspiegeln in der Sahara würde ausreichen, um den gesamten weltweiten Energiebedarf zu decken. Die Desertec-Initiative zielt darauf ab, bis 2050 einen Anteil von 15 bis 20 Prozent des europäischen Strombedarfs als Solar- und Windstrom zu liefern.Erste Projekte der InitiatorenKonkret sollen zunächst mittelgroße Solarkraftwerke mit je 50 bis 200 MW Leistung an 20 Standorten von Marokko bis Saudi-Arabien gebaut werden. Mitte April wurde etwa im ägyptischen Kuraymat, rund 100 Kilometer südlich von Kairo, eine erste solarthermische Großanlage von weiteren Mitgliedern der Desertec-Initiative montiert und installiert. Das Hybridkraftwerk mit 150 Megawatt Leistung verwendet zur Stromerzeugung sowohl Erdgas als auch Solarenergie. Bei direkter Sonneneinstrahlung erhitzen Parabolspiegel Wasser in einem Kreislauf, ähnlich wie in einem Kohledampfkraftwerk. Turbinen im Kraftwerk werden durch den gewonnen Dampf angetrieben. Auch die Speicherung der gewonnenen Wärme ist unkompliziert möglich. Über Salzwassertanks kann sie zum Beispiel in der Nacht wieder an den Dampfkreislauf abgegeben werden.Auf 400 Mrd. Euro Investitionskosten bis zum Jahr 2050 wird der gesamte Projektumfang von Desertec geschätzt. 350 Mrd. entfallen auf die Kraftwerke, 50 Mrd. auf die notwendigen Leitungen. Die damit erzielten 100 GW – eine Leistung vergleichbar mit hundert herkömmlichen Großkraftwerken - werden neben der Abdeckung des lokalen Bedarfs in Nordafrika hauptsächlich für den Export in das energiehungrige Europa bereitgestellt werden.Big Player SiemensDesertec-Mitbegründer Siemens verfügt über ein breites Spektrum an umweltfreundlichen Technologien von solarthermischen Kraftwerken über Photovoltaikanlagen bis hin zu Windenergieanlagen und der verlustarmen Stromübertragungstechnik. Solarthermische Kraftwerke erzeugen seit 20 Jahren umweltfreundlichen Strom. Bei Dampfturbinen für solarthermische Kraftwerke ist Siemens Marktführer. Mit der Beteiligung an der italienischen Archimede Solar verfügt das Unternehmen darüber hinaus über eine zukunftsweisende Technologie für Solarreceiver, eine weitere Schlüsselkomponente dieser Kraftwerke. Durch die Kombination beider Technologien wird Siemens die Effizienz dieser Anlagen weiter erhöhen und die Produktionskosten für Solarstrom verringern. Staaten wie Marokko oder Ägypten bieten auch gute Möglichkeiten für die Nutzung der Windkraft. Siemens ist einer der weltweit führenden Anbieter von Windenergieanlagen, bei Offshore-Windparks ist das Unternehmen bereits die Nummer eins.StromautobahnenBei Desertec müsste der in den Wüstenregionen erzeugte Strom über eine Strecke von etwa 2.000 km von Nordafrika in die europäischen Verbrauchszentren transportiert werden. Derartige Entfernungen sind für die Übertragung mit Hochspannungsgleichstromübertragung (HGÜ) kein Problem. Bei einem von Siemens realisierten HGÜ-Projekt in China wird beispielsweise eine Leistung von 5.000 Megawatt von Wasserkraftwerken im Landesinneren über 1.400 Kilometer in die Megacities an der Küste übertragen. Dank dieser Stromautobahn kommen davon 95 Prozent in den Verbrauchszentren an. Bei Wechselstromleitungen wären es hingegen etwa 400 MW weniger – dies entspricht der Leistung eines mittleren Kraftwerks oder von 160 Windenergieanlagen. Die geringeren Übertragungsverluste ersparen der Umwelt rund drei Mio. Tonnen CO2 pro Jahr. »Siemens erwartet einen kräftigen Anstieg der erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung. Noch liegt der Anteil bei drei Prozent, wir schätzen aber, dass er sich in den nächsten 20 Jahren auf dann 14 Prozent etwa verfünffachen wird«, meint Rene Umlauft.Grüne ZukunftDesertec: Das ist auch eine global anwendbare Lösung, in welcher der CO2-Ausstoß durch den schnellen Ausbau von erneuerbaren Energien reduziert wird. So ist bereits geplant, vergleichbare Initiativen in Nordamerika, Indien, China oder Australien zu gründen. Auch sind die Initiatoren von der friedensstiftenden Wirkung des Konzepts überzeugt: Der Umstieg auf praktisch unbegrenzt verfügbare Sonnenenergie kann Konfliktpotenziale um begrenzte fossile Brennstoffe verringern. Grundvoraussetzung zur erfolgreichen Realisierung solch umfassender Projekte wie Desertec ist allerdings ein gemeinsamer politischer Wille auf internationaler Ebene. Desertec könnte dann einen signifikanten Beitrag zu einem sauberen Stromerzeugungsmix leisten. »Das Ziel, in zehn Jahren Strom aus der Wüste zu liefern, ist aus rein technischer Sicht realistisch. Die reine Bauzeit für die Anlagen, wie etwa Solarkraftwerke und Übertragungsleitungen, liegt zwischen zwei und vier Jahren«, erklärt Wolfgang Dehen, CEO Siemens Energy. Natürlich löst auch Desertec nicht alle Energieprobleme Europas mit einem Schlag. »Wir sind auch noch in den nächsten Jahrzehnten auf einen sinnvollen Energiemix angewiesen«, weiß Dehnen.Desertec und Siemens- Ziel von Desertec ist, mittelfristig ein technisches und wirtschaftliches Konzept für Solarstrom aus Afrika zu entwickeln. Der Schwerpunkt wird auch auf der Klärung von rechtlichen und politischen Fragestellungen liegen. Auch andere alternative Energiequellen wie Windkraft sollen einbezogen werden.- Siemens verfügt über ein umfassendes Portfolio für solarthermische Kraftwerke und den möglichst verlustarmen Transport elektrischer Energie über weite Strecken: von Dampfturbinen und Solarreceivern für solarthermische Kraftwerke bis hin zu Lösungen für die Hochspannungs-Gleichstromübertragung.- Experten schätzen das Gesamtpotenzial der Gewinnungsmöglichkeiten durch Solarkraft in den Wüsten und Halbwüsten der Erde auf 3 Mio. Terawattstunden pro Jahr. Zurzeit werden weltweit 18.000 Terawattstunden jährlich verbraucht.