Mensch und Maschine: Eine Beziehung mit Pflegebedarf
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„Künstliche Intelligenz“ (KI) hält zahlreiche Potenziale bereit. Die Vorstellung, KI könne ab Werk beinahe selbstständig Informationen und Handlungsempfehlungen in jeder gewünschten Form liefern, ist jedoch falsch. Eine KI bringt nur dann einen Vorteil, wenn ein Mensch auch weiß, wie er einen Nutzen daraus ziehen kann – und die KI von Anfang an entsprechend programmiert ist. Ein Kommentar von Matthias Sartor, Infor.
Den Durchbruch in den Massenmarkt schaffte KI-Technologie erst vor wenigen Jahren. Ein Grund: Erstmals steht genügend Rechenleistung zu erschwinglichen Kosten für KI-Berechnungen zur Verfügung. Den eigentlichen Ausschlag allerdings gab das Aufkommen des Cloud Computing, insbesondere der Multi-Tenant-Cloud. Dank der hohen Verfügbarkeit von Breitband-Netzzugängen ist es für Unternehmen nicht länger zwingend notwendig, eine eigene IT-Infrastruktur zu unterhalten.
Polanyis Paradoxon
Ein weiterer entscheidender Faktor für den Erfolg von KI ist das Machine Learning (ML), also die Fähigkeit von Maschinen, Muster und Zusammenhänge in Datensätzen erkennen zu können. So entstanden in den neunziger Jahren Verfahren und Ansätze, die ML nach heutigem Verständnis erst ermöglichten. Dazu zählen Support Vector Machines (SVM), die ein Verfahren zur Erkennung von Mustern ermöglichen. Hinzu kommen rekurrente neuronale Netze, die die Bildung neuronaler Netze im menschlichen Gehirn nachempfinden, sowie unüberwachtes Lernen. Voraussetzung für ML: eine möglichst große Datenmenge, aus der die lernenden Programme schöpfen können.
Damit allein ist es allerdings noch nicht getan: Schon der ungarische Chemiker Michael Polanyi postulierte bereits 1966, dass ein Großteil des menschlichen Wissens impliziter Natur ist und sich nicht in Worte fassen lässt – etwa die Erkennung von Gesichtern oder die Fähigkeit, Fahrrad zu fahren. Eine Maschine, die lediglich das geschriebene Wort in Form von Programmcode als Input akzeptiert, ist mit ML nicht in der Lage, solche Aufgaben zu bewältigen. KI-Algorithmen können ein gestelltes Problem nämlich nicht „intuitiv“ begreifen und sich nur nach mathematischen Verfahren per Trial and Error an die bestmögliche Lösung annähern.
Mensch und Maschine im Wechselspiel
Können aber Maschinen nicht selbstständig Tätigkeiten nach menschlichem Vorbild erlernen, dann müssen Menschen dazu befähigt werden, zu beurteilen, ob das gelieferte Ergebnis einen praktischen Nutzen hat. Es wird unumgänglich sein, dass Menschen den gesamten Prozess der Ergebnisfindung unter die Lupe nehmen und ihn laufend evaluieren und optimieren. Umgekehrt müssen Mitarbeiter aber auch darauf trainiert werden, ihre Aufgaben und Fragen im Vorfeld richtig zu stellen. Beides ist in Bezug auf die Zusammenstellung der Datensätze für das ML entscheidend. Nur so kann eine KI ihre volle Stärke entfalten. Nicht nur IT-Fachleute, sondern auch und gerade Entscheidungsträger müssen über diese Fähigkeit verfügen.
Das menschliche Potenzial maximieren
Dafür sind mehrere Voraussetzungen auf Seiten der KI nötig:
Erstens muss die KI interaktionsfähig sein – und Interaktion bedeutet Kommunikation. Diese kann per Chat erfolgen, aber ist bei weitem nicht auf diese eine Möglichkeit beschränkt. Die letzten Jahre haben insbesondere im Consumer-Bereich gezeigt, dass auch eine leistungsfähige und KI-gesteuerte Spracherkennungstechnologie keine Zukunftsmusik mehr ist: Siri (von Google), Alexa (Amazon), Cortana (Microsoft) und Co. sind für zahlreiche Menschen unverzichtbar geworden.
Zweitens muss eine KI unterstützend wirken. Unterstützung umfasst die Bereitstellung aller Informationen, die für die jeweilige Arbeit des Menschen, der mit KI arbeitet, nötig sind. Sie unterscheidet sich je nach Rolle und Rollenverständnis des Nutzers innerhalb des Unternehmens. Zwar kann die KI diese Rollenverständnisse lernen. Allerdings muss die KI in der Lage sein, weitere Daten auf eigene Initiative hin zu beschaffen.
Drittens muss die KI repetitive Aufgaben übernehmen, ohne dass Eingriffe von außen nötig sind. Solche Aufgabenstellungen laufen nach festen Regeln ab und sind einer KI daher vergleichsweise leicht beizubringen.
Viertens muss eine KI vorausschauend agieren können. Sie sollte beispielsweise in Entscheidungssituationen erkennen, ob ähnliche Situationen bereits in der Vergangenheit aufgetreten sind und erkennen können, wie sie behandelt wurden. Entsprechend legt die KI alle Entscheidungsoptionen dar und gibt selbst Empfehlungen ab.
Beispiel: Predictive Maintenance der nächsten Generation
Wie effektiv dieses Vorgehen sein kann, zeigt sich etwa in der Maschinenwartung. Für gewöhnlich erfolgen Überprüfungen von Maschinen nach einem festen Zeitplan, etwa einmal monatlich. Dabei bleibt in der Regel außen vor, ob eine solche Überprüfung notwendig wäre, weil entsprechende Informationen zum Zustand einer Maschine nicht vorhanden sind.
Ein erster Lösungsansatz besteht darin, Daten zu sammeln, etwa über den bisherigen Nutzungsgrad. Dadurch lässt sich die Frage klären, ob eine Überprüfung fällig ist oder nicht (Predictive Maintenance). Letztendlich aber bleibt es die Aufgabe eines Menschen, aus solchen Daten Zusammenhänge zu erkennen und Maßnahmen einzuleiten. Dieser Prozess ist allerdings fehleranfällig und langsam.
Eine Aufgabe, die sich wesentlich effizienter von KI erledigen lässt. Zeigt eine Maschine beispielsweise ein bestimmtes Verhalten – etwa einen erhöhten Stromverbrauch, ungewöhnliche Temperaturverläufe, oder einen unüblichen Geräuschpegel – interpretiert sie, welches Vorgehen nötig ist. Eine KI kann anhand vorhandener Sensoren Datenmengen analysieren und Muster erkennen, die zeigen, wann Probleme auftreten. Dadurch werden Handlungsempfehlungen für den Menschen möglich – etwa Ersatzteile zu bestellen, Reparaturen anzuordnen oder den Servicetechniker zu beauftragen. Das ermöglicht zudem, die Produktion neu zu planen. Schließlich lässt sich prognostizieren, wann eine Maschine nicht zur Verfügung steht: Die Zukunft ist vorhersehbar.