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»Es ist nicht Mensch gegen Maschine«

Foto: Peter Terwiesch, ABB: »Sind in der Bildung unserer Mitarbeiter engagiert und schaffen auch attraktive Rahmenbedingungen für Talente aus der ganzen Welt.« Foto: Peter Terwiesch, ABB: »Sind in der Bildung unserer Mitarbeiter engagiert und schaffen auch attraktive Rahmenbedingungen für Talente aus der ganzen Welt.«

Peter Terwiesch, Leiter der Konzern-Division Industrieauto­mation bei ABB, ist überzeugt, dass die Automatisierung Arbeitsplätze ­sichert – anstatt sie zu vernichten.

Report: ABB hat angekündigt, 1.000 Arbeitsplätze in Oberösterreich schaffen zu wollen. Vor dem Hintergrund eines allgemeinen Fachkräftemangels ist das eine mehr als herausfordernde Aufgabe. Wie sieht Ihr Plan dazu aus?

Terwiesch: Es kann nur in Kombination verschiedener Faktoren gelingen. Unser Engagement im Ausbildungsbereich und auch die Partnerschaft mit öffentlichen Bildungsinstitutionen ist einer dieser Faktoren. Ein weiterer ist die Aus- und Weiterbildung vorhandener Fachkräfte. B&R hat mit der »Automation Academy« hier bereits eine starke Tradition, die auch in der Branche ein hohes Ansehen genießt und arbeitet zudem bereits erfolgreich mit öffentlichen Bildungseinrichtungen, HTLs, Fachhochschulen und Universitäten zusammen.

Hinzu kommt die Lebensqualität, die der Standort für neu zu gewinnende Mitarbeiter bietet. Ich bin überzeugt, dass wir mit Eggelsberg als konzernweitem Zentrum für Maschinen- und Fabrikautomation Menschen aus der ganzen Welt anziehen werden. Gegebenenfalls werden sie eine gewisse Zeit hier leben, gemeinsam forschen und entwickeln, weitergebildet werden – und dann auch wieder in die Länder rausgehen.

Report: Werden Sie die Zusammenarbeit mit den Bildungseinrichtungen nun konkret erweitern?

Terwiesch: Wir werden auf dem Bestehenden aufsetzen und die Zusammenarbeit mit den HTLs, FHs und Universitäten weiter ausbauen. Alles das wird nötig sein, um unsere Wachstumspläne umzusetzen.

Report: Es ist wohl gerade eine gute Zeit, in dieser Branche beschäftigt zu sein.

Terwiesch: Als Ingenieur bin ich absolut davon überzeugt (lacht). Wenn Sie sich die Geschichte von ABB ansehen: Das Unternehmen ist inmitten der zweiten industriellen Revolution rund um das Thema Elektrifizierung gegründet worden. Die Basis für unsere Marktführerschaft in der Automatisierung ist dann in der dritten industriellen Revolution gelegt worden. Jetzt die vierte industrielle Revolution aktiv gestalten zu können – etwas Spannenderes kann ich mir kaum vorstellen.

Report: Wir befinden uns in einer Phase der Vernetzung von Menschen, Dingen und Prozessen, in der viele Geschäftsmodelle noch in der Zukunft liegen. Wie konkret sind bereits Anwendungen im Bereich IoT und dem »Industrial Internet of Things«?

Terwiesch: Wir sehen hier unterschiedliche Geschwindigkeiten – je nach Branche und Regionen in der Welt. Grob gezeichnet, kommen wir aus einer Zeit, in der man zwar schon automatisiert hat, jedoch noch relativ isoliert für eine einzelne Maschine, einen einzelnen Standort. Mittlerweile ist eine gewisse Vernetzung vorhanden. Wir sind nun in vielen Branchen dabei, kollaborativ mit unseren Kunden über Unternehmens- und Standortgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. In diesem Bereich bauen wir eine besondere Expertise auf, Dinge mit Dingen, Menschen mit Menschen und auch Menschen mit Dingen zu verbinden.

Unser »ABB Ability Collaborative Operations«-Ansatz ist ein gutes Beispiel hierfür. Aus mittlerweile 15 Operations Centers verbinden wir Menschen in Produktionsanlagen und Unternehmenszentralen mit unseren Automatisierungsexperten, rund um die Uhr und auf der ganzen Welt. Weiter fortgeschrieben, erwarten wir einen Trend hin zu einer größeren Autonomie von Systemen. Das heißt: Wir glauben zwar nicht an die Automatisierung völlig ohne Einbezug des Menschen, aber an umfassende Prozesse, die zumindest teilautonom ablaufen können.

Denken Sie an ein Anlegemanöver eines Schiffes oder an eine Maschine, die auch mit verschiedenen Situationen alleine fertig wird – und wo nicht immer ein Mensch für die Bedienung vor Ort sein muss. Der Weg ist klar vorgegeben: von isoliert, zu vernetzt, und nun zu kollaborativ.

Wenn wir nun diese Veränderung außerhalb der technologischen Dimension betrachten, dreht sich vieles auch um ein Experimentieren mit neuen Geschäftsmodellen. Vorteile, die in der Vergangenheit etwa nur durch Massenproduktion erzielbar waren, können künftig auch zu wettbewerbsfähigen Kosten in der Losgröße eins und sehr nahe beim Kunden produziert abgebildet werden – Stichwort Reshoring: Durch die Automatisierung werden industrielle Arbeitsplätze wieder nach Europa zurückgeholt.

Report: Was könnte sich bei den Geschäftsmodellen etwa in der Sachgüter-Produktion ändern?

Terwiesch: Nehmen wir die Schuhindustrie als Beispiel. Von den meisten Unternehmen wurde die Produktion irgendwann einmal in entfernte Länder mit entsprechend niedrigen Lohnkosten verlagert. Die Ware wurde dann in großer Zahl und in allen Formen und Farben in Container gepackt, war wochenlang nach Europa unterwegs, kam in Lagerhäuser und schließlich in die Geschäfte. Denken Sie nur an das massiv gebundene Kapital in diesem Zeitraum von der Entscheidung für eine Produktion bis zum Erwerb durch die Kunden. Denken Sie an die Mengen in der Restevernichtung am Ende einer Saison, wenn niemand diesen einen Schuh in Größe 44 und in grün nachgefragt hat.

Wenn Sie nun Ihr Produkt spezifisch für den unmittelbaren Bedarf produzieren können, mit der Auslieferung bereits am nächsten Tag – oder vielleicht einmal sogar am selben Tag – dann wird sich alles dazu ändern: Gestaltung, Arbeit, Produktionsstätten und Kapitalbindung. Ebenso wird sich die Produktion in anderen Bereichen der Industrie ändern.

Report: Wäre B&R vor 20 Jahren übernommen worden, hätte man die Auslagerung der Produktion nach Asien befürchten müssen. Ist diese Sorge durch die fortschreitende Automatisierung obsolet?

Terwiesch: Wenn Sie schauen, in welchen Ländern die Arbeitslosigkeit auffallend niedrig ist: das korreliert sehr mit einer hohen Dichte von Robotern pro Industriearbeiter. Japan mit über 630 Robotern pro 10.000 Beschäftigte oder Korea und Deutschland mit gut 300 pro10.000 sind Länder in dieser Liga. Die Gewerkschaften in diesen Ländern und auch die Mitarbeiter der Unternehmen sind überzeugt, dass die Produktivität und die Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze durch die Automatisierung unterstützt werden. Es ist nicht der Mensch in Konkurrenz zur Maschine, sondern die Automatisierung, die den Menschen verstärkt.

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