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Dilemmas managen

\"alt\"Investieren und zugleich die Liquidität sichern. Umstrukturieren und dabei das Alltagsgeschäft am Laufen halten. Den  Service verbessern und die Kosten im Griff behalten. Ständig befinden sich Unternehmen in solchen Zielkonflikten. Das Führungspersonal muss lernen, derartige Dilemmas zu managen. 

Von Hans-Werner Bormann

Mal heißt es so,  dann wieder anders« – diese Klage ist oft von Mitarbeitern zu hören. Sie wissen nicht, woran sie sind, und kritisieren, dass ihre Führungskräfte »keinen Plan« haben und sie mit stets wechselnden Vorgaben ganz »kirre« machen. Diese Klagen haben oft einen realen Hintergrund: Bei schwachen und noch recht unerfahrenen Führungskräften registriert man oft, dass sie recht planlos agieren und ihre Mitarbeiter mit permanent wechselnden und sich teils widersprechenden Anweisungen »führen« – oder genauer gesagt »irritieren«. Meist liegt solchen Klagen von Mitarbeitern jedoch ein Problem zugrunde, mit dem Führungskräfte aller Führungsebenen regelmäßig kämpfen: Sie stehen beim Führen des ihnen anvertrauten Unternehmens oder Bereichs vor der Herausforderung, nicht nur ein Ziel, sondern ein ganzes Bündel von sich zum Teil widersprechenden Zielen erreichen zu müssen. Und weil die Rahmenbedingungen sich permanent ändern, müssen sie, um den angestrebten Erfolg zu sichern, bei der Alltagsarbeit immer wieder die Prioritäten verschieben. Das erzeugt bei den Mitarbeitern zuweilen das Gefühl »Unser Chefs wissen selbst nicht, was sie wollen« – zumindest dann, wenn ihnen ihre Vorgesetzten den scheinbaren »Kurswechsel« nicht ausreichend erklären.

>> Dilemmas sind nicht lösbar <<

Die Sozialwissenschaft spricht von einem Dilemma, wenn eine Person zeitgleich mehrere, sich teils widersprechende Ziele erreichen möchte oder muss. Ein typisches Dilemma ist die vieldiskutierte »Vereinbarkeit von Familie und Beruf«. Für dieses Dilemma gilt wie für alle Dilemmas: Es lässt sich, zumindest wenn man Beruf mit »Karrieremachen« gleichsetzt, für die meisten Berufstätigen nur bedingt lösen – ganz gleich, welch tolle Unterstützung ihnen ihr Arbeitsgeber oder der Staat gewährt. Denn wer viel Geld verdienen will, muss in der Regel auch viel schuften – also bleibt wenig Zeit für Familie und Freunde.

Vor solchen Dilemmas stehen auch Unternehmen immer wieder. Sie müssen, um zukunftsfit zu bleiben, in neue Produkte oder Prozesse investieren, gleichzeitig dürfen aber auch Liquidität und Ertrag nicht gefährdet werden. Fast schon ein Dauerkonflikt besteht in vielen Unternehmen zwischen dem Vertrieb und der Produktion. Aus folgendem Grund: Die weitgehend erfolgsabhängig bezahlten Verkäufer wollen möglichst viel verkaufen. Also versprechen sie potenziellen Kunden, überspitzt formuliert, das Blaue vom Himmel. Jeder Sonderwunsch wird selbstverständlich erfüllt, und keine Spezialanfertigung ist unmöglich. Dies stellt den Produktionsbereich vor folgendes Problem: Seine Zielvorgabe von ganz oben lautet, möglichst viel und kostengünstig zu produzieren. Und daran wird von der Unternehmensleitung auch sein Erfolg gemessen. Muss die Produktion jedoch zahlreiche Spezialanfertigungen produzieren, dann sinkt der Output und die Produktionskosten schnellen nach oben. Vor einem ähnlichen Problem stehen derzeit auch die Banken. Eine Aufgabe ihrer Verkäufer lautet, möglichst viele Kredite zu verkaufen – also versuchen sie dies, auch auf die Gefahr hin, dass einige Kreditnehmer das Geld eventuell nicht zurückzahlen können. Zugleich haben jedoch die bankinternen Kreditabwicklungs- beziehungsweise Controllingabteilungen die Vorgabe, dass die Zahl der Kreditausfälle gegen Null tendieren soll. Entsprechend kritisch prüfen sie jede Kreditanfrage und lehnen so manche von den Verkäufern mühsam akquirierte Anfrage ab. Auch dies führt zu »Dauerzoff« in vielen Banken – auch weil hierunter die Provision der Verkäufer leidet.

>> Dilemmas managen und bearbeiten <<

Eines der Kennzeichen dieser Dilemmas ist: Sie lassen sich nicht lösen.  Denn selbstverständlich muss ein Unternehmen Vorsorge betreiben, damit es auch in fünf oder zehn Jahren noch erfolgreich ist – also investieren und sich »modernisieren«. Dabei muss es jedoch darauf achten, dass es sein Tagesgeschäft noch erfüllen kann und liquide bleibt. Sonst ist es in absehbarer Zeit pleite. Und selbstverständlich muss ein Unternehmen, das in scharfem Wettbewerb steht, auch auf individuelle Kundenwünsche eingehen. Dabei muss es aber darauf achten, dass hierunter nicht seine Produktivität und sein Ertrag leiden. Also kann das Dilemma beziehungsweise der Zielkonflikt nicht ein für alle Mal gelöst, sondern nur gemanagt werden. Dabei lassen sich fünf Schritte unterscheiden (siehe Kasten). Zuerst einmal muss das Dilemma erkannt werden. Dann darf das erkannte Dilemma nicht heruntergespielt oder negiert werden. Im Anschluss daran muss das Dilemma analysiert und besprechbar gemacht werden. Es müssen Regeln für den Umgang mit dem Dilemma erstellt werden, allerdings sollten alle Beteiligten übereinkommen, sich nicht sklavisch an diese Regeln zu halten.

Auf besondere Herausforderungen und veränderte Rahmenbedingungen flexibel zu reagieren, das gelingt Unternehmen nur, wenn in der Organisation und insbesondere im Führungskreis ein gemeinsames Bewusstsein darüber besteht, in welchen Dilemmas sich das Unternehmen eigentlich stets befindet und  dass diese Zielkonflikte nicht gelöst, sondern nur aktiv gemanagt werden können.

Dieses Bewusstsein müssen Unternehmen ihren Mitarbeitern und insbesondere ihren Führungskräften vermitteln. Zwar galt diese Aussage auch schon in der Vergangenheit, sie gewinnt aber zunehmend an Bedeutung. Aus folgendem Grund: In der Vergangenheit konnten Unternehmen sowie ihre Führungskräfte die beschriebenen Zielkonflikte zwar auch nicht lösen, sie konnten die einzelnen Ziele aber – vereinfacht formuliert – sozusagen nacheinander bearbeiten. Das heißt, ein Unternehmen konnte beschließen: »Dieses Jahr kümmern wir uns vorrangig darum, unseren Umsatz zu steigern und nächstes Jahr um die Rendite. Und in zwei Jahren restrukturieren wir dann unsere Organisation, und danach legen wir den Fokus auf die Produktentwicklung.« Heute ist eine solche Langfristplanung auf der Unternehmens- oder Bereichsebene und ein solch lineares »Bearbeiten« der Ziele nur noch bedingt möglich, da sich das Unternehmensumfeld viel schneller ändert. Deshalb müssen die sich teils widersprechenden Ziele heute in der Regel stets parallel gemanagt und permanent neu ausbalanciert werden. Dadurch gleichen die (oberen) Führungskräfte in Unternehmen zunehmend Artisten, die zeitgleich mit einer Vielzahl von Bällen jonglieren. Oder anders formuliert: Das Managen der Dilemmas ist heute eine Kernaufgabe von Führung. Und hierfür gilt es nicht nur die Nachwuchskräfte zu qualifizieren.

 

>> Dilemmas managen in 5 Schritten:

1. Das Dilemma erkennen. Bereits dies fällt den Beteiligten in den Unternehmen oft schwer. Den Top-Entscheidern häufig, weil sie zu wenig ins Alltagsgeschäft des Unternehmens involviert sind und nicht adäquat einschätzen können, was gewisse Entscheidungen für die Organisation bedeuten. Die Führungskräfte auf der Bereichs- und Abteilungsebene haben das Problem, dass sie bei ihrer Arbeit nur ihren eigenen Aufgabenbereich vor Augen haben und ihnen nicht ausreichend bewusst ist, was zudem nötig ist, damit das Gesamtunternehmen auf Dauer mit Erfolg arbeitet.
2. Das erkannte Problem nicht negieren. Pragmatische Macher neigen oft dazu, Dilemmas zu negieren. Hinweise von Kollegen oder Untergebenen wie »Hier haben wir einen Zielkonflikt« oder »Wir könnten ein Problem bekommen, wenn …« werden als »Geschwätz« abgetan oder als Ausdruck mangelnder Entschluss- und Tatkraft interpretiert. Entsprechend aktionistisch ist oft ihr Handeln, das kurzfristig sogar meist Früchte trägt, etwa indem der Umsatz steigt. Langfristig rächt es sich aber fast immer, dass über einen längeren Zeitraum die »konkurrierenden« Ziele vernachlässigt wurden. Zum Beispiel in der Form, dass die Produkte/Leistungen des Unternehmens nicht mehr marktfähig sind, Kundengruppen wegbrechen oder Leistungsträger abwandern.
3. Das Dilemma analysieren und besprechbar machen. Die meisten Ziele von Unternehmen hängen direkt oder indirekt miteinander zusammen und beeinflussen sich wechselseitig – weshalb ja die Dilemmas entstehen. Entsprechend wichtig ist es, für das Managen von Dilemmas zu analysieren: Welche Ziele haben das Unternehmen und seine Bereiche? Wie hängen diese zusammen? Und: Welchen Einfluss haben sie auf den kurz, mittel- und langfristigen Erfolg des Unternehmens? Hilfreich kann hierbei das Erstellen einer Strategielandkarte sein, in der die verschiedenen Ziele aufgelistet sind und ihre wechselseitige Beziehung abgebildet wird.
4. Das Dilemma besprechen und Regeln für den Umgang mit ihm vereinbaren. Führungskräfte müssen Initiative zeigen und nachdrücklich auf den erkannten Zielkonflikt hinweisen und sich mit der Belegschaft auf eine gemeinsame Strategie verständigen. Dies ist gerade deshalb wichtig, weil die meisten Zielkonflikte in Unternehmen dem betrieblichen Handeln inhärent sind. Deshalb werden sie oft als »normal« und »nicht managbar« erachtet und so lange auf die lange Bank geschoben, bis bildlich gesprochen die Hütte brennt und nur noch ein Krisenmanagement möglich ist.
5.  Sich an die vereinbarten Regeln nicht sklavisch halten. Unternehmen bewegen sich in einem dynamischen Umfeld. Das heißt, die Rahmenbedingungen ändern sich permanent. Die aufgestellten Regeln zum Managen der Dilemmas müssen deshalb ständig geprüft und hinterfragt werden. In Ausnahmefällen müssen diese Regeln auch außer Kraft gesetzt werden dürfen. Etwa, wenn ein unvorhergesehenes Ereignis wie die Finanzkrise die Liquidität des Unternehmens bedroht. Dann müssen kurzfristig alle Vereinbarungen und Langfristziele zur Seite geschoben werden, weil das übergeordnete Ziel »Existenzsicherung des Unternehmens« eine andere Prioritätensetzung erfordert.

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