Glaskugel-Wissenschaft
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Ein Kommentar von Heinz Van Saanen.
VWL und BWL sind nicht nur rationale Wissenschaften, sondern auch ein Glaubensmantra. Manche »Wahrheiten« basieren auf schlichten Rechenfehlern. Wer Naturgesetze ignoriert, ist verrückt – oder ein Ökonom.
Jetzt ist es quasi amtlich: Was Rating-Agenturen zum Besten geben, sei ein Akt »freier Meinungsäußerung«, befand ein US-Gericht. Moody‘s & Co sind damit aus dem Schneider. Aber was sind Prognosen und Einschätzungen schon wert, die so belastbar sind wie das Horoskop einer Astro-Tante? Auch das Image der Wirtschaftswissenschaftler war schon besser. Die von ihnen ausgetüftelten Modelle waren in der Krise oder bei deren Vermeidung – gelinde gesagt – wenig hilfreich. Aber was läuft schief, wenn die Modelle versagen, und was ist die Wissenschaft dann überhaupt noch wert? Harsche Kritik kommt aus dem eigenen Lager. »Jeder, der glaubt, dass in einer endlichen Welt exponentielles Wachstum unendlich lang andauern kann, ist entweder verrückt oder ein Ökonom«, ätzte etwa Harvard-Professor Kenneth Bouldig über das Glaubensmantra der Kollegen.
Für den deutschen Wirtschaftsmathematiker Jürgen Kremer befindet sich die Volkswirtschaft in einem »katastrophalen intellektuellen Zustand« und sei mehr ein instrumentalisiertes Steuerungsinstrument als Wissenschaft. Als »Kronzeugen« führt Kremer etwa den Wirtschaftsnobelpreisträger Georg Stigler an, der bereits vor mehr als 50 Jahren auf einen kleinen, aber peinlichen mathematischen Fehler in der Unternehmenstheorie hingewiesen hatte. Kein Hexenwerk, sondern nur falsche Anwendung von Schulmathematik. Ein folgenschwerer »Vorzeichenfehler«, der erstaunlicherweise jedoch nie korrigiert wurde. Den Grund dafür glaubt der australische Wirtschaftsprofessor Steve Keen zu kennen: Die Korrektur des Fehlers würde eine Abkehr von der Globalisierungsdoktrin der freien Märkte bedeuten, die herrschende Theorie in ihr genaues Gegenteil verkehren. Aber was bleibt Normalverbrauchern oder Politikern, die sich von der Wissenschaft möglichst klare oder sinnvolle Handlungsanweisungen erhoffen? Scheinbar nur das eigene Urteilsvermögen – oder die Glaskugel.