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Hasta la Vista, baby!

Von Rainer Sigl

Es ist kein Geheimnis: Die marktbeherrschende Stellung von Windows resultiert aus der Tatsache, dass das jeweils aktuelle Windows-Betriebssystem seit Jahren fix und fertig installiert mit Millionen PCs an den mehr oder weniger kundigen Kunden abgegeben wird. So auch beim Start vom Vista zu Beginn des Jahres: Weh dem, der nach Jahreswechsel einen PC oder Laptop kaufen, aber auf das inzwischen stabile und bewährte Windows XP setzen wollte. Windows Vista kam, sah - und machte per Zwangsbeglückung etwa Mittelklasse-Laptops, die mit XP noch kraftstrotzende Rennmaschinen gewesen wären, zu langsamem Alteisen, nicht zuletzt wegen des überaus umfassenden und nutzerunfreundlichen DRM-Systems. Der Hardwarehunger von Vista, das in der Entwicklung geschätzte 10 Milliarden Dollar gekostet hat, bremst ohne merkbare Leistungszuwächse bisher akzeptable Hardware bis an den Rand des Stillstands aus - gut für die Hardware-Industrie, schlecht für Kunden und den Planeten. Spätere Archäologen, so ätzten etwa die britischen Grünen, würden bei der Durchforstung des Mülls unserer Zeit eine Vista-Upgrade-Schicht an massenweise weggeworfenem Computermüll identifizieren können.

Zudem macht auch die Kompatibilität Probleme: Zahlreiche Programme verweigern unter Vista bislang den Dienst - dass Patches diese Probleme in absehbarer Zeit beheben sollen, tröstete jene nur wenig, die zum Beispiel Adobes Indesign CS2 doch schon eher sofort zum Arbeiten benötigt hätten. Auch die Gruppe der Highend-Spieler, denen mit Vista exklusiv die neue Version der Programmierschnittstelle DirectX10 zur Verfügung stehen sollte, sah bisher die von Microsoft zuvor geschürten Hoffnungen nicht bestätigt: Erst im Juli stehen die ersten, wenig spektakulären DirectX10-only-Titel in den Läden - und fast zeitgleich melden verschiedene unabhängige Programmierer erste Erfolge bei der Anpassung von DirectX10 auch für XP-Rechner.

Kurzum: Trotz weltweiter Werbekampagne und gewaltigem Entwicklungsaufwand scheint Vista nach langen Geburtswehen einen veritablen Fehlstart hingelegt zu haben. Was Microsoft jedoch weit mehr schmerzen wird als die teils vernichtende Kritik ist die Neuheit, dass es für User zunehmend Alternativen zu Windows gibt. Nicht nur der von iPod und Lifestyle-Bonus profitierende Langzeitkonkurrent und historisch eigentliche Innovator Apple konnte dank Intel-Prozessoren und deutlich gesenkten Preisen zunehmend neue User von sich überzeugen, auch die bunte Linux-Welt rückt näher an Otto Normal-User heran. Dass etwa Dell, einer der weltweit führenden Laptop-Hersteller, vor kurzem wohl auch wegen der Startschwierigkeiten von Vista erstmals ein Notebook mit vorinstalliertem Ubuntu-Linux unters Volk brachte, dürfte Microsoft wenig gefallen haben. Wenn nämlich die Heimanwender, die wegen technischer Unkenntnis und mangels Alternativangeboten bisher nolens, volens mit jedem Rechnerkauf automatisch zu Microsoftkunden gemacht wurden, erst vermehrt mit dem anarchistisch-kommunistischen Gratiskonzept des Gottseibeiuns Open-Source in Berührung gerieten, könnte Microsoft empfindlicher Kundenschwund ins Haus stehen. Ein erst kürzlich in Redmond identifiziertes Sorgenkind könnte noch massiver an Microsofts Marktbeherrschung rütteln: Das jahrelang von MIT-Gründer und Wired-Herausgeber Nicholas Negroponte geplante \"One Laptop per Child\"-Projekt, das das Ziel hat, große Teile der bisher technolgiefernen Dritten Welt mit billigen, eigens konstruierten Laptops um etwa 100 Dollar zu versorgen, geht gerade über die Ziellinie: Die ersten Laptops werden in armen Ländern Afrikas, Asiens und Südamerikas verteilt, komplett mit einem eigens für die Low-End-Rechner optimierten Linux-System. Kein Wunder, dass Microsoft angesichts der Vorstellung, Millionen neue Computerbenutzer könnten von Anfang an ganz ohne Windows in die digitale Zukunft suchen, erste Panikreaktionen zeigt: Hastig wurde mit Sponsorgeldern im letzten Moment zumindest der Einbau eines SD-Slots sichergestellt, der in Zukunft eine eigens noch zu entwickelnde Version von Windows auch auf dem künftig weltweit am meisten verbreiteten Rechner zum Laufen bringen soll - immerhin wird die Nutzerbasis den Prognosen zufolge möglicherweise die 2-Milliarden-Grenze überschreiten.Die Zukunft, so beginnt man zu ahnen, liegt wohl nicht bei Dinosauriern wie Vista - oder Microsoft insgesamt. Denn die Gefahr aus dem Web ist das wohl größte Sorgenkind: Google, das seit längerem schon Online-Alternativen zur auch immer behäbiger werdenden Office-Suite anbietet, arbeitet möglicherweise schon an einem Online-Betriebssystem - und bis dahin zeigen Vorreiter wie \"Desktop two“, wie die schlanke, quasi virtuelle Alternative zum Betriebssystem auf Installationsbasis einmal aussehen könnte.

Links
OLPC-Projekt
Google Text und Tabellen
Desktop Two

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