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Wankende Weltmacht

\"WirkenDie Vereinigten Staaten sind zwar lange nicht k.o., wirken aber schon etwas groggy.

Taugen die USA überhaupt noch als wirtschaftliches und kulturelles Role Model? Oder machen die Staaten gar das, was sie am besten können: sich wieder einmal neu erfinden.

Als US-Politologe Francis Fukuyama 1992 das »Ende der Geschichte« verkündete, waren Jubel und Beifall groß. Vor allem Necons und die »Chicago Boys« um Milton Friedman ritten das Pferd – bis zur Erschöpfung. Die Vereinnahmung ging so weit, dass Fukuyama 2006 nachlegte und die aggressive Kriegspolitik von George Bush – in den Staaten ungeheuerlich – gar als »leninistisch«geißelte. Gleichzeitig ging der Politologe mit dem »Manifest Destiny«, einem der Gründungsmythen, ins Gericht und forderte eine Abkehr vom Glauben, dass die USA und nur die USA auserwählt seien, die Welt auf den richtigen Weg zu bringen. Fukuyama dürfte realisiert haben, dass die Welt – ho ho – vielleicht gar nicht so scharf darauf ist, dass der Coca-Cola-Weihnachtsmann noch im letzten Bantudorf die Rentiere sattelt. Und so die Segnungen des American Way of Life nicht durch die Hintertüre, sondern quasi durch den Kamin in die Köpfe der Menschen einschleust. Barack Obama hat, anders als sein Vorgänger, Fukuyamas fundamentale Kritik wahrscheinlich gelesen, verinnerlicht hat er sie offensichtlich noch nicht. Erst in einer seiner jüngsten Reden verkündigte er wie ein illuminierter Baptistenprediger, dass die »USA das Licht der Welt« seien.

Nachzulesen war das erstaunliche Diktum kaum. Fast schamhaft und kollektiv schwiegen sich die Medien darüber aus, dass sich die Vereinigten Staaten schon wieder, oder noch immer, zum globalen Leuchtturm erklären. Dabei dürfte das fast schon zwanghafte Selbstverständnis als Welterlöser schon Sigmund Freud gehörig auf den Nerv gegangen sein. Auf die Journalistenfrage, warum er die USA so hasse, sagte er nur trocken: »Ich hasse das Land nicht. Ich halte es nur für einen Geburtsfehler.« Vielleicht dürfte dem Psychoanalytiker auch das gar in den Verfassungsrang erhobene Konzept der garantierten Happiness durch den Kopf gegangen sein. »Happy“ zu sein hat mit menschlichem Glück freilich ungefähr so viel gemein wie die unablässig quäkende und grimassenschneidende Hollywood-Nervensäge Jim Carrey mit Humor. Auch die Antithese zur Happiness nach US-Fasson, oder besser gesagt deren Abwesenheit, wurde schon kommentiert. Der Zwischenkriegsemigrant L.L. Matthias konstatierte etwa, dass es schlimm sei, in den USA zu leben – aber noch schlimmer, dort zu sterben. Der Soziologieprofessor begründete das mit dem völligen Unverständnis für den Sinn von Tragik und der damit fast lückenlos einhergehenden Absenz von tragischen US-Schriftstellern in der Literatur.

Lernen von den USA

Aber wenn die Happiness flach ist und der Sinn für Tragik fehlt, was ist den Amerikanern wichtig? Am besten auf den Punkt brachte es vielleicht ein Union-Oil-Manager, der im Dezember 1963 im US-Industrieverband Tacheles redete: »Profite sollten den Rang von so geheiligten Begriffen haben wie Heim oder Mutter.« Ein göttliches Credo, mit dem die Welt überzogen wird. Aber eines muss man den USA lassen: Das Land ist nicht nur abstoßend, sondern genauso vielschichtig und faszinierend. Obama mag nicht der Messias sein. Aber wer hätte vor ein paar Jahren noch darauf gewettet, dass der nächste Präsident ein Farbiger sein wird? Wirtschaftlich gesehen ist auch das in Verfassung und Vorsehung verordnete Streben nach Happiness – ergo Reichtum – ein gewaltiger Faktor. Das Zocker-Hauptquartier Las Vegas etwa lebt gut davon.

Pünktlich zum Monatsanfang werden von den Casinos hunderte Gratisbusse gechartert, die abertausende bitterarme Kalifornier nicht nur zum Nulltarif ankarren, sondern auch noch zum Nulltarif mit Hamburgern verköstigen. Der Trip ist beliebt, denn er kostet »nur« den Sozialscheck, den man gerade erhalten hat. Aber in Vegas winkt der American Dream, der zumindest einige wenige reich machen kann, auch wenn der ganze Rest finanziell geschoren wird wie ein Schaf. »Gebildete« Europäer mögen über diese »dumben« Amis die Nase rümpfen, aber genau dort liegt auch ihre Stärke. Anschubfinanzierung? Das ist für europäische Unternehmer oder gar Jungunternehmer ein Spießrutenlauf zwischen risikoscheuen Banken und Institutionen, der kaum erfolgreich zu bewältigen ist. Wer nicht ohnehin schon reich ist, scheitert mit hoher Wahrscheinlichkeit. Oder gar Start-ups im IT- oder Biotech-Bereich? In Österreich wären etwa hypothetische HP, Google- oder Facebook-Gründer zwar mit hoher Sicherheit noch krankenversichert. Das ist unzweifelhaft ein hoher Wert, den es zu bewahren gilt. Aber mit noch höherer Sicherheit wären Bill Hewlett, Larry Page oder Mark Zuckerberg mangels Risikokapital vor dem heimischen Konkursrichter gelandet. Und zwar noch lange bevor ihre Ideen überhaupt die Chance hatten, sich zu weltumspannenden Unternehmen zu entwickeln. Ähnlich läuft es im Bereich Forschung. Bis in die frühen 1940er-Jahre war es in den USA etwa kaum möglich, Chemie zu studieren, ohne Deutsch zu können. Es existierte schlichtweg kaum eine andere wissenschaftliche Literatur. Nach dem Krieg etablierten sich regelrechte Anwerbeagenturen, deren einzige Aufgabe es war, europäische Forscher en gros in die USA zu importieren.

Zwischen Faszination und Stagnation

Die seit damals hunderttausenden in die USA emigrierten Forscher als »Beutewissenschaftler« abzutun greift freilich zu kurz. Auf breiter Front liegt das amerikanische Bildungssystem unzweifelhaft am Boden. Die wenigen privaten Spitzeninstitute bieten für Europäer freilich paradiesische Zustände. Es winkt nicht nur gute Entlohnung, sondern auch eine ordentliche Dotierung von Forschungsprojekten und flache Hierarchien. Und vor allem Letztere versprechen hungrigen und qualifizierten Forscher einen Aufstieg zu Lebzeiten und nicht erst zehn Jahre nach ihrem Tod. Kein Wunder, dass sich auch unter Österreichs Managern USA-Fans finden. »Ich liebe das Land«, sagt etwa Gebrüder-Weiss-Chef Wolfgang Niessner. Die überbordenden US-Schulden sieht er pragmatisch, das Land eher als Zugpferd: »Die Staaten haben eine Party gefeiert, aber alle haben davon profitiert.« Eine Party feiern könnten laut Hans Kordik auch die österreichischen Öko-Exporteure. »Direkt oder indirekt hängen in Österreich rund 16.000 Arbeitsplätze im Umwelttechnikbereich vom Export in die USA ab«, so der Umweltbotschaftsrat in Washington. Und ortet derzeit ein einzigartiges »Window of Opportunity« für Investitionen.

Wie lange dieses Fenster offen bleibt, ist fraglich. Obama zwackte beim letzten Mega-Investitionspaket rund 280 Milliarden Dollar für Investitionen in Energieunabhängigkeit und grüne Technologien ab. Die Republikaner torpedieren das, vor allem nach den jüngsten Sparpaket-Ankündigungen, nach Kräften. Ganz falsch ist das nicht. Jung, dynamisch und reich sind Attribute, die den USA noch gestern zugeschrieben wurden. Heute heißt es sparen (siehe Kasten). Aber wo bloß sparen, wenn die Infrastruktur schon am Boden liegt? Im Mittelwesten bauen Bundesstaaten ihre Asphaltstraßen schon auf Schotter zurück. Das kostet im Erhalt weniger. Kalifornien entlässt nicht nur Lehrer, sondern auch Gefängnisinsassen. Was scheinbar immer noch gut funktioniert, ist die Abschottung der amerikanischen Inlandsmärkte (siehe Kasten). Die Washingtoner Institutionen IWF und Weltbank kastrieren finanziell ganz gerne Staaten, die sich einer Marktöffnung verweigern. Bei den USA, das Kapitol ist schließlich gleich ums Eck, dürfte diesbezüglich da oder dort schon ein Auge zugedrückt werden.

 

>> Hartes Pflaster für Ausländer:

Die USA sind nach Eigendefinition – und flankiert von IWF und Weltbank – wehrhafte Krieger für den freien Handel. Geht es um Eigeninteressen, beißen ausländische Konkurrenten oft genug auf Granit. Eine kurze Auswahl:

> Schifffahrt. Ein Dubai-Konsortium wollte als Betreiber 2006 eine Reihe von Häfen wie New York oder Baltimore für 6,8 Milliarden Dollar kaufen. Pech gehabt. US-Bürger, Senatoren und Medien stemmten sich dagegen wie ein Mann.

> Mobilfunk. Wesentliche Technik und Standards kamen eigentlich aus Europa. Nach dem jüngsten »Microkia-Deal« zwischen Microsoft und Nokia bleibt davon faktisch nichts mehr über. Teures Lehrgeld hat davor auch schon T-Mobile bezahlt.

> Automotive. Die US-Autoindustrie rekrutiert sich nicht erst – aber spätestens – seit der Finanzkrise aus staatlich geretteten Industrie-Zombies. Selbst ein technisch wie finanziell höchst potenter Weltkonzern wie Daimler hat sich an seinem Ami-Engagement beinahe verschluckt.

>IT. Ein Leuchtturm der weitgehend de- industrialisierten USA. Aber selbst für Software-Riesen wie SAP ein Minenfeld, kleinere Teilnehmer werden ohnehin geschluckt oder absorbiert. Mit Genialität hat das nicht immer zu tun. Nachdem das Hardwarebizz der IBM von der chinesischen Lenovo übernommen wurde, brachten die Chinesen kein Bein mehr in staatliche US-Aufträge.

 

>> Ein Land, zwei Meinungen: Lesen Sie die Kommentare von Autor Heinz Van Saanen und Herausgeber Alfons Flatscher zum Thema.

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