Menu
A+ A A-

Narr oder Ökonom

\"Wer an die Möglichkeit eines ständigen Wirtschaftswachstums glaubt, ist entweder ein Narr oder ein Ökonom\". Alternativ-Nobelpreisträger Manfred Max-Neef warnt eindringlich davor dem Wirtschaftswachstum alles zu opfern.

\"Wir haben keine Wirtschaftskrise. Wir haben eine Krise der Menschheit\", ist der Träger des alternativen Nobelpreises Manfred Max-Neef überzeugt. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ist die Welt mit einer Vielzahl an Krisen konfrontiert, die alle gleichzeitig ihren Höhepunkt erreichen. Maßgeblichen Anteil daran hat das herrschende Wirtschaftssystem. \"Wer an die Möglichkeit eines ständigen Wirtschaftswachstums glaubt, ist entweder ein Narr oder ein Ökonom\", stellte Max-Neef bei seinem Referat, das er auf Einladung der Fachgruppe Unternehmensberatung und Informationstechnologie der Wirtschaftskammer Wien (UBIT) Ende November anlässlich einer Fachtagung hielt, fest. UBIT-Fachgruppenobmann Friedrich Kofler bei seinem Einleitungsstatement: \"Auch wenn in der realen Wirtschaft wieder zaghaftes Wachstum einsetzt muss uns klar sein: Die Wirtschaftskrise ist längst noch nicht ausgestanden. Wir müssen uns aber schon heute überlegen wie wir nach der Krise zu einem nachhaltigeren Wirtschaften kommen.\"

Wo ist das Geld hergekommen? Wo war es?
Im Oktober hat die Welternährungsorganisation (Food and Agriculture Organization - FAO) der Vereinten Nationen bekanntgegeben, dass weltweit mehr als 1.000 Millionen Menschen an Hunger leiden und dass 30.000 Millionen Dollar jährlich ausreichen würden, den Hunger in der Welt zu besiegen. Zu selben Zeitpunkt hatten bereits in einer konzertierten Aktion die Zentralbanken der wichtigsten Industrienationen (USA, der EU, Japan, Canada, Großbritannien und die Schweiz) über 180.000 Millionen in die Finanzmärkte gepumpt, um die Banken zu retten. Bis September 2009 erreichte die Summe der von den Regierungen beschlossenen Rettungspakete eine geschätzte Summe von 17 Trillionen. \"Das sind 17 Millionen Millionen Dollar. Wenn es um die Bekämpfung der Armut geht, heiße es immer es gebe nicht genug Kapital. Da ist nie genug da für die, die nichts haben, aber immer genug da für die, die alles haben. Woher ist das Geld gekommen?\". Mit den 17 Trillionen Dollar, so Max-Neef könnte man den Hunger für 566 Jahre auf der Welt verbannen. \"Wäre eine Welt ohne Armut nicht auch besser für die Banken?\"

Armut und Zerstörung steigen
\"Das System, was wir jetzt haben auf der Welt, das neoliberale Modell, ist im finanziellen Sinn vollkommen verrückt\", betont der deutschstämmige chilenische Ökonom. \"Es ist außer Kontrolle geraten. Kein Mensch kontrolliert es.\" Alles werde dem Wachstum geopfert. \"Das BIP-Wachstum steht im Zentrum. Wir glauben noch immer, mit Wachstum können wir alle Probleme lösen. Das ist schlichtweg falsch. In den letzten drei Jahrzehnten hat es nie so viel Wachstum auf der Welt gegeben. Gleichzeitig aber sind die Armut und die Zerstörung der Umwelt gestiegen. Die ganze Spekulationsblase ist 50 Mal größer als die reale Wirtschaft\". Alles werde mit Wachstum gelöst. \"Wir haben Arbeitslose, also brauchen wir mehr Wachstum. Es gibt Armut, also brauchen wir mehr Wachstum. Ohne mehr Wachstum geht es nicht.\"

Max-Neef verlangt ein komplettes Umdenken. \"Wir leben im 21. Jahrhundert mit einer Ökonomie des 19. Jahrhunderts. In anderen Bereichen der Wissenschaft ist es weitergegangen. Die Ökonomie ist stehengeblieben. Wir entdecken nun wieder Keynes. Das ist doch mehr als verrückt.\"

Kipp-Punkt in Österreich bereits 1983 erreicht
\"Die Wirtschaft hat dem Menschen zu dienen - und nicht die Menschen der Wirtschaft. Die Entwicklung hat mit Menschen zu tun, nicht mit Dingen. Wachstum ist nicht gleich Entwicklung. Entwicklung braucht aber nicht unbedingt Wachstum. Ökonomie ist ohne Ökosystem unmöglich. Ökonomie ist ein Subsystem eines größeren geschlossenen, nicht erweiterbaren Systems, der Biosphäre, daher ist permanentes Wachstum nicht möglich.“ An die Stelle des Wachstumsfetischismus muss die Praxis des \"Human Scale Development\" die \"Entwicklung nach menschlichem Maß\" treten. Denn Wachstum bedeutet nicht mehr Lebensqualität. Am Anfang entwickeln sich Wachstum und Lebensqualität parallel. Ab einem gewissen Punkt - Max-Neff bezeichnet ihn als Kipp-Punkt - nimmt die Lebensqualität der Menschen ab oder stagniert, obwohl die Wirtschaft weiter wächst. \"In Österreich wurde dieser Punkt 1983 erreicht. Das Wachstum geht zwar weiter, die Lebensqualität hat aber nicht mehr zugenommen\".

\"Man kann nichts für die Armen machen – man muss es mit den Armen machen“. Der deutschstämmige Chilene Manfred Max-Neef hat seine Vorstellungen einer auf die Armen der Welt abgestimmte Wirtschaftstheorie unter dem Schlagwort \"Barfuß-Ökonomie\" entwickelt. \"Plötzlich steht man im Schlamm, vor sich eine andere Person, die heißt José Lopez, mager, hungrig, hat keine Arbeit, fünf Kinder, eine Frau, eine kranke Großmutter. Was sagst du dieser Person dann? \"Lopez, du muss fröhlich sein, weil das Bruttosozialprodukt sechs Prozent höher ist?\" Das ist idiotisch, nicht wahr? Also was sage ich diesem Mann? Da wurde mir ganz klar, dass alles was ich gelernt hatte, in so einer Umgebung überhaupt nichts taugt. Da musste ich eine neue, ökonomische Sprache erfinden. Die ganze formale Ökonomie, die man an der Universität lernt – das sind alles Theorien, die mit der Wirklichkeit sehr wenig zu tun haben.\"



Zur Person
Manfred A. Max-Neef ist chilenischer Ökonom deutscher Herkunft, studierte an der Universidadde Chile; er erwarb Abschlüsse als Wirtschaftsingenieur, einen Magister in Entwicklungsökonomie und absolvierte das Staatsexamen in Wirtschaftswissenschaften. Anschließend arbeitete er für den Ölkonzern Shell. 1957 wandte er sich von der Industrie ab und den Problemen der Armen in der Dritten Welt zu. Er arbeitete für UN-Organisationen und an verschiedenen Universitäten in den USA und Lateinamerika.

back to top