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Staaten auf Sinnsuche

Wirtschaft und Politik können auch lustig sein. Die Verwerfungen der Finanzmärkte setzen sich aber auch in den Ganglien honoriger Spitzenpolitiker nieder. So schlug Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel laut dem Leitmedium FAZ vor, das Staats-TV ARD möge eine Art finanztechnische »Sendung mit der Maus« gestalten, um den Bürgern die Abgründe der außer Rand und Band geratenen Kapitalmärkte näherzubringen. Der Sprung auf Satire- und Comedy-Webseiten war ihr damit sicher. Was die auf kindliche Art belehrten Bürger und Unternehmen dann allerdings tun sollen, um die Auswüchse der Finanzmärk­te einzubremsen, ließ die Kanzlerin freilich offen. Nicht nur Zyniker könnten auf die Idee kommen, dass Merkel selber nicht so recht weiß, was zu tun ist. Aber da Merkel eine hochintelligente Frau ist, ist eher wahrscheinlich, dass sie nicht weiß, wie die Notwendigkeiten politisch auch umsetzbar sind. Eine effektive, internationale Kontrolle und Regulierung der Märkte ist bis auf Lippenbekenntnisse selbst nach der aktuellen Krise nicht absehbar. Das scheitert schon am Primus USA, die sich zwar als Bannerträger des Neoliberalismus gebärden, gleichzeitig aber eine kapitalistische Bigotterie der Sonderklasse pflegen. Mit dem Schlachtruf »globale freie Märkte« auf den Lippen boxen die Staaten chinesische oder arabische Investoren aus dem Land, zementieren mit Regional-Codes die Vormachtstellung der US-Medienkonzerne, schotten die eigene Agrarwirtschaft gegen internationalen Wettbewerb ab oder subventionieren diese wie ihre Genmaisfarmer auf Teufel komm raus. Selbst die Quote an Beamten ist höher als im diesbezüglich viel gescholtenen österreich. Gleichzeitig treibt die Entstaatlichung seltsame Blüten. Bei einem Lokalaugenschein ist für Europäer sofort augenfällig: An jeder Ecke steht ein privater Security herum. Mit teils absurden Fantasieuniformen, aber ausgestattet mit der Autorität eines Blockwarts der Marke Dirty Harry. Wenn es um die Wurst geht, ist von einem amerikanischen Nachtwächterstaat allerdings nicht viel zu spüren.
Blitzartig pumpte die Notenbank Hunderte Milliarden in die ausgetrockneten Finanzmärkte, selbst für ein privates Pleiteinstitut wie die Investmentbank Bear Stearns übernimmt die FED wie selbstverständlich Verlustrisiken in der Höhe von etwa 29 Milliarden Dollar. Von der spukhaften Selbstheilungskraft der Märkte keine Spur. Oder doch? Erst vor wenigen Tagen blockierte Präsident Bush einen 300 Milliarden Dollar schweren Rettungsplan, den sein Repräsentantenhaus zur Sanierung privater Kreditnehmer ersonnen hat. Aber warum rettet der Staat Banken, aber durch deren tatkräftige Mithilfe in Not geratene Häuslbauer nicht? Dafür stürzen sich Hedge­fonds mangels anderer Alternativen jetzt auf die Warenterminbörse in Chicago. Nicht nur, aber auch deswegen schießen die Preise für Weizen, Mais und Schweinebäuche in den Himmel - und auch die Hungerrevolten. Die Zwickmühle zwischen Privat und Staat ist längst auch in Europa zu spüren. Spektakulär war das Bittgesuch Josef Ackermanns, der den »Staat« öffentlich aufforderte, gefälligst die Banken zu retten. Ackermann hat, als Chef der Deutschen Bank und Speerspitze des freien Marktes, damit eine bemerkenswerte Kehrtwende vollzogen. Die Demutsgeste wäre freilich nicht einmal notwendig gewesen. Was sollen die Staaten in einer solchen Ausnahmesituation denn sonst tun? Die Deutschen pumpten Milliarden in ihre maroden Landesbanken, ebenso wie überraschenderweise auch die Engländer. Die Bank of England steht mit Sicherheiten von insgesamt etwa 40 Milliarden Pfund hinter dem in Nöte geratenen Baufinanzierer Northern Rock. Vergleichbare Staatsinterventionen haben in Großbritannien zuletzt vor etwa 30 Jahren stattgefunden.
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