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Kampf dem Kunden

Von Rainer Sigl

Beim Durchblättern der Nachrichten der letzten Wochen wurde so manchem Musikliebhaber mulmig: 220.000 US-Dollar Strafe wurden von einem US-Gericht über die alleinerziehende Sozialhilfeempfängerin Jammie Thomas, US-Amerikanerin indianischer Abstammung, verhängt. Ihr Verbrechen: Sie hatte in einer P2P-Tauschbörse nachweislich 24 Musikstücke rechtswidrig heruntergeladen und zum Tausch freigegeben. Es war dies der erste diesbezügliche Fall, der von der RIAA, der mächtigen Recording Industry Association of America, vor Gericht ausgetragen wurde; in Abertausenden anderen Fällen waren die übeltäter in außergerichtlichen Vergleichen zur Zahlung wesentlich geringerer Summen zwangsverpflichtet worden.

Schiefe Optik. Der schon jahrelang andauernde Kampf der Musikindustrie gegen den Volkssport »Raubkopieren« und Musiktauschbörsen geht also erneut in eine heiße Phase, doch ein ungüns­tigeres Opfer als Jammie Thomas hätten sich die Anwälte der RIAA kaum aussuchen können. Sofort nach der Verurteilung erfolgten Spendenaufrufe im Netz und eine Welle der Empörung über das unverhältnismäßig drakonische Urteil machte sich breit. Die Optik ist tatsächlich katastrophal: Die geballte Macht der millionenschweren Konzerne und ihrer Abmahn-Anwaltschaft richtete sich in diesem Fall gegen eine sozial benachteiligte Mutter aus einer ethnischen Minderheit - und das alles für die in den Augen der Generation iPod lässliche Sünde, Musik über Kazaa gesaugt zu haben.

Pop-Rebellen. Kein Wunder, dass sich so manche Künstler selbst gegen die Musikindustrie stellen, die auf gewisse Weise die eigenen Fans und Kunden bekämpft. Vorreiter ist im Moment die britische Band Radiohead, die für die Vermarktung ihres neuen Albums »In Rainbows« einen vielbeachteten Coup landen konnten. Das gesamte Album kann im Netz legal downgeloadet werden: Bezahlen können die Kunden, was sie wollen - auch gar nichts. Zusätzlich zur flüchtigen Datenware, die ohne Kopierschutz angeboten wird, wird es zum Weihnachtsgeschäft eine CD-Box des Albums mit weiteren Goodies für die kaufwilligere Kundschaft geben. Erste Zahlen sprechen für sich: Der Durchschnittsbetrag, den Radiohead-Fans freiwillig für die Daten bezahlten, lag bei vier britischen Pfund, der geschätze Erlös der ersten Wochen bei fünf Millionen Pfund - ein spektakulärer Erfolg für die Band und das schlanke Vertriebsmodell. Zugegeben: Kleinere, noch unbekannte Bands werden mit diesem Geschäftsmodell zu Beginn ihrer Karriere wohl weniger Freude haben - zumindest, bis sich weltweit einheitliche, sichere Micropayment-Strukturen etabliert haben.

Zwei Fronten. Doch noch kämpft die Unterhaltungsindustrie mit Zähnen und Klauen gegen ihren unausweichlich erscheinenden Untergang. Neben der Verbreitung von Angst und Schrecken durch Abmahnungen und gerichtliches Vorgehen gegen die eigene Kundschaft ist DRM, das Digital Rights Management, der zweite Pfeiler im Abwehrkampf. Doch auch hier scheint man nicht gewillt, seinen Kunden entgegenzukommen: Nicht nur, dass sich ausschließlich brav zahlende Kunden mit minutenlangen »Raubkopierer sind Verbrecher«-Kampagnen in Kinos und auf DVDs kollektiv unter Verdacht stellen lassen müssen, auch die Software- und Hardwarelösungen, die den Konzernen auch weiterhin ihre Einkommen sichern sollen, sorgen laufend für Empörung und Kundenzorn. Sonys Rootkit-Kopierschutz, die Rechtebeschneidung privater Nutzer durch HD-DVD und Kopierschutzmaßnahmen auf CDs, Filmen und Computerspielen treffen hauptsächlich die ehrliche Kundschaft, die sich tief in ihre Systeme eingreifende Software auf die Computerfestplatten installieren muss, die sich von Viren und Trojanern nur unwesentlich unterscheidet. Ironie des Schicksals: Die Millionen »Raubkopierer« bleiben von diesen »legalen Schadprogrammen« verschont - weil jede Sicherungsmaßnahme bereits nach wenigen Tagen oder maximal Wochen wieder umgangen wird.

Endzeit. Kann ein Krieg gegen die eigene Kundschaft Erfolg haben? Es erscheint unwahrscheinlich, dass sich die nachhaltig geänderten Konsumgewohnheiten mit den bisher angewandten Mitteln wieder in die ruhigen, profitablen Gewässer der Prä-Internet-ära zurücksteuern lassen. Die fetten Jahre der Unterhaltungsindustrie in ihrer jetzigen Form sind vorbei - und das, obwohl der Markt, ironischerweise auch durch die globale digitale Verbreitung, weltweit explodiert. Neuen Geschäftsmodellen gehört die Zukunft - und mit ihnen wird sich auch viel Geld verdienen lassen. Denn das Beispiel Radioheads zeigt: Wer seine Kunden nicht als Verbrecher behandelt, wird auch von ihnen belohnt.

Links:
www.freejammie.com
www.eff.org
www.inrainbows.com

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