"Von einer Vormachtstellung Chinas bei KI kann nicht die Rede sein"
- Written by Redaktion
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Von einer Vormachtstellung Chinas im Bereich künstliche Intelligenz zu sprechen, könnte überzogen sein, meint Christopher Gannatti, Head of Research bei WisdomTree.
Im Hinblick auf Technologien zur Gesichtserkennung haben chinesische Unternehmen beachtliche Fortschritte erzielt. Allerdings weisen die vier führenden chinesischen Unternehmen in diesem Segment des maschinellen Lernens (Sensetime, Cloudwalk, Face++ und Yitu) keine Börsennotierung auf [1], was den Zugang zu diesen Firmen als Anlage erschwert.
Dies stellt unseres Erachtens einen interessanten Aspekt dar, und bei eingehenderer Untersuchung wurde deutlich, warum viele chinesische KI-Unternehmen nicht den Weg an die Börse antreten.
- Die Unternehmen erhalten regelmäßige Kapitalspritzen: Für größere Unternehmen wie Baidu, Tencent oder Alibaba ist es am chinesischen Markt einfach, Kapital in kleinere, aufstrebende KI-Firmen anzulegen. Die kleineren Unternehmen profitieren davon, da hierdurch ihr Bedarf an Betriebskapital gedeckt wird. Im Gegenzug erhalten die größeren Unternehmen eine Aktienbeteiligung an den kleineren Firmen. Dadurch fällt einer der Haupttreiber für den Gang an die Börse – d.h. Betriebskapital aufzunehmen – weg. Sobald Unternehmen Aktienbeteiligungen aufweisen (z.B. wenn sich ein kleineres Unternehmen zu einem gewissen Prozentsatz im Besitz eines größeren Unternehmens befindet), wird es aufgrund des derzeit geltenden Gesetzes in China überdies schwierig für das kleine Unternehmen, einen Börsengang durchzuführen, bevor diese Beteiligung aufgelöst wird.
- Die Unternehmen müssen ihre Rentabilität unter Beweis stellen: Die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde verlangt aktuell von Unternehmen, die sich um eine Börsennotierung bemühen, eine rentable Geschäftsentwicklung über einige Quartale hinweg nachzuweisen, bevor die Zulassung erteilt wird. Dies kann eine Herausforderung für jüngere KI-Unternehmen darstellen, da ein großer Teil ihrer Gewinne in Form von Forschungs- und Entwicklungskosten sowie Investitionsausgaben in das Unternehmen zurückfließt.
Das Beispiel selbstfahrender Autos
Einer der KI-Bereiche, der für enormes Aufsehen sorgt, betrifft selbstfahrende Autos. Um Fortschritte auf diesem Gebiet zu ermöglichen, müssen Straßen bis auf den Zentimeter genau kartografiert werden. Es reicht für das Auto nicht aus, zu wissen, auf welcher Straße es sich befindet – es muss wissen, wo genau es sich auf dieser Straße im Vergleich zu allen anderen Fahrzeugen befindet, gleich ob Fahrbahnmarkierungen vorhanden oder unkenntlich sind. Aus Gründen, die unserer Vermutung nach die nationale Sicherheit betreffen, hinkt China bei der Entwicklung dieser Karten den USA hinterher, und aktuell verfügen nur 14 Unternehmen über eine Zulassung zur Erstellung dieser Karten [2]. Diese Lizenzen werden ausschließlich chinesischen Firmen erteilt – ausländische Unternehmen, die sich an der Kartierung beteiligen wollen, benötigen eine chinesische Partnergesellschaft. Baidu stellt das fortschrittlichste Unternehmen dar, das im Bereich selbstfahrende Autos tätig und zudem an der Börse notiert ist. Zweifelsohne ist in Zukunft mit Fortschritten zu rechnen. Die Annahme, dass China auf diesem Gebiet allen anderen Ländern weit voraus ist, sollte wie aus diesem Beispiel ersichtlich, jedoch mit Bedacht betrachtet werden.
China wird künftig Fortschritte erzielen
Unseres Erachtens wird China in Zukunft tatsächlich eine starke Rolle auf dem Gebiet der KI spielen, und wir behalten diesen Bereich des Marktes genau im Auge. Bis auf Weiteres könnten sich etwaige Aussagen über China als „weltweit führend“ in Bezug auf KI jedoch als voreilig erweisen.
[1] Quelle: Bloomberg. Stand: Februar 2019
[2] Yan Zhang et al. „Hyperdrive: Wanted in China: Detailed Maps for 30 Million Self-Driving Cars“. Bloomberg. 23. August 2018
Über den Autor
Christopher Gannatti ist Head of Research bei dem auf ETPs spezialisierten US-Vermögensverwalter WisdomTree. Seine Fachgebiete: makroökonomische Ausblicke, Fixed Income, Aktien aus Europa und den USA, Small Cap-Aktien, Zentralbankpolitik, Smart-Beta, Qualität und Wert als Faktoren, Japan.