Auf Meter- und Normalspur
- Written by Karin Legat
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1881 fuhr in Berlin die erste elektrische Straßenbahn der Welt, entwickelt von Siemens. Sie war mit 20 km/h unterwegs und bot Platz für 15 Passagiere. Heute bestimmen hybride Energiespeichersysteme und intermodaler Verkehr das Bahnbild – und Siemens ist dabei führend. Karin Legat aus Krefeld.
Am Beginn des Schienenzeitalters wurden Fahrten über 6 km/h als gefährlich für den Körper erachtet. Heute kann man über solche Vermutungen nur lächeln – Züge sind bereits mit Geschwindigkeiten zwischen 300 und 500 km/h unterwegs, ernsthaft gefährdet fühlt sich dadurch kein Passagier.
>> Tests machen sicher <<
Damit dieses Vertrauen nicht enttäuscht wird, müssen Zugeinheiten umfangreich getestet werden, u.a. im Siemens-Center in Wegberg-Wildenrath, dem europaweit größten Prüf- und Validationscenter. Hier erfolgen Erstinbetriebnahme, Typenprüfung, Abnahme und Reparatur von Schienenfahrzeugen und Bahnsystemen. Das 35 Hektar große Center wurde 1997 eröffnet. »Wir sind unabhängig, haben regelmäßig externe Bahnunternehmen und Komponentenhersteller als Kunden«, berichtet Werksleiter Oliver Hagemann. Jährlich werden 600 Fahrzeuge fit für die Schiene gemacht. Damit ist die Betreuung aber nicht abgeschlossen. »Die Verantwortung für Manufacturing und Instandhaltung übertragen die Bahnbetreiber zunehmend an die Fahrzeughersteller. Die Lieferung von Neufahrzeugen wird oft mit langjährigen Instandhaltungsverträgen gekoppelt, zum Teil bis zum Ende des geplanten Lebenszyklus«, berichtet Jochen Eickholt, CEO der Division Mobility. Siemens Mobility Services betreut Kunden in über 50 Ländern.
>> Digitale Fertigung <<
Ebenfalls in Nordrhein-Westfalen befindet sich der Fertigungsstandort Krefeld-Uerdingen, in dem u.a. die Aluminiumkomponenten zu Waggonkarosserien zusammengefügt, verschweißt, lackiert und mit allen anderen Systemen komplettiert werden. »Regionalzüge wie der Desiro oder der Hochgeschwindigkeitszug Velaro, beide etwa in Großbritannien im Einsatz, werden hier produziert«, berichtet Werksleiter Ulrich Semsek. »Ein typischer Zug ist ein sehr komplexes Produkt aus circa 400.000 Einzelteilen. Um diese Komplexität zu beherrschen, setzen wir auf digitale Fertigungsplanung, die auf dem Manufacturing Process Planer basiert, womit die Produktentstehungszeit signifikant reduziert wird. Die Tools für die digitale Fertigungsplanung enthalten eine enge, bidirektionale Schnittstelle zwischen dem verwendeten ERP-System von SAP und der Datenmanagement- Software Teamcenter.«
>> DigiRail <<
Transport ist laut Siemens das Thema Nummer eins für Bürgermeister auf der ganzen Welt. »Heute leben bereits mehr als 50 Prozent der Menschen in Städten, 2050 werden es 70 Prozent sein«, hält Sandra Gott-Karlbauer, CEO Business Unit Urban Transport, fest. Die Nachfrage nach öffentlicher städtischer Mobilität wächst dadurch signifikant, v.a. in Nicht-OECD-Ländern. Es gibt rund 200 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern, die keinen schienengebundenen öffentlichen Verkehr haben. Digitalisierung prägt das Mobility-Geschäft und wirkt sich positiv auf Urban Transport aus. Sensorsysteme und Smart Data Analytics garantieren hohe Verfügbarkeit. Vernetzte Straßenbahnen, U-Bahnen und Züge u.a. inklusive Media4Rail, intelligenten Überwachungskameras und automatisierter Fahrpreisbezahlung sorgen für gesteigerten Fahrgastkomfort.
>> Mit Siemens auf der Schienee <<
Die digitale Umsetzung von Siemens für den Sektor Schiene ist umfangreich. Dass Treibstoff durch vorausschauendes Fahren gespart werden kann, weiß jeder Autofahrer. Bei Siemens ist gezieltes Ausrollen, Coasting, ein Leitmotto. Mit Automatic Train Operation können bis zu 50 Prozent Energie gespart werden. Der Fahrer gibt oft nur noch den Abfahrtsbefehl und überwacht die Fahrt. Das Zugsteuerungssystem Trainguard MT mit Funkverkehr bietet eine optimale Ausnutzung der Streckeninfrastruktur mit Zugfolgezeiten unter 80 Sekunden. Mit Automatisierung kann die Kapazität einer U-Bahnlinie um bis zu 50 Prozent gesteigert werden, der Verbrauch kann um bis zu 30 Prozent reduziert werden. Gleichzeitig erhöht sich die Pünktlichkeit der Züge. Siemens setzt hier moderne Diagnosesysteme ein. Über Sensoren, Kontrollgeräte und Kameras werden Daten über den aktuellen Zustand eines Zuges gesammelt und mittels Diagnosesystem analysiert und ausgewertet. Damit erfolgt eine Fehlererkennung und -prognose, die im Siemens Rail Support Center verarbeitet wird. »Das geht schnell in Terabyte«, lacht Eickholt. Auch die Passagiere profitieren von der Siemens-Digitalisierung. Mit dem modularen System eTicketing wird höherer Reisekomfort geboten. Basierend auf RFID, Bluetooth LE und WLAN erkennt eine Smartcard automatisch, ob sich der Passagier innerhalb des Fahrzeugs befindet. Die Abrechnung erfolgt pro zurückgelegter Strecke pre-paid oder post-paid. Die Chipkarte soll klassische Fahrten mit Bus und Bahn ebenso umfassen wie das Parken des Autos und das Anmieten von Rädern. Künftig sollen Fahrgästen internetbasierte Anwendungen und Informationen zu den Zügen in Echtzeit geboten werden. Angezeigt werden Standort und Zeitplan ebenso wie Navigation im Innen- und Außenbereich. Internetanschluss im Fahrzeug ist damit Standard. Mit Controlguide OCS wurde eine Plattform für die integrierte operative und dispositive Leittechnik geschaffen. Damit kann der Bahnbetrieb im Voraus geplant, operativ durchgeführt und bei etwaigen Abweichungen des Betriebsablaufs mittels intelligenter Dispositionsfunktionen Betriebsbehinderungen minimiert werden. Die Anpassungszeit von mehreren Minuten kann durch OCS auf wenige Sekunden reduziert werden.
Oberleitungsfrei in Doha
In Doha, der Hauptstadt Katars, sollen ab nächstem Jahr 19 Siemens- Hybrid-Straßenbahnen des Typs Avenio oberleitungsfrei fahren. Vergangenes Jahr wurden dazu umfangreiche Tests im Klima-Windkanal in Wien durchgeführt, u.a. zum Wüstenklima, zu extremen Temperaturschwankungen (+40 bis -30 Grad), verschiedenen Windgeschwindigkeiten, Eis, starkem Regen und zu ihren Auswirkungen auf u.a. die Hydraulik der Straßenbahngarnitur und Ladezyklen des Hybrid-Energiespeichersystems.
Glossar »HES«
Eine Architektur, die die Montage einer Oberleitung nicht erlaubt, verlangt nach oberleitungslosem Fahren. Damit verbunden ist das Hybrid-Energie-Speichersystem (HES), eine Kombination aus Kondensatoren und Batterien. An den Stationen wird in nur 30 Sekunden aufgeladen. HES wird auf den Dachflächen der Straßenbahn montiert und über einen Gleichstromsteller elektrisch an den Einspeisepunkt des Fahrzeugs angebunden. Der Sitras HES-Energiespeicher lädt sich durch das Bremsen während der Fahrt auf. Damit kann der Energiebedarf jährlich um bis zu 30 Prozent verringert werden.