Studie: Industrie 4.0 fehlt Bedarfsorientierung
- Written by Redaktion
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In mehr als der Hälfte der heimischen MINT-Aus- und Weiterbildungsinstitutionen spielt Industrie 4.0 keine oder nur eine geringe Rolle, das belegt eine aktuelle von Festo und makam Research durchgeführte Studie. Nur 20 Prozent der befragten Institutionen beschäftigen sich intensiv mit dem Thema. Und auch bei der Planung neuer Lernangebote bzw. Bildungsdienstleistungen zu Industrie 4.0 zeigen die heimischen Aus- und Weiterbildungsinstitutionen Zurückhaltung. Fachhochschulen präsentieren sich innovativer – HTLs sind deutlich abgeschlagen. Hier ist dringend ein Turbo-Aktionsprogramm gefordert.
Industrie 4.0 betrifft nicht nur die Industrie und das produzierende Gewerbe – auch die Aus- und Weiterbildungsinstitute werden sich an die neuen Erfordernisse anpassen müssen. Wie diese sich darauf einstellen, rückt nun eine gemeinsam von Festo und makam durchgeführte Studie in den Mittelpunkt. Befragt wurden über 210 RektorInnen, DirektorInnen und inhaltlich Verantwortliche aus Organisationen und Institutionen, die Aus- und Weiterbildung anbieten und über einen klaren MINT-Fokus (die Bereiche Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) verfügen. Berufsschulen, HTLs und FHs gehörten ebenso dazu wie Universitäten und andere Weiterbildungsinstitutionen aus dem privaten oder öffentlichen Bereich.
Aus- und Weiterbildung hinkt hinterher
Die Studie liefert im Hinblick auf Industrie 4.0 ein ernüchterndes Ergebnis: Eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Industrie 4.0 findet lediglich in 20 Prozent der befragten Institutionen statt. Das bedeutet, dass nur jede fünfte österreichische Aus- und Weiterbildungsstätte auf ein verstärktes Ausbildungsprogramm zu Industrie 4.0 setzt. Tendenziell sind das häufiger jene Bildungseinrichtungen mit mehr als 500 aktiven TeilnehmerInnen, und einem Budget für Lernumgebungen (Labors, Übungsstationen, ...) von mindestens 60.000 Euro pro Jahr. Weitere 29 Prozent beschäftigen sich zwar mit Industrie 4.0, allerdings wird das Thema nicht vordergründig behandelt. Für 27 Prozent ist es ein Randthema und knapp ein Viertel (24 %) geben an, dass das Thema für sie überhaupt nicht relevant ist.
Für Katharina Sigl, Leitung Marketing und Didactic Festo Österreich, ist das sehr bedenklich: „Dass Industrie 4.0 für mehr als die Hälfte der Befragten keine bzw. nur eine untergeordnete Rolle spielt, zeigt, dass viele Aus- und Weiterbildungsinstitutionen des MINT-Bereichs die Relevanz dieses Trends noch nicht realisiert haben. Wir stehen vor großen Veränderungen. Die Arbeitskräfte von morgen müssen sich in einer vernetzten Welt voller neuer Tätigkeitsfelder zurechtfinden. Die Aus- und Weiterbildungsinstitutionen müssten sich schon lange auf diesen Wandel vorbereiten.“
Neue Lernangebote geplant – häufig jedoch aus Imagegründen
Für etwas mehr als die Hälfte der Institutionen, die sich mit Industrie 4.0 beschäftigen, ist klar: Es wird neue, darauf ausgerichtete Lernangebote geben müssen. 25 Prozent von ihnen geben an, dass es bereits neue Angebote gibt (Mehrfachnennungen möglich). Bei 36 Prozent sind (weitere) Angebote in Planung. Hier konzentrieren sich die Bildungsanbieter vor allem auf Automatisierungstechnik und Robotik. Viele andere neue Themen, die mit Industrie 4.0 in enger Verbindung stehen – wie beispielsweise RFID, Netzwerktechnik oder Datensicherheit – werden jedoch nur selten genannt. Zudem erfolgt der Ausbau des Lehr- und Lernangebots laut Umfrage oft nur aus Imagegründen. 45 Prozent der Befragten von jenen Bildungsinstitutionen, die sich mit Industrie 4.0 beschäftigten, gaben an, dass keine neuen Lernangebote und Bildungsdienstleistungen geplant sind. Das liegt möglicherweise auch daran, dass die Entwicklung neuer Bildungsangebote beim Großteil der Institutionen (78 %) bis zu einem Jahr dauern kann.
Industrie 4.0 – weit mehr als nur Technik
Katharina Sigl: „Industrie 4.0 ist nicht nur ein fachlicher assoziierter Trend, der sich auf die Veränderungen von Technologien auswirkt. Der Wandel in Richtung ‚Cyber-Physische Systeme‘ verlangt nach Flexibilität – nicht nur in den produktionsnahen Bereichen, sondern vor allem bei den Menschen. Das zieht sich durch die gesamte Wertschöpfungskette von Unternehmen und reicht oft auch darüber hinaus. Im Management, in der Kommunikation, im sozialen Bereich – die Digitalisierung strahlt weit über die Produktion hinaus. Sie kennt keine Grenzen. Das verlangt nach einem neuen Denken und nach neuen Formen der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen, Bildungsorganisationen und den politischen Akteuren.“
Bildung lernt
Bei der Gestaltung neuer Angebote eignen sich die Bildungsorganisationen das dafür notwendige Know-how am häufigsten über eine externe Weiterbildung (38 %), durch die Industrie (25 %) und durch ExpertInnen (18 %) an. 11 Prozent greifen auf das Wissen ihrer MitarbeiterInnen zurück, 10 Prozent auf (Fach-)Literatur und jeweils acht Prozent beziehen ihr Know-how über die Forschung, interne Weiterbildung und aus dem Internet. Fünf Prozent nennen ungestützt Festo als Know-how-Lieferant.
Auch die Trainer, Ausbildner und Lektoren müssen umlernen. Immerhin 85 Prozent der befragten Institutionen, die sich mit Industrie 4.0 beschäftigen, nehmen durch Industrie 4.0 veränderte Anforderungen an die Kompetenzen der Lehrkräfte wahr. „Es gilt, zeitnahe neue fachliche Inhalte zu integrieren und neue Lehr- und Lernmethoden, die die Vernetzung in den Mittelpunkt stellen, zu etablieren. Darüber hinaus werden Flexibilität und Anpassung in der Welt von morgen immer wichtiger. Darauf müssen sich die Aus- und Weiterbildungsinstitutionen und ihre Mitarbeiter einstellen“, so Sigl.
Die Bereitstellung der richtigen Rahmenbedingungen für diese Umstellung ist eine politische Aufgabe. Aussagen zu den jährlichen Budgets für Lernumgebungen zeigen, wie dringlich hier ein nachhaltiges Engagement gefragt wäre. Katharina Sigl: „Schon lange ist bekannt, dass nur arbeitsnahes Lernen einen hohen Transfererfolg verspricht. Die technisch zeitgemäße Ausstattung von Lernumgebungen ist daher ein absolutes Must. Hier zeigt sich jedoch ein deutlicher Engpass in der Lehre, daher sind neue Konzepte gefragt. Ein Schritt in diese Richtung kann beispielsweise die gemeinsame Nutzung von Lernequipment, Labors und vortragenden Fachexperten sein – also die Schaffung von Common Learnbases ab Sekundarstufe 2. Die Umfrage zeigt von solchen Ansätzen jedoch nur wenig. Dabei wäre es wichtig, vernetztes Denken und fächerübergreifendes Verständnis als integrativen Bestandteil der Aus- und Weiterbildung zu etablieren.“
Neues lernen – neues Lernen
Auf die Frage, ob Industrie 4.0 die Positionierung der Organisation verändert hat, antworteten 18 Prozent mit ja. Gleichermaßen hat sich die Lernumgebung für SchülerInnen, StudentInnen und TeilnehmerInnen von Weiterbildungsangeboten verändert. So nehmen 18 Prozent bereits Änderungen wahr, 55 Prozent rechnen noch mit weiteren Neuerungen. Diese sind hauptsächlich in den Bereichen neue IT-Strukturen (65 %), Lernhardware (60 %), Labors (54 %) und Räumlichkeiten (48 %) zu erwarten. Und auch bei den Lehrmethoden gibt es Veränderungen, wobei E-Learning (68 %) am häufigsten genannt wird, gefolgt von mobilem Lernen (48 %) und blended learning (46 %).
„Wenn 68 Prozent hier beinahe reflexartig ‚E-Learning‘ nennen, erhebt sich die Frage, ob damit wirklich innovative Ansätze gemeint sind, oder ob hier womöglich nur althergebrachtes ‚refresht‘ wird. Letztendlich hat sich noch nicht wirklich viel verändert, wenn einfach nur PowerPoint-Präsentationen statt Overhead-Folien zum Einsatz kommen – selbst wenn diese Präsentationen online zur Verfügung stehen“, so Sigl.
Katharina Sigl weiter: „Der Einsatz von Computern und mobilen Endgeräten ist nur der Anfang. Es gilt, die virtuelle und die reale Welt fachlich und methodisch zu verknüpfen. Dafür brauchen Bildungsinstitutionen entsprechend ausgestattetes Übungsequipment, um die Aus- und Weiterbildung im technischen Bereich an die Anforderungen des smarten Zeitalters anzupassen.“ Beispiele dafür sind etwa die mobilen Lernbegleiter, Tec2screen, oder die Lernfabrik CP Factory von Festo Didactic, die bereits heute viele wichtige Aspekte von Industrie 4.0 abbilden und ein arbeitsnahes Lernen ermöglichen.
FHs haben die Nase vorne
Die von Festo und makam durchgeführte Umfrage zeigt im Hinblick auf Industrie 4.0 ein differenziertes Bild der österreichischen Aus- und Weiterbildungslandschaft. Fachhochschulen haben eindeutig die Nase vorn – viele von ihnen haben bereits Lehrangebote für Industrie 4.0 im Programm oder es befindet sich ein solches zumindest schon in Planung. Deutlich anders stellt sich jedoch die Situation bei Universitäten, Berufsschulen und auch bei den oft als Erfolgsmodell genannten HTLs dar. Sie liegen sowohl bei der Umsetzung als auch bei der Planung neuer Lehrangebote weit abgeschlagen.
„Das muss als deutliches Signal verstanden werden“, so Katharina Sigl. „Wenn Österreich als Wirtschaftsstandort wieder an Attraktivität gewinnen und der Lebensstandard vieler Menschen nicht gefährdet werden soll, muss ein Turbo-Aktionsprogramm ins Leben gerufen werden, das sich an neuen Bildungsmaßstäben misst und das System für Neues öffnet. Die Kompetenzen, die von Personen in der industriellen Arbeitswelt gefordert werden, müssen dringend in die MINT-Bildungsorganisationen übersetzt werden – nicht heute, sondern schon gestern!“