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Individualisten und Spezialisten führen

Mitarbeiter können heute nicht mehr nach dem Befehl-Gehorsam-Prinzip rein mit Anweisungen geführt werden. Sie müssen als Mitstreiter gewonnen werden. Mitarbeiter können heute nicht mehr nach dem Befehl-Gehorsam-Prinzip rein mit Anweisungen geführt werden. Sie müssen als Mitstreiter gewonnen werden. Foto: Thinkstock

Je qualifizierter Mitarbeiter sind, umso selbstbewusster sind sie meist auch. Das heißt unter anderem: Sie hinterfragen Entscheidungen ihrer Vorgesetzten und erwarten, dass sie mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren. Vielen Führungskräften fällt das Führen solcher Mitarbeiter schwer.

Woran wird die Leistung einer Führungskraft gemessen? An der Leis­tung ihrer Mitarbeiter! »Erbringen sie als Team die vom Unternehmen geforderte Leistung nicht, steht auch ihre Führungskraft in einem schlechten Licht da«, erklärt Michael Schwartz, Geschäftsführer des ilea-Instituts. »Erfüllen sie ihre Aufgaben hingegen mit Bravour, kann auch ihr Chef auf eine Gehaltsverbesserung und einen Karrieresprung hoffen.« Entsprechend wichtig ist es für das berufliche Fortkommen von Führungskräften, ihre Mitarbeiter so führen, dass sie sich für das Erreichen der Ziele engagieren.

»Das war schon immer so«, stellt die Wiener Managementberaterin Sabine Prohaska fest. Deshalb lautete spätestens seit den 70er- Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Anforderung an Führungskräfte: »Führen Sie Ihre Mitarbeiter situativ.« Also: »Passen Sie Ihr Führungsverhalten den Erfordernissen der jeweiligen Situation und dem jeweiligen Gegenüber an.«

Arbeitsbeziehungen verändern sich
Diese Forderung stellte laut Prohaska eine Reaktion darauf dar, dass man damals bereits spürte: Die Arbeitsbeziehungen und -inhalte in den Betrieben wandeln sich; ebenso die Erwartungen der Mitarbeiter an ihre Vorgesetzten – »und zwar insbesondere in den Unternehmensbereichen, in denen die Qualität der Leistung stark davon abhängt, wie sehr sich die Mitarbeiter mit all ihren Kompetenzen einbringen«. Dort können die Mitarbeiter nicht mehr nach dem Befehl-Gehorsam-Prinzip rein mit Anweisungen geführt werden.

Vielmehr gilt es, sie als Mitstreiter zu gewinnen – »weshalb zum Beispiel in den Forschungs- und Entwicklungsbereichen der Unternehmen traditionell eine andere Führungskultur herrscht als in deren Produktionseinheiten, wo die Mitarbeiter oft jahr­ein, jahraus weitgehend dieselben repetitiven Teilaufgaben verrichten«.

Diesen Bewusstseinswandel bei der Personalführung bewirkten laut Michael Schwartz auch folgende Erkenntnisse:

- Je komplexer und anspruchsvoller Aufgaben sind, umso stärker müssen sich die Mitarbeiter auch als Person einbringen.
- Je qualifizierter Mitarbeiter sind, umso selbstbewusster sind sie meist auch. Und:
- Je selbstständiger Mitarbeiter agieren sollen, umso mehr Infos sowie größere Handlungs- und Entscheidungsspielräume benötigen sie.

Eigenverantwortung vs. Information
Daran hat sich nichts geändert. Weiterentwickelt haben sich aber unter anderem aufgrund des Siegeszugs der modernen Informations- und Kommunikationstechnologie die Arbeitsstrukturen und Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen, betont Georg Kraus, Inhaber der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner.

So ist heute zum Beispiel »zumindest in den Kernbereichen fast aller Unternehmen die oft bereichs- und hierarchieübergreifende Team- und Projektarbeit gängige Praxis«. Und eine Grundanforderung an alle Mitarbeiter lautet: Sie sollen ihre Aufgaben weitgehend eigeninitiativ und -verantwortlich wahrnehmen.

Das setzt laut Schwartz voraus, dass die Mitarbeiter sich mit dem Unternehmen und ihren Aufgaben identifizieren – »unter anderem, weil sie selbst die gewünschte Wertschätzung erfahren, wissen, was die Ziele des Unternehmens sind, und ihr Handeln als sinnvoll erfahren.« Und das erfordert wiederum einen anderen Führungsstil und ein verändertes Führungsverhalten.

Kein Vorsprung bei Fachaufgaben
Ein verändertes Führungsverhalten ist auch nötig, weil die Führungskräfte heute beim Erfüllen gewisser Fachaufgaben »oft keinen Wissens- und Erfahrungsvorsprung vor ihren Mitarbeitern mehr haben«, konstatiert Prohaska. Denn ihre Mitarbeiter sind hochqualifizierte Spezialisten. Entsprechend selbstbewusst sind sie – insbesondere wenn sie wissen: Das Unternehmen ist auf meine Expertise angewiesen. »Und in der Kommunikation mit ihnen wollen sie die Wertschätzung spüren, die ihnen und ihrer Arbeit nach ihrer Auffassung gebührt«, unterstreicht Schwartz. Sonst sinkt ihre Arbeitsmotivation, und im Extremfall wechseln sie den Arbeitgeber – speziell in einer Arbeitsmarktsituation, in der hochqualifizierte Spezialisten eine heiß umkämpfte Mangelware sind.

Führungskräfte müssen mehr und anders kommunizieren
Solch selbstbewusste Mitarbeiter zu führen, fällt vielen Führungskräften schwer. Denn häufig haben sie insgeheim noch das Credo verinnerlicht: Mitarbeiter müssen blind die Anweisungen ihrer Vorgesetzten befolgen. Das tun besagte Mitarbeiter aber nicht, betont der Wirtschaftsingenieur Kraus. Sie hinterfragen mehr oder minder offen die Anweisungen und Entscheidungen ihrer Führungskräfte. »Zumindest wollen sie eine plausible Begründung haben, warum aus deren Warte gewisse Dinge nötig sind.« Für die Führungskräfte bedeutet dies: Sie müssen mehr und anders als früher mit ihren Mitarbeitern kommunizieren. Statt »top-down-Anweisungen« ist laut Schwartz »ein Einbeziehen der Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse angesagt«.

Zumindest theoretisch ist dies den meis­ten Führungskräften bewusst. Das bedeutet aber noch lange nicht, dass sie im Führungsalltag stets das richtige Führungsverhalten zeigen, betont Kraus. Er registriert im Betriebsalltag oft, dass Führungskräfte »gerade in Situationen, in denen sie unter Anspannung stehen, ein Verhalten zeigen, das eher einem autoritären als partnerschaftlich-kooperativen Führungsstil entspricht«. Dadurch provozieren sie in der Beziehung zu ihren Mitarbeitern oft Konflikte, die bei einem anderen Führungsverhalten vermeidbar wären.

Mitarbeiter ticken unterschiedlich
Im Betriebsalltag registriert man auch immer wieder: Mit einigen Mitarbeitern haben die Führungskräfte nie Probleme; in der Beziehung zu anderen tauchen hingegen fortwährend Irritationen auf, weshalb die betreffenden Mitarbeiter von ihren Führungskräften mit dem Stempel »schwierig« versehen wurden.

Analysiert man die Ursachen hierfür, dann stellt man laut Schwartz meist fest: Stimmt die Beziehung Führungskraft-Mitarbeiter, dann haben die Führungskräfte meist »ein ähnliches Wertesystem wie die betreffenden Mitarbeiter« und/oder »ihre Verhaltenspräferenzen korrespondieren mit den Erwartungen, die die Mitarbeiter aufgrund ihres Wertesystems an ihre Führungskraft haben«.  Anders sieht es bei den »schwierigen Mitarbeitern« aus. Sie haben »entweder ein anderes Wertesystem als ihre Führungskraft, weshalb ihnen bei der Arbeit und im Leben auch andere Dinge wichtig sind«. Oder sie haben aufgrund ihres Wertesystems »Erwartungen an ihre Führungskraft, die diese aufgrund ihrer Präferenzen nicht erfüllt«.

Mit der Arbeit identifizieren
Die divergierenden Wertesysteme und Erwartungen wären im Betriebsalltag kein Problem, wenn diese den Führungskräften bewusst wären. Denn dann könnten sie sich darauf einstellen. Viele Führungskräfte kennen aber ihr eigenes Wertesystem nicht. Und noch weniger kennen sie die Wertesysteme und die hieraus resultierenden Verhaltensmuster und Erwartungen ihrer Mitarbeiter. Dabei wird dies für eine erfolgreiche Mitarbeiterführung immer wichtiger – nicht nur aufgrund der veränderten Arbeitsstrukturen in den Unternehmen. Hinzu kommt: »Darüber, ob die Menschen heute individualistischer sind als vor 30, 40 Jahren, kann man sich streiten«, betont die Wirtschafts- und Arbeitspsychologin Sabine Prohaska. »Auf alle Fälle haben sich aber die Lebensstile in unserer Gesellschaft ausdifferenziert.« Außerdem akzeptieren heute weniger Menschen als früher fraglos irgendwelche nicht selbst gewählten Autoritäten. Zudem hat sich das Verhältnis zur Erwerbsarbeit verändert. Früher sahen die meisten Menschen in ihr ein notwendiges Übel, um den Lebensunterhalt zu sichern. Und die sogenannte Selbstverwirklichung? Sie erfolgte primär in der Freizeit.

Heute ist dies anders – »zumindest bei vielen hochqualifizierten Mitarbeitern«, betont Prohaska. »Für sie hat die Arbeit auch eine identitätsstiftende Funktion.« Das heißt, sie wollen sich in ihrer Arbeit verwirklichen und diese als sinnvoll erfahren. Sie stellen also höhere Anforderungen an ihre Arbeit und somit auch an ihre Führungskräfte. Und die Führungskräfte? Sie stehen vor der Herausforderung, diese zu erfüllen, »damit sich ihre Mitarbeiter mit ihrer Arbeit identifizieren und die gewünschte Leistung bringen«. 

Auf individuelle Bedürfnisse reagieren
Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter individuell, also ihren Bedürfnissen entsprechend, führen möchten, müssen zudem wissen: Wie »tickt« mein Mitarbeiter? Was treibt ihn an? Und: Wie sieht die Welt durch seine »Brille« aus? Denn nur dann können sie ihr Führungsverhalten wirklich dem Gegenüber anpassen. Außerdem können sie nur dann mit jedem einzelnen Mitarbeiter »eine tragfähige Vereinbarung darüber treffen, was dieser braucht, um seine Arbeit und die Zusammenarbeit als befriedigend, weil sinnstiftend und mit seinem Wertesystem vereinbar, zu erfahren«, erläutert Kraus.

Diesbezüglich besteht speziell bei den Führungskräften von Unternehmen, die sich zu High-Performance-Organisationen entwickeln möchten, oft noch ein großer Schulungsbedarf, betont Schwartz. Denn dieses Ziel lässt sich nur mit hochqualifizierten und somit selbstbewussten Mitarbeitern erreichen, die sich voll mit ihrer Arbeit und den Zielen des Unternehmens identifizieren.

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