»Man muss sich ehrgeizige Ziele setzen«
- Written by Redaktion_Report
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Die 50-jährige Siemens-Chefin macht aus ihrer Präferenz für eine große Koalition keinen Hehl, wenn sie sich eine Regierung wünscht, »die auf breiten Beinen steht, diese aber auch zum Gehen benützt«. Schließlich gehörte sie unter Bundeskanzler Vranitzky als Europastaatssekretärin ebenfalls einer rot-schwarzen Regierung an.
Ihr Interesse am politischen Geschehen ist ungebrochen, fad wird Ederer aber auch im neuen Job nicht. Kaum hatte sie - überraschend glatt - den Kauf der VA Tech über die Bühne gebracht, standen bei der früheren Elin, heute Siemens Gebäudetechnik, Kündigungen ins Haus. Nun gibt es bei der Umstrukturierung des Telefonanlagenbereichs Brösel mit Mitarbeitern und Gewerkschaft.
(+) plus: Wenn Sie die Koalitionsverhandlungen mitverfolgen, sind Sie froh, aus der Politik ausgestiegen zu sein?
Brigitte Ederer:Koalitionsverhandlungen sind mit Sicherheit spannend, da hier die Schienen für die nächsten vier Jahre gelegt werden.
(+) plus: Wären Sie noch gerne mit dabei?
Ederer: Die Frage stellt sich für mich nicht. Aber es ist nicht so, dass ich mir denke: Gott sei Dank bin ich weg.
(+) plus: In einem Interview haben Sie einmal Politik als »die undankbarste, kränkendste, aber auch faszinierendste Tätigkeit der Welt« bezeichnet.
Ederer: Das ist ein weiser Ausspruch, finde ich. Das würde ich noch immer hundertprozentig unterstreichen.
(+) plus: Ist der Job als Generaldirektorin wirklich dankbarer?
Ederer: Ja, dankbarer, planbarer und in der Regel weniger mit öffentlichen Kränkungen versehen.
(+) plus:Auch wenn Sie Mitarbeiter entlassen müssen?
Ederer: Das ist der Teil, der am stärksten belastend ist. Für mich jedenfalls.
(+) plus:Im Softwarehaus PSE rüstet sich die Belegschaft bereits mit Kampfmaßnahmen gegen geplante Entlassungen.
Ederer: Es wird keine Entlassungen geben. Das Unternehmen hat entschieden, weltweit die Telekommunikationsaktivitäten herauszunehmen. Ein Teil wird mit Nokia-Siemens zu einem zukunftsträchtigen Neuen verschränkt, für den anderen Teil mit 200 Mitarbeitern in der Forschung und Entwicklung sucht man noch einen Käufer. Es geht nur um das Herausnehmen dieser 200 von der PSE in eine andere Gesellschaft. Es wird keine Lohnkürzungen geben, der Kollektivvertrag wird nicht geändert und es wird zu keinen Kündigungen kommen.
(+) plus: Die Belegschaft bezeichnet das als »Filetierung des Unternehmens«. Haben Sie als Sozialdemokratin Verständnis für diese Proteste?
Ederer: Da geht es nicht um mein Verständnis als Sozialdemokratin, sondern der Konzern hat entschieden, sich weltweit von der Telefonie zu trennen.
(+) plus: Weil das der Bereich ist, der am wenigsten einbringt.
Ederer: Der Bereich hat international - bei uns ja nicht - die größten Schwierigkeiten. Ich sehe hier aber keine weltbewegenden, grausamen Maßnahmen. Da gibt’s viele Kolleginnen und Kollegen, die haben andere Sorgen. Wir haben bei der Gebäudetechnik 250 entlassen müssen. Das ist wirklich ein Problem, und auch schwer für mich selbst. Aber ob die jetzt in der PSE oder in der COM-E arbeiten - dafür fehlt mir, ehrlich gesagt, das Verständnis. Die IT-Strukturen bleiben gebündelt erhalten. Weitere Teilungen sind nicht geplant.
(+) plus: Wie geht es Ihnen, wenn Sie Kündigungen aussprechen müssen?
Ederer: Ich bin für das Unternehmen verantwortlich und muss Maßnahmen setzen, damit langfristig Gewinne erwirtschaftet werden, denn nur so bleibt ein Unternehmen im heutigen Wirtschaftssystem erhalten. Manchmal macht das einen Riesenspaß, wenn man neue Entwicklungen durchführen kann, und manchmal belastet es, wenn es um den Abbau von Mitarbeitern geht. Aber beides ist notwendig für den weiteren Erhalt.
(+) plus: Wie sieht Ihre persönliche Bilanz des ers-ten Jahres als Generaldirektorin aus?
Ederer: Es gab mehr Veränderungen im Portfolio des Unternehmens, als ich eigentlich erwartet hatte: die Telefonie, die Integration der VA Tech. Das waren schon Riesenbrocken. Das haben wir aber ganz gut geschafft. Nur bei der Gebäudetechnik, der ehemaligen Elin, mussten wir Mitarbeiter abbauen. Aber in der Industrie läuft es sehr gut, wir haben kaum Kunden aufgrund des Zusammengehens verloren. Natürlich ermöglicht auch die Konjunktur eine bessere Integration.
(+) plus: Nach langem Zögern hat der Siemens-Konzern doch für die Errichtung des Mautkompetenzzentrums in österreich entschieden. Welche überlegungen waren für die Standortwahl letztlich ausschlaggebend?
Ederer: Unser Know-how. Was die elektronische Mauterhebung mit Satellitenkompetenz betrifft, befindet sich das gesamte Know-how in österreich.
(+) plus: Warum hat sich die Entscheidung dann über ein Jahr hingezogen?
Ederer: Weil der Konzern insgesamt überlegt hat, ob er in diesem Bereich weiter einsteigt oder nicht. Die deutsche und die österreichische Maut waren vergeben, und da gab es natürlich die Diskussion, ob wir uns glaubwürdig positionieren können, wenn wir am Heimmarkt nicht mit dem satellitengestützten System gewonnen haben. Es hätte dem Kompetenzzentrum und dem ganzen Land geholfen, wäre die österreichische Maut anders vergeben worden. Das war eine einmalige Chance, in österreich mit einer Zukunftstechnologie ganz weit vorn zu sein. Das wollte man nicht. Man hat sich auf die sichere Seite der »Mikrowelle« geschlagen, die natürlich eine erprobte, aber »alte« Technologie ist.
(+) plus: Vielleicht auch kostengünstiger?
Ederer: Wir haben vielleicht ein bisschen zu konservativ kalkuliert, weil wir die Risken der neuen Technologie höher eingeschätzt hatten. Heute sehe ich das nicht mehr so riskant, damals haben uns noch Erfahrungswerte gefehlt. Aber es war am Ende des Tages nicht der Preis.
(+) plus: Siemens österreich verzeichnete im Vorjahr ein hervorragendes Ergebnis - nicht zuletzt aufgrund des großen Wachstums in Osteuropa. Werden Sie diesen Erfolgskurs fortsetzen können?
Ederer: Wir verlieren auch im Osten die Telefonie, die dort ein starkes Standbein war. In den nächsten Jahren müssen wir deshalb die Infrastruktur, Energieversorgung etc. weiter vorantreiben. Da bin ich eigentlich zuversichtlich, weil all diese Länder einen großen Nachholbedarf haben. Wir haben uns intern vorgenommen, den Umsatzrückgang durch den Wegfall der Telefonie in den nächsten drei bis vier Jahren aufzuholen. Das ist ehrgeizig, da haben Sie Recht, aber man muss sich ehrgeizige Ziele setzen. Es kommt auf die Entwicklung der Länder an. Wenn diese stark in die Infrastruktur investieren, wird es leichter möglich sein.
(+) plus: Derzeit ist Siemens in sieben Oststaaten vertreten. Planen Sie weitere Niederlassungen?
Ederer: Im Moment müssen wir wieder den ganzen Schwerpunkt auf die Absicherung dieser Standorte legen. Wir hatten diese sieben Länder schon relativ gut positioniert. Jetzt geht’s wieder um zwei, drei Felder zurück. Zur Zeit ist das deshalb kein Thema, aber das kann in ein paar Jahren schon wieder anders sein.
(+) plus: Vor kurzem haben Sie in Kooperation mit der Stadt Wien ein Trinkwasserkraftwerk eröffnet. Inwieweit haben Sie Ihre politischen Kontakte für diesen Auftrag spielen lassen?
Ederer: überhaupt nicht. Lange vor mir waren unsere Leute schon in der elektrischen Installation der Wasserversorgung tätig. Gemeinsam mit den Wasserleuten hatten sie die Idee, den Druck, mit dem das Wasser vor der Verteilung in die Wiener Haushalte - sehr vereinfacht gesagt - »abgebremst« wird, für ein Kraftwerk zu nützen. Für die ökologisierung ist es ein kleiner, aber sehr beeindruckender Mosaikstein. Die Idee kam von den Mitarbeitern. Ich hatte mit dem Projekt erst zu tun, als wir den Vorschlag im Vorstand beschlossen haben.
(+) plus: Haben Sie im Unternehmen ein eigenes System, um solche Ideen zu fördern?
Ederer: Wir haben ein sehr strukturiertes Vorschlagswesen, einen Innovationstopf und ein ziemlich ausgeprägtes Patentwesen - da gibt’s eine gute Struktur, um auf das intellektuelle Wissen zurückzugreifen.
(+) plus: Und da können sich alle Mitarbeiter einbringen?
Ederer: Jeder. Die Section Control war zum Beispiel die Idee von einer Reinigungsfrau. Deren Bruder hatte einen Unfall in einem Tunnel und sie hat gesagt: »Ihr seids doch eh so gscheit, warum kann man nicht messen, wie schnell einer hinein- und hinausfährt?« Das war die Grundüberlegung.
(+) plus: Zurzeit regnet es Auszeichnungen für Sie - Wiener Frauenpreis, WU-Managerin des Jahres. Was bedeuten Ihnen diese Preise?
Ederer: Das ist eine Alterserscheinung. Ich kämpfe mit der Frage, warum man so etwas bekommt. Es hat mit dem Alter und der Position an sich zu tun, und schon auch mit einem Lebenslauf, der halt nicht oft so ist wie meiner. Aber ich weiß genau, dass in fünf Jahren der »Manager des Jahres« in der Bewertung der Menschen nichts zählt.
(+) plus: Möglicherweise weiß schon nächstes Jahr niemand mehr, wer eigentlich heuer die Auszeichnung bekommen hat.
Ederer: Stimmt. Und das muss man sich immer vor Augen halten. Es freut mich, es ist eine Anerkennung. Allein wie viele Menschen das registrieren, beeindruckt mich mittlerweile. Aber es ist etwas, das nächstes Jahr vergessen ist.
(+) plus: Was sehr stark im kollektiven Gedächtnis der österreicher verhaftet ist, ist der berühmte »Ederer-Tausender«. Werden Sie noch manchmal darauf angesprochen?
Ederer: Ja, klar. Und das Mock-Busserl! Am Samstag war ich einkaufen, da steht einer bei der Busstation und sagt: »Ederer, wo is’n jetzt der Tausender?« Wenn es einen Nachruf nach meinem Ableben geben wird, kann ich Ihnen schon jetzt sagen, was drinnen stehen wird, egal was ich noch mache: das Mock-Busserl und der Ederer-Tausender. Das war’s. Alles andere wird in Vergessenheit geraten.