Die große Umfrage: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz
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Was als sexuelle Belästigung gilt, ist per Gesetz genau definiert. Es ist kein »Kavaliersdelikt«, gehört aber für viele Frauen zum Alltag – auf der Straße, in öffentlichen Verkehrsmitteln, in Lokalen und am Arbeitsplatz. Dort sind die Täter meist hierarchisch höher gestellt, aber auch von Kollegen wird die Grenze zu unsittlicher Annäherung mitunter überschritten. Der Dienstgeber haftet für Übergriffe, allerdings verzichten viele Betroffene aus Scham oder Angst auf eine Anzeige. Wie sollten MitarbeiterInnen und Führungskräfte mit dem Thema umgehen? Report(+)PLUS hat bei drei Expertinnen nachgefragt.
1. Ist sexuelle Belästigung immer ein Ausdruck der Machtverhältnisse?
Birgitt Haller, Wissenschaftliche Leiterin des Instituts für Konfliktforschung
Ja. Es geht nicht um Sexualität, sondern sexuelle Belästigung bedeutet eine Machtdemonstration und stellt eine Verletzung der Menschenwürde dar. Auch, aber nicht nur am Arbeitsplatz wird Frauen damit ihr Platz zugewiesen und klargemacht, wer das Sagen hat. Auch wenn Männer von sexuellen Belästigungen betroffen sind, sei es durch andere Männer oder durch Frauen, handelt es sich dabei um einen Ausdruck von Macht und damit eine Abwertung des Opfers.
Christine Bauer-Jelinek, Wirtschaftscoach und Machtanalytikerin
Sexuelle Belästigung ist in den meisten Fällen der Ausdruck von ungeschickter oder provokanter sexueller Kontaktaufnahme. Erst wenn ein Abhängigkeitsverhältnis besteht oder die handelnde Person eine höhere Position innehat, kommt der Machtfaktor dazu. Sexualisierte Sprüche oder unangemessene körperliche Berührungen von Vorgesetzten sind daher besonders problematisch und werden auch strenger beurteilt.
Ingrid Nikolay-Leitner, Leiterin der Gleichbehandlungsanwaltschaft
Sexuelle Belästigung ist Machtausübung über eine sexuell konnotierte Handlung oder Äußerung, die unerwünscht ist und die Würde der betroffenen Person verletzt. Dementsprechend kommt sie weit häufiger gegenüber hierarchisch untergeordneten Personen vor als unter Gleichgestellten.Das Gleichbehandlungsgesetz definiert hier sehr genau: Sexuelle Belästigung schafft eine einschüchternde, feindselige oder demütigende Arbeitsumwelt für die betroffene Person. Die Duldung oder Zurückweisung von Belästigung wird ausdrücklich oder stillschweigend zur Grundlage von Entscheidungen in der Arbeitswelt gemacht.
2. Wie sollten Betroffene reagieren?
Birgitt Haller
Betroffene sollten, wenn sie den Eindruck gewinnen, dass ihnen Kollegen oder Vorgesetzte zu nahe treten, diese Wahrnehmung möglichst rasch und klar zur Sprache bringen. Sexuelle Belästigungen beginnen im Regelfall sehr niederschwellig, Betroffene reagieren zunächst nicht darauf, um nicht als humorlos oder zickig zu erscheinen, was später vom Belästiger zu einem Einverständnis umgedeutet wird, um dem Opfer die Verantwortung für die Übergriffe zuzuschreiben. Wichtig ist, sich im Betrieb Unterstützung zu suchen oder sich an Beratungseinrichtungen wie die Arbeiterkammer zu wenden.
Christine Bauer-Jelinek
Sie benötigen unterschiedliche Verhaltensweisen, um angemessen und abgestuft reagieren zu können. Bei schlechtem Benehmen von Kollegen hilft oft ein Machtwort, ein einfaches »Spinnst du?«, ein »So nicht!« oder auch eine deutliche Zurückweisung, indem man die Hand wegdrückt bis hin zur Ohrfeige. Auch bei Vorgesetzten muss man eine deutliche Ablehnung des Verhaltens zeigen, dann ein Gespräch unter vier Augen führen, eine Vertrauensperson beiziehen. Bei Nichtbeachtung sollte die Anzeige angekündigt werden und erst, wenn das nicht hilft, ist diese auch durchzuführen.
Ingrid Nikolay-Leitner
Die langjährige Erfahrung der Gleichbehandlungsanwaltschaft zeigt deutlich, wie schwierig in vielen Fällen eine sofortige Reaktion ist und in welche Zwangslage Betroffene durch sexuelle Belästigung versetzt werden. Wichtig ist, Vorfälle zu dokumentieren, Unterlagen zu sichern und Beratung und Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Neben der Gleichbehandlungsanwaltschaft als spezialisierte Einrichtung auf Basis des Gleichbehandlungsgesetzes für die private Wirtschaft bieten die Gleichbehandlungseinrichtungen des Öffentlichen Dienstes und der Universitäten sowie die Interessenvertretungen der ArbeitnehmerInnen Beratung und Unterstützung an. Die Arbeiterkammer kann auch bei Gerichtsverfahren unterstützen.
3. Welche Maßnahmen können Unternehmen präventiv gegen Übergriffe und Belästigungen setzen?
Birgitt Haller
Die nachhaltigste Präventionsmaßnahme stellt ein Grundklima des Respekts im Unternehmen dar, das nur von oben nach unten hergestellt werden kann, also von den Führungskräften getragen werden muss. Darüber hinaus müssen MitarbeiterInnen in ihrer Wehrhaftigkeit gestärkt werden, was konkret etwa heißt, dass Handlungsmöglichkeiten als Reaktion auf Übergriffe (auch z.B. durch KundInnen) besprochen werden und den MitarbeiterInnen vermittelt wird, dass die Vorgesetzten hinter ihnen stehen.
Christine Bauer-Jelinek
Es ist sicherlich jetzt bei Männern und Frauen ein neues Bewusstsein entstanden. Unternehmen können diesen Prozess fördern, indem Führungskräfte geschult werden, minderschwere Verfehlungen selbst mit den Betroffenen direkt zu klären. Es kann ja nicht alles bei Gericht landen. Allgemein ist jedoch anzumerken, dass der Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses sich auch durch generelle Abwertungen oder Psychoterror ausdrücken kann – das wird nur in der Öffentlichkeit weniger diskutiert, weil es nicht so spannend erscheint wie alles, was mit Sex zu tun hat.
Ingrid Nikolay-Leitner
In der Präventionsarbeit zur Verhinderung sexueller Belästigung ist die Haltung von ArbeitgeberInnen zentral. Wenn klar kommuniziert wird, dass sexuelle Belästigung unerwünscht ist und nicht toleriert wird, wird dies von den MitarbeiterInnen ernst genommen. Wenn ArbeitgeberInnen über Belästigungen informiert werden, sind sie verpflichtet, Abhilfemaßnahmen zu setzen und Betroffene in Zukunft zu schützen. Ein wichtiger Baustein in der Prävention ist die innerbetriebliche Gleichbehandlung von Frauen und von diskriminierungsgefährdeten Gruppen. Gleiche Wertschätzung durch ein diskriminierungsfreies Entgeltsystem trägt ebenso dazu bei wie eine diskriminierungsfreie Sprache und Rekrutierungsverfahren, die Diversität im Unternehmen unterstützen.